Film über die Band Milli Vanilli: Braids fliegen im Takt
Die singen ja gar nicht! In seinem „Girl You Know It’s True“ über Milli Vanilli erkundet Regisseur Verhoeven die selbstbewusst künstlichen Achtziger.
Musikalisch waren Milli Vanilli alles andere als „true“. Dass der Refrain ihres Megahits ausgerechnet mit diesem Wort endet, oder hätte enden sollen, ist damit besonders pittoresk: Als die Popband im Juli 1989 in Connecticut live performte, blieb das Festplattenlaufwerk mit dem Playback von „Girl You Know It’s True“ stecken. Und zwang Rob Pilatus dazu, immer wieder „Girl you know it’s / Girl you know it’s / Girl you know it’s“ zu lippensnychronisieren. Das Wort „true“ bekam er einfach nicht mehr raus.
Ein paar Monate später weitete sich der Zwischenfall, der den Gig keineswegs beendete (nach ein paar Minuten hatte sich der von der Bühne geflüchtete Rob beruhigt, die Hard Disk war in der Spur und die Show ging playback weiter), zu einem Riesenskandal aus: „It’s true: Milli Vanilli didn’t sing“, lautete eine von vielen enttäuschten Schlagzeilen.
„Girl You Know It's True“. Regie: Simon Verhoeven. Mit Tijan Njie, Elan Ben Ali u. a. Deutschland 2023, 124 Min.
Denn der pfälzische Musikproduzent Frank Farian, der die beiden Animationstänzer Rob Pilatus und Fab Morvan als charismatische Aushängeschilder für sein Projekt Milli Vanilli anwarb, hatte ausgepackt und seine Goldjungen einer angeblichen „Wahrheit“ geopfert – teils aus Frust über deren Allüren, teils, um Klagen der echten Milli-Vanilli-Sänger abzuwehren.
Live-Playback der Achtziger
Solche Geschichten schrieb das Leben nur in den 80ern, in denen es nicht auffiel, dass Tanz-Performer trotz höchster körperlicher Anstrengung kein bisschen atemlos klingen, und ihre Gesangslinien auch live zu 100 Prozent identisch mit der Plattenaufnahme blieben. Beides hätte man mit der üblichen Live-Playback-Praxis erklären können – dass man bei Interviews jedoch das Kauderwelsch der Non-Native-Speakers hörte, während sie auf den Songs akzentfrei American English sangen und rappten, das wäre heute vermutlich längst ein Witz in den Social-Media-Kanälen.
Vielleicht darum setzt Regisseur Simon Verhoeven sein Milli-Vanilli-Biopic „Girl You Know It’s True“ in einen popdidaktischen Rahmen: „Ihr kennt uns nicht mehr“, sprechen Rob und Fab als Erzähler (und damit „Owner“) ihrer eigenen Story aus einem imaginären Star-Rückzugsort die Zuschauer:innen an – der Film ist für ein Publikum gemacht, das die 80er (und 90er) nicht mehr oder nur als Windelpupser erlebt hat.
Und das ist eine gute Idee – denn wer Milli Vanilli damals bewusst wahrgenommen hatte, mitansah, wie sie im Hintergrund des hüftsteifen ZDF-Dallas-Abklatsch „Das Erbe der Guldenburgs“ ihre Dance-Moves zeigten, während vorn Sydney Rome und Iris Berben Adeligendramen durchlebten, wie sie den „Bravo-Otto“ schwenkten oder hölzerne Interviews gaben, der wunderte sich wenig über den „Skandal“.
Verhoevens Film gibt sich zudem Mühe, die Atmosphäre detailliert zu rekreieren. Er erzählt die Geschichte Robs (Tijan Nije) und Fabs (Elan Ben Ali) als Zeitporträt, in dem die frühen Rassismuserfahrungen der PoC in einer weißen Welt genauso wenig ausgespart werden wie die Impertinenz, mit der sich der „Hitmaker“ Farian unter dem Deckmantel künstlerischer Freiheit fremder Songs, Beats und Stimmen bediente.
Strippenzieher im Hintergrund
Farian, von Matthias Schweighofer mit erkennbarer Lust am Chargieren gespielt, ist ein Svengali – weil die Sänger, die gemeinsam mit ihm designierte Hits einsingen, optisch nach seinem Ermessen nicht viel hermachen, sucht er sich „Interpreten“, die besser in den Starschnitt passen.
Verhoeven lässt Rob und Fab als moralisch – trotz späterer Star-Flausen – integre Protagonisten immer wieder dagegen aufbegehren, doch Farian bleibt bei seinem lukrativen Konzept. Der Produzent ist der Skrupelloseste, das wird klipp und klar: Der Film geht bis in den US-Bundesstaat Maryland, in dem eine Rap-Formation sowohl Beat als auch Text zu „Girl You Know It’s True“ Jahre vor Farians unverfrorenem Urheberrechtsdiebstahl geschrieben hatte. Den Konflikt versuchte Farian – wie immer – mit Geld zu lösen.
Dass der Film die Geschichte aber in Ansätzen weitererzählt, ist ein relevanter Kommentar zum bedenkenlosen Umgang jüngerer (Tiktok)-Generationen mit dem Thema: Der Komponist des Originals beginnt nämlich nach der Erfahrung das komplizierte US-Urheberrecht zu pauken und ist mittlerweile selbst ein extrem erfolgreicher Labelchef.
Auch dabei umarmt Verhoevens Film Schwarze Selbstermächtigung: „It’s the hair“ lässt er die Performer angesichts des Erfolgsrezepts vorheriger Megastars (Tina Turner, Elvis Presley) analysieren. Fortan tragen die Männer ansehnliche Braids, die sich auf der Bühne und in Videos prima im Takt herumschleudern lassen – selbst, wenn sie nicht echt sind.
Große Schulterpolster und nichts dahinter
Es gibt also einiges zu lernen in Verhoevens Film. Nur Rob und Fab selbst bleiben als Charaktere flach, mit ihnen scheint bis auf die viel beschworene, dann aber doch nicht wirklich erklärte Freundschaft und einigen Ruhm-steigt-zu-Kopf-Erlebnissen (die letztlich mit Robs frühem Tod enden) nicht viel los zu sein. Aber so war das ja manchmal bei 80er-Jahre-Popstars: große Schulterpolster und nichts dahinter.
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