Filmemacher über Mafia-Strukturen: „Dort verkehren auch Politiker“

Am Mittwoch läuft Ludwig Kendzias „Revier der Paten – Mafia in Mitteldeutschland“ im TV. Warum es so schwer ist, über organisierte Kriminalität zu berichten.

Ein Polizist verschwommen im Vordergrund, im Hintergrund mehrere Rettungswagen und ein Leichenwagen, in den gerade zwei bedeckte Leichen gelegt werden

Duisburg, 2007: Aufgrund einer Fehde zwischen zwei Mafia-Clans wurden sechs Menschen erschossen Foto: dpa

taz: Herr Kendzia, das ist Ihr zweiter Film innerhalb eines Jahres über organisierte Kriminalität in Erfurt. Ist die Stadt ein Mafiaparadies?

Ludwig Kendzia: Erst mal ist es so, dass Erfurt schlicht verkehrsgünstig liegt. Es gibt eine schöne Innenstadt, ideal zur Eröffnung von Restaurants und Bars. Und wir wissen, dass die sich besonders gut eignen, um Geldwäsche zu organisieren. Die italienische und später die armenische Mafia fand hier seit 1995/96 ideale Bedingungen vor, um die Expansion nach Mitteldeutschland voranzutreiben.

Ihren im November 2015 ausgestrahlten Film „Die Provinz der Bosse – Mafia in Mitteldeutschland“ darf der MDR laut einem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden nicht mehr zeigen. Ein italienischer Gastronom sah seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Welchen Einfluss hatte dieses Urteil auf den neuen Film?

Wir waren juristisch an einem Punkt angekommen, wo wir nicht weitergehen konnten. Dann haben wir gesagt, okay, dann bauen wir den Film einfach um, mit neuem Material.

Kommt besagter Gastronom und was er repräsentiert, in dem neuen Film noch vor?

In den uns vorliegenden Unterlagen der italienischen Antimafiabehörde DIA wird ausdrücklich von einer „Erfurter Gruppe“ der ’Ndrangheta gesprochen. Darauf haben wir uns konzentriert.

Die Journalistin Petra Reski hat in der Wochenzeitung Freitag am 17. März 2016 über die Klage gegen den MDR berichtet. Der Freitag hat den Artikel inzwischen gesperrt. Ist eine freie Berichterstattung über die Mafia in Deutschland möglich?

Sehr eingeschränkt. Das liegt auch an der deutschen Rechtsprechung. In Italien ist die nachgewiesene Zugehörigkeit zur Mafia strafbar. Das ist bei uns nicht so und macht es für Journalisten enorm schwierig, identifizierend zu berichten. Wir müssen uns aufs Allgemeine zurückziehen.

EU-Kommissar Günther Oettinger verkehrte als Landespolitiker in Baden-Württemberg in den 1990er Jahren regelmäßig in der Pizzeria eines von italienischen Ermittlern der Mafia zugeordneten Gastronomen. Gibt es solche Verbindungen auch in der Landeshauptstadt Erfurt?

Nicht direkt. Es gibt aber Restaurants, da sagen italienische und deutsche Ermittler, wir gehen davon aus, dass die dem Umfeld der ’Ndrangheta zuzurechnen sind – und dort verkehren auch Landes- und Kommunalpolitiker.

ist MDR-Reporter. "Revier der Paten – Mafia in Mitteldeutschland" läuft am Mittwoch, 9. November, um 20.45 Uhr auf MDR. Der Film entstand zusammen mit den Journalisten Axel Hemmerling und Fabio Ghelli.

Nennen Sie den Namen eines solchen Restaurants?

Nein. Wir zeigen auch keine Bilder.

Beim NSU-Komplex ist die Verbindung von Rechtsextremismus und organisierter Kriminalität wieder in den Vordergrund gerückt. Sind Sie auch darauf gestoßen?

Nicht direkt. In den 1990er Jahren haben Neonazis in Jena aber versucht, sich zu bewaffnen. In Jena gab es nach Angaben des BKA auch ’Ndrangheta-Mitglieder. Und es gibt Hinweise, dass in den 1990er Jahren Waffen aus Italien nach Jena gekommen sind.

Gibt es in der thüringischen Politik Problembewusstsein?

Was die Armenier angeht, ja, weil es hier Schießereien gab. Davon zeigen wir im Film auch erstmals Überwachungsaufnahmen. Nach dem Film letztes Jahr kamen dann aber Leute aus der Landespolitik auf uns zu und sagten, Mensch, können wir jetzt überhaupt noch in eine Pizzeria gehen? Und die lachten dabei.

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