Film „Führer und Verführer“ im Kino: Opfer der eigenen Inszenierung
„Führer und Verführer“ will hinter die Kulissen der Macht im Nationalsozialismus blicken. Doch der Spielfilm verwirrt mehr, als dass er aufklärt.
Viel höher kann man die Latte nicht hängen. „Führer und Verführer“ will nicht nur „ins Innere der Macht“ der Nationalsozialisten blicken. Als ob das nicht schon genug wäre, beansprucht der Film zudem, „die Lügen der Täter zu durchschauen“ und damit ein Werk gegen die Verführung zu schaffen.
Gäbe es eine bessere Zeit als jetzt, da rechte Populisten in Deutschland wie in halb Europa auf dem Vormarsch sind, um die Lügen und Propagandamärchen eines Joseph Goebbels zu zerlegen?
Tatsächlich haben sich Inszenierung und Sprache des Propagandaministers tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben – wer kennt nicht seinen Ruf „Wollt Ihr den totalen Krieg?“, gefallen 1943 im Berliner Sportpalast und vom tosenden (und ausgesuchten) Publikum tausendfach mit einem „Ja!“ beantwortet? Die Nazis mögen den Krieg verloren haben, ihre Propaganda, wiewohl von späteren Generationen als eher altbacken empfunden, wirkt bis heute.
Goebbels steht im Mittelpunkt
Führer und Verführer. Regie: Joachim A. Lang. Mit: Robert Stadlober, Fritz Karl u. a. Deutschland/Slowakei 2023. 135 Min.
Joseph Goebbels, großartig gespielt von Robert Stadlober, steht denn auch konsequenterweise im Mittelpunkt des mehr als zweistündigen Streifens über die NS-Machtzentrale. Hier tauchen sie alle auf, nicht nur Goebbels, sondern natürlich auch Adolf Hitler (Fritz Karl) und Konsorten.
Der Regisseur Heinrich Breloer hat mit seinen meisterlichen Doku-Dramen vorgemacht, was Filme historisch zu leisten imstande sind. In seinen Fernsehproduktionen wie „Die Manns“ (über die Familie von Thomas Mann) oder „Wehner – die unerzählte Geschichte“ verband er fiktionale, aber an der Realität orientierte Szenen mit Zeitzeugen-Interviews.
Zu keiner Sekunde lief der Zuschauer Gefahr, das dramatische Spiel mit der nicht minder aufrüttelnden Dokumentation zu verwechseln. „Führer und Verführer“ von Regisseur Joachim A. Lang aber scheitert genau daran.
Das liegt nicht an den Schauspielern, sondern am Konzept. Dieser Film, der die Perspektive der Täter zum Inhalt hat, treibt ein Spiel mit Zitaten, die dem Zuschauer undurchschaubar sind. „So oder so ähnlich“ hätte das Nazi-Führungspersonal tatsächlich gesprochen, heißt es gleich zu Beginn.
Es ist dieses „so ähnlich“, das den Betrachter immer ratloser macht, je länger der Film dauert. Denn er erfährt an keiner Stelle, welche Zitate denn nun verbürgt, also durch historische Quellen belegt sind, und welche lediglich von der Filmcrew als „könnten so gefallen sein“ inszeniert wurden. Da hilft es auch nicht, dass der renommierte Historiker und Goebbels-Biograf Peter Longerich zu den Beratern des Films zählte.
Nur vermeintlich historische Tatsachen
So produziert „Führer und Verführer“ vermeintlich historische Tatsachen, wo in Wahrheit Historiker seit Jahrzehnten damit beschäftigt sind, der Realität nachzuspüren. Bis heute ist unklar, ob und wann Hitler jemals einen schriftlichen oder mündlichen Befehl zur Ermordung der europäischen Judenheit gegeben hat oder ob der Holocaust ohne diese ausdrückliche Anweisung in Gang gekommen ist. Im Film aber erklärt Hitler gegenüber Heinrich Himmler umstandslos: „Ich befehle, alle Juden zu vernichten.“
Und der Zuschauer mag denken, ach, so ist das also gewesen, obwohl genau dies unklar ist. Dann folgt die bekannte Posener Rede von Heinrich Himmler, in der dieser 1943 gegenüber SS-Personal offen den Judenmord anspricht und glorifiziert. Diese Worte wiederum sind authentisch. Aber welcher Zuschauer weiß das zu unterscheiden?
So wird „Führer und Verführer“ zum Opfer der eigenen Inszenierung, die auf pure Authentizität setzt und durch die Verknüpfung von Spielfilmszenen mit alten Wochenschau-Bildern die eigene Glaubwürdigkeit auch noch veredelt. Dazu kommen die Kurzauftritte prominenter Überlebender wie Charlotte Knobloch oder Margot Friedländer, die jeweils in wenigen Sätzen die Perspektive der Opfer wiedergeben.
Ja, es ist gut und wichtig, gerade diesen Menschen das Wort zu erteilen, wo immer es möglich ist, weil sie qua ihrer Person deutlich machen, was die Nazis den Jüdinnen und Juden angetan haben. Aber dennoch wird man beim Betrachten des Films das Gefühl nicht ganz los, hier würden sie als Staffage missbraucht.
Goebbels über die Schulter geschaut
Inhaltlich verfolgt „Führer und Verführer“ das Leben und Streben von Joseph Goebbels zwischen 1938 und 1945. Man sieht den Propagandaminister bei der Inszenierung des Auftritts Hitlers nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, beschäftigt mit der exakt geplanten Übergabe eines Blumenstraußes an den „Führer“.
Man trifft Außenminister Ribbentrop, Goebbels, Hitler und Konsorten bei einem Treffen zur Zerschlagung der Tschechoslowakei. Man wird in die Planungen zur Pogromnacht vom 9. November 1938 ebenso einbezogen wie in die letzten Schritte vor dem Überfall auf Polen, der, wie so ziemlich alles, mit einer Lüge beginnt („Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“).
Aber leider wird der Zuschauer darüber nicht aufgeklärt. 1941 kündigt Hitler gegenüber Goebbels an, Russland anzugreifen, was dieser als „einen Kraftakt für Propaganda“ einschätzt, aber doch rasch mitteilt: „Ich habe schon die Idee für eine Fanfare.“ Letztere half bekanntlich eher wenig.
Bei Goebbels naheliegend, kommt auch das Privatleben nicht zu kurz. Da geht es primär um seine Affäre mit einer Schauspielerin, die von seiner Frau Magda (gespielt von Franziska Weisz) angedrohte Scheidung und das Eingreifen Hitlers in die Angelegenheit, der eine offizielle Trennung verbietet.
Da darf selbstverständlich auch Eva Braun nicht fehlen. Hier wird das Thema „Verführer des Nationalsozialismus“ zwangsläufig weitestgehend ausgespart und es entsteht der Verdacht, die Szenen könnten vor allem der Unterhaltung des Publikums dienen, um den Film nicht zu bleischwer zu machen. Was durchaus legitim ist.
Kein Film gegen die Verführung
Der Film endet, wie könnte es anders sein, 1945 im Bunker der Reichskanzlei, als Goebbels nicht nur die Ideen ausgehen, sondern er mitsamt Familie aus dem Leben austritt. Die Szenen erinnern zwangsläufig an den 20 Jahre alten Film „Der Untergang“ mit Bruno Ganz als Adolf Hitler. Ohne deshalb dem Schauspieler Fritz Karl zu nahe treten zu wollen: Ganz war besser.
„Ein Film gegen die Verführung“ ist dieser Film gewiss nicht. Er trägt mehr zur Verwirrung als zum historischen Durchblick bei. Von daher schadet er auch mehr, als dass er im Streit mit rechten Rattenfängern hilfreich ist.
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