Film „She Said“ zum #MeToo-Skandal: Bloß kein Drama!
Maria Schrader verfilmt in „She Said“ die Recherche zum späteren Weinstein-Skandal. Sie stellt sich ganz in den Dienst der #MeToo-Geschichte.
War es eine soziale Bewegung, ein gesellschaftlicher Wandel oder schlicht die Folge der Enthüllungen von lange unter dem Deckel gehaltenen Schandtaten? In jedem Fall ist all das, was man unter dem Hashtag #MeToo zusammenfasst, kaum zu unterschätzen. Es war – und ist noch – wirklich ein großes Ding. Davon geht auch Maria Schrader in „She Said“ aus, ihrer Verfilmung von Jodi Kantors und Megan Twoheys Buch „#Metoo“.
Von der legendären Harvey-Weinstein-Recherche der beiden New-York-Times-Journalistinnen erzählt sie jedoch mit betonter Nüchternheit und Unaufgeregtheit. Dabei gerät der Film streckenweise derart beiläufig und unterspielt, dass man als Zuschauer*in manchmal kaum spürt, um wie viel es eigentlich geht.
Der Höhepunkt des dramatischen Geschehens sind Dialoge, die sich um den doch recht trockenen journalistischen Fachbegriff des „On the record“-Gehens drehen. Da mitzufiebern ist trotz eines herausragend agierenden Schauspielerinnen-Ensembles nicht immer ganz einfach.
Die guten Absichten von Autorinnen und Regisseurin liegen offen zutage: Schon Kantor und Twohey wollten bei der Veröffentlichung ihres Geschichte schreibenden Artikels in der New York Times am 5. Oktober 2017 und später im Buch über die Vorarbeit dazu alles Sensationsheischende und Pathetische vermeiden. Und auch keiner Retraumatisierung der Opfer Vorschub leisten, indem man das „On the record“-Gehen von Weinsteins Opfern durch explizite Schilderung „saftiger“ Details ausbeutet.
Herausgekommen war ein angesichts des Aufregerthemas überraschend trockenes Buch mit lauter haarklein recherchiertem Material, bei dem die Überfülle an Details zum Arbeitsprozess selbst die klare Sicht auf den Fall Weinstein erschwerte.
Unglamouröse Heldinnen
Schrader wiederum will den journalistischen Instinkten ihrer Heldinnen Tribut zollen. Auch ihr Film handelt in erster Linie von der Recherche als Arbeit: kleinteilig, mühsam, belastend. Sicher, die beiden Heldinnen – derart unglamourös von Zoe Kazan und Carey Mulligan verkörpert, dass man sich fast in einem Schwarz-Weiß-Film glaubt – sind mit ihren Herzen dabei. Schrader lässt bei aller Beiläufigkeit nicht aus, dass die von Mulligan gespielte Twohey, die während der Recherche ein Kind bekam, anschließend mit Wochenbett-Depressionen zu kämpfen hatte.
Aber auch was diese besondere Art der Doppelbelastung ihrer Heldinnen angeht, will Schrader gar nicht erst in den Verdacht kommen, etwas ausschlachten zu wollen. Es bleibt bei ein paar mitfühlenden Worten vonseiten der Chefin (Patricia Clarkson mal wieder in einer für ihre Ausstrahlung viel zu knapp gehaltenen Rolle) und dem Austausch von verständnisvoll-verschworenen Blicken unter Kollegen. „Wir sind Frauen, wir wissen, wie schwer wir es haben. Bloß kein Drama!“ – so scheint die stillschweigende Übereinkunft.
Man kann das auch als Tugend loben, die Sachlichkeit, die Zurückhaltung, das Alltagsbetonte, Nichtvoyeuristische und der komplette Verzicht auf das, was das große Vorbild des Journalisten-Films, Alan J. Pakulas „Die Unbestechlichen“ von 1976 mit Robert Redford und Dustin Hoffman so auszeichnete: der Witz.
Der Glanz der „Unbestechlichen“
Schaut man „Die Unbestechlichen“ heute, wird man mit Erstaunen bemerken, wie wenig sich daraus über Nixon und Watergate erfahren lässt und wie viel über ein inzwischen untergegangenes Journalisten-Image. Auch Redford und Hoffman spielen ihre Washington-Post-Helden betont ohne Glamour, dafür aber verleiht ihnen das Drehbuch von William Goldman mit seinen scharfzüngigen Spitzen einen viel größeren Glanz.
Und sie dürfen auch noch ganz eitel-männlich-selbstverliebt daherkommen, etwas, was den Helden im oscarprämierten Journalistenfilm „Spotlight“ von 2015 schon nicht mehr zu Gebot steht. Dort ist der Journalismus bereits zum Tätigkeitsfeld selbstquälerisch veranlagter Arbeitssüchtiger heruntergekommen, die sich in einem Job aufreiben, der keinen Spielraum mehr für Ruhm lässt. Nicht umsonst gleichen ihre Triumphe eher denen von erfolgreichen Steuerfahndern.
„She Said“ will im direkten Anschluss an „Spotlight“ weniger ein Film über den Fall Harvey Weinstein sein als die schwierige Recherche nachzeichnen, bei der es in der Hauptsache um besagtes „On the record“-Gehen ging. Weinsteins sexuelle Übergriffigkeit war schon lange mehr als nur ein Gerücht, allein es fehlten die Zeuginnen, die namentlich und öffentlich bereit zur Aussage waren.
Bruch in der Karriere
Im Film gibt es am Anfang eine Szenenfolge mit einer jungen Frau im Vorher-nachher-Modus: Zuerst das Glück, einen Job am Filmset zu haben, ein Wohlgefühl unter fröhlichen Kollegen. Dann ein einsames Schluchzen irgendwo auf der Straße, isoliert und alleingelassen. Was dazwischen vorgefallen ist, muss nicht im Einzelnen geschildert werden.
Der Bruch in der Karriere, im Leben, den sexuelle Übergriffe auslösen, bleibt oft so unsichtbar wie unüberwunden. Im Film verleiht Jennifer Ehle der nun älteren Frau auf sehr eindrückliche Weise Gestalt: dem Schmerz, das Geschehene noch einmal erinnern zu müssen, aber auch der Genugtuung, mit dem Öffentlichmachen nun endlich etwas bewirken zu können.
Auch anderen Zeuginnen erweist „She Said“ auf bewundernswert respektvolle und zugleich mitfühlende Weise seine Hommage, sei es dass Samantha Morton eine ehemalige Miramax-Angestellte verkörpert oder Ashley Judd in großer Verhaltenheit ihre eigene Weinstein-Erfahrung schildert.
Donald Trumps „Pussygate“
Im Buch setzen Kantor und Twohey ihre Recherche anfangs noch in den weiteren Kontext der Auseinandersetzungen um Donald Trumps „Pussygate“ und andere Fälle. Der Film verzichtet fast vollständig auf Kontext und verharrt so konzentriert auf seinen Figuren, den Sitzungen in gläsernen New-York-Times-Büros und der Technik des verständnisinnigen Zuhörens, dass er etwas Klaustrophobisches bekommt.
Dazu trägt bei, dass Kantor und Twohey im Film Heldinnen ohne Charakterentwicklung sind: überzeugt bei der Arbeit, gefasst auf das, was kommt, mehr oder weniger betroffen, empört oder indigniert. Aber es gibt keinen Wendepunkt für sie, kein echtes Erstaunen, kein Umdenken, keinen Anstoß zur Selbstreflexion. Damit bleibt „She Said“ zwar nah an der Vorlage, verpasst aber die Chance, in den Blick zu nehmen, was #MeToo eben zu so einem großen Ding machte: das große gesellschaftliche Umdenken, die Revolutionierung der Wahrnehmung.
„She Said“. Regie: Maria Schrader. Mit Carey Mulligan, Zoe Kazan u. a. USA 2022, 129 Min.
Auch viele Frauen verabschiedeten sich von lange gehegten Ansichten und Urteilen. Wo etwa früher das, was auf der berüchtigten „Casting Couch“ geschah, schulterzuckend als gängige Praxis für ehrgeizige Schauspieltalente hingenommen wurde, setzte sich die klare Erkenntnis durch, dass es sich um Ausbeutung, Missbrauch und in den schlimmsten Fällen um Vergewaltigung handelte.
Alle haben es irgendwie immer schon gewusst – das war das eigentliche Erschreckende am Fall Weinstein. Denn geschwiegen haben nicht nur die Frauen, die drakonische Schweigevereinbarungen hatten unterzeichnen müssen, um ein bisschen Kompensation zu erhalten, sondern das ganze Umfeld drumherum, das lieber Schadensbegrenzung betrieb, als den Täter zu konfrontieren. Als Spielfilm mit dokumentarischen Gestus stellt „She Said“ diese Gemengelage zwar nach, die packende Dramatisierung der dahinter verborgenen Konflikte aber steht noch aus.
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