Film „Babygirl“ mit Nicole Kidman: Weder das eine noch das andere
Eine Karrierefrau, die sich nach Unterwerfung sehnt: Halina Reijn scheitert beim Versuch, in Film „Babygirl“ Erotik mit Emanzipation zu kombinieren.
Dem Film sei die Erotik abhandengekommen, lautet eine gängige Analyse des gegenwärtigen Kinos. Nicht selten fällt in diesem Zusammenhang das Stichwort „Empörungskultur“, die es Filmemachern angeblich erschwere, sich unverkrampft mit Sexualität, ihren Schattenseiten und Graubereichen, auseinanderzusetzen.
Schnell folgt der Vorwurf einer neuen Prüderie, die besonders dem jüngeren Publikum zugeschrieben wird, weil es die Inszenierung von Sexszenen schnell als „problematisch“ empfinde.
Befeuert wurde diese Debatte durch eine Studie der Universität von Kalifornien in Los Angeles, laut der die „Gen Z“ weniger Sex in Filmen und Serien sehen wolle. Dass dieser Wunsch womöglich viel damit zu tun hat, wie Lust aktuell auf der Leinwand dargestellt wird, ließen viele Kommentatoren außer Acht und gaben sich mit der Behauptung zufrieden, dass die Zeiten schlicht zu „woke“ für Sex seien.
Befreit vom Anrüchigen
Es wirkt so, als hätte Halina Reijn („Bodies Bodies Bodies“) diese beiden (vermeintlich) widerstreitenden Pole, „freie“ versus „sensibilisierte“ Darstellung von Sexualität, vor Augen gehabt, als sie sich an die Arbeit zu „Babygirl“ machte. Mit ihrem dritten Spielfilm belebt die niederländische Regisseurin nicht nur den Erotikthriller neu – ein Genre, das in den Neunzigern florierte und mittlerweile fast verschwunden ist – sondern passt ihn zugleich heutigen Sehgewohnheiten an, um ihn vom Antiquierten und bisweilen Anrüchigen zu befreien.
„Babygirl“. Regie: Halina Reijn. Mit Nicole Kidman, Harris Dickinson u. a. USA 2024, 115 Min. Filmstart: 30. Januar 2025.
Reijn erzählt aus der Perspektive von Romy (Nicole Kidman), und damit einer Frau mittleren Alters, die sich als Geschäftsführerin eines Unternehmens für Robotik noch dazu in einer Machtposition befindet. Ihre Lust ist es außerdem, die in „Babygirl“ erkundet wird, durch eine Affäre, die Romy mit dem deutlich jüngeren Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) eingeht.
Auf dem Papier zumindest stellt Halina Reijn damit all die nötigen Weichen, um sich sowohl das Prädikat „emanzipatorisch besonders wertvoll“ als auch „erotisch“ zu verdienen. Tatsächlich aber ist ihr Film letztlich weder das eine noch das andere.
Bloß nichts falsch machen
Das liegt vor allem an Reijns spürbarem Bemühen, bloß alles richtig zu machen. Kopflastigkeit erstickt Leidenschaft – und in „Babygirl“ wirkt vieles konstruiert, vor allem die Figurenzeichnungen. Zwar wurde der Film nach der Premiere in Venedig für sein „starke Frauenfigur“ gelobt. Im Grunde bedient Halina Reijn aber vor allem eine plumpe „Girlboss“-Mentalität.
Romy ist nicht nur eine erfolgreiche Karrierefrau, sondern auch liebende Mutter zweier Töchter und Gattin eines Theaterregisseurs (Antonio Banderas), die ihren Körper mit Eisbädern, Spritzen und Skalpellen martert, um darüber hinaus auch noch glänzend auszusehen.
Um mit dem ebenfalls veralteten Klischee der „Powerfrau“ zu brechen, wird Romy also noch mit Selbstzweifeln bezüglich ihres Äußeren garniert. Denn, und das lehrte nicht erst „Barbie“, nach den Regeln eines resignativen (Pseudo-)Feminismus ist dem Fortschritt bereits Genüge getan, wenn auf den Druck patriarchaler Erwartungen hingewiesen wird, anstatt die Protagonistin sich ihnen tatsächlich auch widersetzen zu lassen.
Kontrolle im Bett loswerden
Ihr einziger Ausbruch ist sexueller Natur. So subversiv und provokant wie „Babygirl“ sich gibt, ist Romys Begehren allerdings gar nicht. Denn Halina Reijn ersinnt das wohl erwartbarste Verlangen für eine Figur, die viel Macht besitzt: Im Bett will Romy die Kontrolle abgeben, die Verantwortung loswerden, sich unterwerfen.
Die Auftaktsequenz entwirft in groben Strichen das enge psychologische Gerüst, in das „Babygirl“ sie sperrt: Romy sitzt beim Sex in dominanter Pose auf ihrem Ehemann, ihr Orgasmus ist vorgetäuscht und sein zärtliches „Ich liebe dich“ löst Unbehagen in ihr aus. Schließlich stiehlt sie sich davon und masturbiert heimlich zu einem Porno, in dem eine junge Frau den Darsteller, der harten Sex mit ihr hat, „Daddy“ nennt.
Der Mann, mit dem Romy diese Fantasien im wahren Leben ausleben wird, begegnet ihr trefflicher Weise bereits am nächsten Tag. Als sie Samuel erstmals auf der Straße sieht, fasziniert sie seine Bestimmtheit, mit der er einen Hund bändigt. Dass er ein neuer Praktikant ihres Unternehmens ist, erfährt sie später. Auch Romy gegenüber gibt er sich sofort selbstbewusst, bisweilen unverschämt.
Zwischen Keller, Hotel und Toilette
Was folgt, ist ein Dominanz-und-Unterwerfungs-Spiel zwischen Kellerräumen, Hotelzimmern und Bürotoiletten. Statt knisternder Spannung, ist es allerdings vor allem eine Frage, die immer wieder aufkommt: Warum sollte sich Romy ausgerechnet Samuel, der keinerlei Erfahrung als sexuell dominanter Part zu haben scheint, auch keine dringliche Präsenz, in der Position, die er einnimmt, entfalten kann, unterwerfen? Wo es an Reibung mangelt, bleibt die Erotik aus.
Dass in Romys Devotheit immerhin ein emanzipatorisches Moment steckt, betont „Babygirl“ selbst an einer Stelle. Ausgerechnet Samuel weist darauf hin, dass die sexuelle Selbstbestimmung einer Frau gerade darin bestehe, jeden Part, auch den unterwürfigen, einnehmen zu können – egal, wie er sich zu tradierten gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen verhält.
Richtig ist das durchaus. Der Eindruck, dass es in der Darstellung der (sexuellen) Dynamik zwischen Romy und Samuel auch mit der Fortschrittlichkeit nicht allzu weit her ist, erwächst weniger aus dem offenen Text, als den nicht adressierten Misstönen zwischen den Zeilen. Auch „Babygirl“ gelingt es etwa nicht, die wichtigste Grundlage einer „gesunden“ BDSM-Beziehung zu vermitteln: das Anerkennen von Grenzen.
Romy nennt Samuel nur eine einzige – er soll sich von ihrer Familie fernhalten. Er überschreitet sie mehrfach. Und Romy? Sie lässt es geschehen. Am Ende ist ausschließlich sie es, die bestraft wird – und das mehr, als ihr lieb sein kann.
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