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Festnahme im „NSU 2.0“-Fall„Kein Grund für Entwarnung“

Nach der Festnahme des „NSU 2.0“-Verdächtigen äußern sich Betroffene. Sie zeigen sich „äußerst irritiert“ über Hessens Innenminister.

Auch sie ist „äußerst irritiert“ über Hessens Innenminister: die Anwältin Seda Başay-Yıldız Foto: Boris Roessler, dpa

BERLIN taz/dpa | Mehrere Betroffene der „NSU 2.0“-Drohschreibenserie äußern sich kritisch über Aussagen des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) zur Festnahme eines Tatverdächtigen. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es, man sei „äußerst irritiert“, dass Beuth schon jetzt erklärte, kein Polizist sei in die Drohserie verwickelt, obwohl noch viele Fragen offen seien. „Die Aufklärung von „NSU 2.0“ steht erst am Anfang.“

Die Erklärung ist von der Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, der Kabarettistin Idil Baydar, taz-AutorIn Hengameh Yaghoobifarah, der Linken-Parteichefin Janine Wissler sowie ihren Parteikolleginnen Martina Renner und Anne Helm unterzeichnet. All sie hatten seit August 2018 Drohschreiben des selbsternannten „NSU 2.0“ erhalten – teils mit Daten, die zuvor auf Polizeicomputern abgerufen wurden. Am Montag hatten Ermittler nun einen Tatverdächtigen festgenommen: Alexander M., ein vorbestrafter 53-jähriger Arbeitsloser aus Berlin.

Die Festnahme sei „erfreulich“ und ein wichtiger Ermittlungserfolg, heißt es in der Erklärung der Frauen. „Nun gibt es endlich die Chance, die Hintergründe und mögliche Unterstützungsstrukturen aufzuklären.“ Denn es gebe weiter „drängende und offene Fragen“.

Dazu gehöre, wie der Festgenommene an die Daten aus Polizeicomputern in Frankfurt, Wiesbaden, Hamburg und Berlin kam, insbesondere gesperrte Adressen und im Fall von Başay-Yıldız sämtliche Namen ihrer engen Familienmitglieder. Auch sei offen, ob der Beschuldigte direkte Kontakte zu Polizeidienststellen oder Behörden hatte – insbesondere zu Beamten, die im 1. Frankfurter Polizeirevier einer rechtsextremen Chatgruppe angehörten.

Unterschätzten die Behörden die Gefahr?

Ungeklärt sei ebenso, welche Verbindungen Alexander M. nach Hessen habe, wo viele der Bedrohten leben. Einige Drohbriefe hätten Poststempel aus Frankfurt/Main und Wiesbaden getragen. Zuletzt stelle sich die Frage, ob die Gefahr durch den Tatverdächtigen nicht doch größer gewesen sei als von den Behörden eingeschätzt, da sich bei ihm eine einsatzbereite Schusswaffe fand und er auch wegen Körperverletzung vorbestraft war.

Die Betroffenen stellen auch klar, dass nicht behauptet werden könne, dass kein Polizist in die Drohserie verwickelt sei, solange ungeklärt sei, wie der Tatverdächtige an die Polizeidaten kam.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main hatte es als „naheliegend“ bezeichnet, dass der Beschuldigte über fingierte Anrufe an die Daten kam: Er könnte sich als Behördenmitarbeiter ausgegeben und die Datenabfragen in den Polizeirevieren veranlasst haben. Dafür sprächen eine frühere Verurteilung des Festgenommenen für Amtsanmaßung, bei der er sich als Polizist ausgab und ein Schreiben an eine Berliner Behörde, in der er fingierte Anrufe als angeblicher Behördenmitarbeiter einräumte.

Erklärung der Staatsanwaltschaft „wenig plausibel“

Die Betroffenen halten die Erklärung für unwahrscheinlich: „Dass unbekannte Anrufer sich als Polizisten ausgeben und die Daten einer gesamten Familie aus einem Polizeicomputer abfragen können, erscheint wenig plausibel.“

Ihr Fazit: „Es gibt keinen Grund für Entwarnung.“ In Deutschland existiere weiter eine bewaffnete, rechte Szene. „Das reflexhafte Gerede von Einzeltätern ist Teil des Problems, denn das erschwert die Aufklärung von Netzwerken und Unterstützungsstrukturen. Einer wird verhaftet, viele andere machen weiter.“

Der Sonderermittler für die „NSU 2.0“-Drohserie, Hanspeter Mener, bekräftigte auf einem Pressetermin am Mittwoch dagegen nochmals, es deute nach aktuellem Wissensstand nichts auf eine Beteiligung von Polizisten an den Drohschreiben hin. Der „schwebende allgemeine Verdacht“ gegen die Polizei habe sich nicht erhärtet.

Albrecht Schreiber, Leiter der Frankfurter Staatsanwaltschaft, versicherte aber, dass die Ermittlungen fortgeführt würden. Tatsächlich gebe es weiter offene Fragen. Darunter die, wie der 53-Jährige an die Adressdaten seiner Opfer kam und ob er Helfer hatte. „Wir sind nicht am Ende.“

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