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Film „Body“ von Małgorzata SzumowskaDer Selbstmörder verlässt den Tatort

Raum für Skepsis und Wunder: Der Film „Body“ von Małgorzata Szumowska verbindet eine Familientragödie mit Übersinnlichkeit.

In der Therapie den Schrei im fragilen Körper finden: Justyna Suwała als Olga in „Body“. Foto: Peripher

Olgas Vater hat sich von seiner Umwelt emotional abgeschottet. Ohne Anzeichen einer Gefühlsregung erledigt er seinen Job als Tatortermittler der Staatsanwaltschaft, zu Hause ist er unfähig, ein normales Wort mit seiner anorektischen Tochter zu wechseln. Auf einer Bahnhofstoilette protokolliert er mit professioneller Distanz den Fund einer Babyleiche, die eine Mutter im Klo entsorgt hat. Als er aber im Badezimmer das Erbrochene seiner Tochter entfernen muss, reagiert er sichtlich überfordert.

Olga und ihr Vater Janusz leben seit dem Tod der Mutter allein unter einem Dach, doch die beiden haben sich voneinander entfremdet. Das Mädchen hat eigene Wege gefunden, mit dem Verlust der Mutter und der Gefühlskälte des Vaters umzugehen.

In ihrer Therapiegruppe, in die Janusz sie nach ihrem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch steckt, lässt Olga ihre Wut an einem Sandsack aus: „Ich hasse dich, weil du säufst“, schreit sie ihre Rollenspielpartnerin an. „Ich hasse dich, weil ich bei dir bleiben musste, als Mutter gestorben ist.“ Wenn sie sich mit ganzer Kraft gegen den Sandsack stemmt, zeigt sie, wie viel Überlebenswillen noch in ihrem ausgezehrten Körper steckt.

Mit der Mischung aus Familientragödie und Coming-of-Age-Drama erfüllt Małgorzata Szumowskas „Body“, für den die polnische Regisseurin auf der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, auf den ersten Blick alle Voraussetzungen für einen erwartbaren Problemfilm aus dem europäischen Arthouse-Kino. Das vollgestellte Zimmer der Mutter ist seit Jahren verschlossen, beim Abendessen beobachtet Olga angewidert, wie Janusz ein fettiges Hühnchen in sich hineinstopft.

Szumowskas Spiel mit unterschied­lichen Körperbildern ist auf angenehme Art diszipliniert

Szumowskas Blick hat selbst etwas Anorektisches: Alles Sinnliche ist aus ihren Bildern getilgt, es dominiert ein spartanischer, leicht unterkühlter Stilwille mit einem Hang zum absurden Sozialrealismus. Wie Stillleben filmt Michał Englert das Essen des Mädchens in einer Frontalansicht von oben, bevor es sich im Mixer in einen unappetitlichen Brei verwandelt. Die asketische Inszenierung findet eine schöne Entsprechung in der dritten Figur des Films, die sich zwischen Vater und Tochter drängt und den eng gesteckten Erzählrahmen um einen überraschenden Topos erweitert: die Geistergeschichte.

In Kontakt mit den Toten

Die Psychologin Anna wirkt mit ihrer Lesebrille und ihren Strickpullovern wie eine alte Jungfer. Auch sie hat einen persönlichen Verlust zu verarbeiten, ihr Bett teilt sie sich seit dem Tod ihres kleinen Jungen mit einer riesigen Bulldogge. Der Schmerz und die Trauer haben Anna mit einer übersinnlichen Gabe ausgestattet: Sie steht in Kontakt mit den Toten. So ist Szumowskas Film zwischen zwei Welten angesiedelt, auch wenn in den Bildern eine unterschwellige, leicht amüsierte Skepsis auszumachen ist, die man schon aus den Filmen des schwedischen Existenzialisten Roy Andersson kennt.

Doch Annas Esoterik besitzt eine ganz natürliche Überzeugungskraft, wenn sie ihre Patientinnen – ätherische, fast lichtdurchlässige Mädchen in weißen Gewändern – auffordert, den Schrei in ihren fragilen Körpern zu finden. Als sie mit ihrem Wagen einmal eine Vollbremsung macht, sieht man mit ihren Augen eine Frau die Fahrbahn überqueren, obwohl die Straße menschenleer ist.

Body

„Body“. Regie: Małgorzata Szumowska. Mit Janusz Gajos, Justyna Suwała u. a. Polen 2015, 90 Min.

In der Therapiegruppe der alleinstehenden Frau lernt Olga zu verstehen, dass sich die menschliche Existenz nicht auf das physische Dasein beschränkt. Selbst Janusz hört sich Annas Ideen widerwillig an, um später Stift und Zettel für eine Botschaft seiner verstorbenen Frau in deren alten Schreibtisch zu legen.

Fenster öffnen sich wie von Geisterhand

Die scheint tatsächlich mit aller Kraft in das physische Leben ihrer Familie zurückkehren zu wollen. Fenster öffnen sich wie von Geisterhand, die Heizkörper in der gemeinsamen Wohnung schalten sich ab und eine Überschwemmung unterspült den Friedhof, sodass ihre Leiche exhumiert werden muss.

Szumowskas Spiel mit unterschiedlichen Körperbildern ist auf angenehme Art diszipliniert. Sie bedient sich naheliegender Metaphern, schafft durch das Changieren zwischen Komik, Lakonie und Ernst aber auch einen Raum für Skepsis und Wunder. Gleich zu Beginn des Films erhebt sich ein Selbstmörder von der Stelle, an der seine Leicht liegt, und verlässt zielstrebig den Ort der Tat.

Dass die Toten unter uns wandeln, ist in „Body“ immer eine seriöse Option. Doch letztlich sind es die Lebenden, die mit ihrer Vergangenheit – beziehungsweise mit ihren Körpern – ins Reine kommen müssen. Denn wenn das Medium gerade mal ein Nickerchen einlegt, bleibt als einziger Halt der Mensch, der einem am Tisch gegenübersitzt.

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