Film „Grüne Grenze“ von Agnieszka Holland: Pushbacks als Wahlkampfthema in Polen
Kurz vor den polnischen Parlamentswahlen zeigt ein Spielfilm Jagdszenen auf Migranten an der Grenze zu Belarus. Die Meinungen dazu sind geteilt.
![Ein Kind in Winterkleidung steht hinter einem Stacheldrahtzaun, vor dem ein bewaffneter Soldat steht. Ein Kind in Winterkleidung steht hinter einem Stacheldrahtzaun, vor dem ein bewaffneter Soldat steht.](https://taz.de/picture/6558628/14/33542126-1.jpeg)
D ass ein Spielfilm zum Wahlkampfthema wird und am Ende von fast allen Politikinteressierten heiß diskutiert, kommt auch in Polen nur selten vor. Doch in ihrem neuesten Film „Grüne Grenze“ zeigt die berühmte Regisseurin Agnieszka Holland brutale Szenen an der polnisch-belarussischen Grenze. Skrupellose und hasserfüllte Grenzschützer prügeln alte Männer, schwangere Frauen und selbst Kleinkinder zurück über die Grenze nach Belarus. Als es zwei Geflüchteten gelingt, bei einer nächtlichen Polizei-Razzia mitten im Wald den Häschern zu entkommen, geraten sie ins Sumpfgebiet des Białowieża-Urwaldes.
Die Frau ruft mit immer schwächer werdender Stimme „Help, help“, bis eine junge Polin, die in der Sperrzone an der Grenze wohnt, sie hört und zu Hilfe eilt. Doch den zehnjährigen Jungen können sie nicht mehr retten. Er versinkt vor ihren Augen im Moor. Die völlig unterkühlte und ausgehungerte Afghanin wird im Krankenhaus aufgepäppelt, doch als es ihr besser geht, holt der Grenzschutz sie mit einem Lkw ab. „Asylum in Poland“, ruft sie auf Englisch. Doch vergeblich.
Als Aktivisten und Bewohner der Sperrzone, die Geflüchteten im Białowieża-Urwald mit trockener Kleidung und heißer Suppe helfen, beim Grenzschutz nach der Geretteten aus dem Sumpf fragen, bekommen sie keine Antwort. Die Afghanin, die auf ein sicheres Leben in Polen gehofft hatte, bleibt verschwunden. Ohne Brille, Geld und Handy hat sie keine große Überlebenschance, sollte sie zurück nach Belarus gebracht worden sein.
„Ein schrecklicher Film“, stöhnt Maria, 36, als sie in der Kino-Bar vor einem Warschauer Kino einen Kaffee bestellt. Ihr Mann Wojtek, 36, stimmt zu: „Gut, dass wir uns den Film angesehen haben. Er sollte in allen polnischen Schulen gezeigt werden!“ Er bestellt ein kleines Bier und wendet sich an seine Kinder: „Was meint ihr?“
Zerknitterte Zeitungsartikel zum Film
![Porträt der polnischen Regisseurin des Films Agnieszka Holland Porträt der polnischen Regisseurin des Films Agnieszka Holland](https://taz.de/picture/6558628/14/33539556-2.jpeg)
Krystyna, 16, streicht ihre langen braunen Haare zurück und sagt: „Bei uns an der Schule sagen die einen, dass das eine Art Nazi-Propagandafilm ist. Die anderen finden, dass wir Katholiken den Geflüchteten helfen sollten.“ Vater Wojtek nickt und sieht seinen Sohn an. Der vierzehnjährige Piotr lacht aufreizend: „Am besten war die Striptease-Szene!“ Seine Mutter ist empört: „Wie kannst du nur so was sagen! Wenn du an Stelle der Aktivistin gewesen wärst, dann hättest du die Leibesvisitation auch über dich ergehen lassen müssen.“ „Nein, ich bin doch polnischer Patriot“, sagt Piotr, „ich wäre Grenzschützer, nicht Aktivist oder Geflüchteter!“
Sein Vater kann sich nur schwer beruhigen: „Wo hast du denn das her? Hast du wieder zu viel TVP Info geguckt?“ Der Staats- und Propagandasender der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) macht seit Tagen Stimmung gegen den Film. „Als Patriot solltest du dich eher schämen. Das ist schlimm, was unsere Leute da an der Grenze tun.“
Maria kramt mehrere zerknitterte Zeitungsartikel zum Film aus ihrer Handtasche. „Hier“, sagt sie. „Ich habe das extra eingesteckt. Da haben wir alles Schwarz auf Weiß“. Zuoberst liegt ein Artikel der linksliberalen Gazeta Wyborcza. Sie liest vor: „Tylko świnie siedzą w kinie – Nur Schweine sitzen im Kino“, das habe Präsident Duda gesagt. „Da wir alle in diesem Film waren, sind wir also Schweine, Du auch, mein lieber Sohn.“
Vater Wojtek überfliegt einen anderen Artikel. „In diesem PiS-Blatt schreiben sie, dass der Film mitten im Wahlkampf Premiere hat, damit die Polen umdenken. Sie sollen Mitgefühl mit den Geflüchteten bekommen, statt zuallererst an die eigene Sicherheit zu denken.“ Piotr streckt die Hand aus und tippt auf die Schlagzeile: „Hier steht ‚Applaus für die Grenze in Russland und Belarus‘. Ich meine, die haben doch recht.“
Mutter Maria schüttelt den Kopf: „Lasst uns das besser heute Abend zu Hause in aller Ruhe ausdiskutieren.“ An der Kinokasse stehen derweil die nächsten Neugierigen, die „Grüne Grenze“ sehen wollen.
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