Festivalmacherin über ihre Arbeit: „Ich bin Schnelldenkerin“
Tina Heine erfand das Hamburger Elbjazz-Festival und leitet das Festival Jazz & The City in Salzburg. Ein Gespräch über Improvisation und Zuversicht.
taz: Frau Heine, Sie haben als Teenager begonnen, das Saxophonspiel zu lernen. War das der Beginn Ihrer Jazz-Leidenschaft?
Tina Heine: Als großer Jazzfan hat mich mein Vater zu Konzerten mitgeschleppt. Ich dachte: Das will ich auch. Ein paar Jahre habe ich in einer Bigband gespielt, aber ich war echt nicht gut. Und Soli waren nicht mein Ding. Ich konnte es schnell spielen, aber um es schön zu spielen, muss man viel üben. Dazu hatte ich keine Lust, ich habe es immer runtergenudelt. Ich bin sehr ungeduldig.
Muss es bei Ihnen immer schnell gehen?
Mittlerweile weiß ich, dass gewisse Dinge Zeit brauchen. Aber ich bin Schnelldenkerin und Schnellumsetzerin. In Team- Gesprächen merke ich manchmal, dass ich es nicht schaffe, alle mitzunehmen. Zuweilen mache ich etwas und denke erst hinterher darüber nach. Das ist nicht immer gut.
Als Jugendliche waren Sie Mitglied einer Jazzinitiative in Celle, die Konzerte veranstaltet hat. Wen haben Sie da so erlebt?
Mit meiner Bigband waren wir die Vorgruppe des Trompeters Dizzy Gillespie. Schon als Jugendliche bin ich mit solchen Leuten in Kontakt gekommen, ich war früh in dieser Erwachsenenwelt. Schon da habe ich es genossen, hinter den Kulissen zu sein. Wobei mich Wichtigtuer in VIP-Logen nie interessiert haben. Ich will keine Leute treffen, die die Türen geschlossen haben; ich mochte diese unprätentiösen Jazzer, die mit ihrem Instrument zur Tür reinkamen und mit jedem geschnackt haben.
Sie wurden zum Jazz-Aficionado?
Jahrgang 1973, studierte Mathematik und Germanistik auf Lehramt und eröffnete 1996 das Hadleys im Hamburger Grindelviertel. Fortan organisierte sie dort Jazz-Konzerte und rief 2010 ein eigenes Festival ins Leben: das Elbjazz. Die Mutter zweier erwachsener Töchter ist auch als Dozentin tätig, aktuell unterrichtet sie Festivalmanagement an der HfMT Hamburg. Seit 2016 ist Tina Heine Intendantin des Festivals Jazz & The City in Salzburg.
Ich bin kein passionierter Fan gewesen, der sich Hunderte Jazz-Platten gekauft hat. Ich habe auch U2 und George Michael gehört. Mir ging es nie ums Auskennen, ich wollte in der Nähe der Musik sein, in der Nähe der Kreativität. Da hat es Parallelen zu meinem Leben gegeben.
Inwiefern?
Das war immer von Unsicherheiten geprägt, ich hatte oft finanziell schwierige Situationen, habe mich aber immer durchgewurschtelt.
Das Stichwort ist Improvisation. Zu dem Thema haben Sie schon Vorträge gehalten.
Der Satz „Das Wesen der Improvisation ist Zuversicht“ hing lange bei mir im Büro an der Wand. Improvisieren bedeutet für viele: „Wir haben es gerade so eben noch hinbekommen.“ Aber Improvisation ist nicht Rumdaddeln!
Sondern?
Die Merkmale der Improvisation sind Kompetenz, Neugierde, Vertrauen und Zuversicht. Letztere ist für mich der Wesenskern – nach vorne schauen. Und wenn etwas nicht funktioniert, so hat man es immerhin versucht. Für mich ist es eine Kraft und eine tolle Form der Zusammenarbeit. Ich gelte bei manchen als Chaotin, dabei könnte ich gar nicht improvisieren, wenn ich keine Struktur hätte. Als ich nach Salzburg kam, gab es dort kaum Excel-Tabellen zur Projektplanung und Analyse der Besucherströme. Nachdem ich die eingeführt hatte, hieß es gleich, ich würde preußische Strukturen mitbringen. Dass man so etwas einem Last-Minute-Menschen wie mir vorwirft!
In Salzburg sind Sie seit 2016 Intendantin des Festivals Jazz & The City.
Ich nenne mich lieber Kuratorin. Das kommt von „Heilen“, sich um Dinge kümmern. Ich möchte Dienstleisterin sein: Was braucht eine Band? Ich möchte aber auch Teil des künstlerischen Prozesses werden. Wenn du von Anfang an bereit bist, Ideen zu teilen und andere mitdenken zu lassen, wächst etwas organisch weiter. Egal, ob es sich um ein Festival oder eine Bar handelt.
Können Sie die Konzerte Ihrer Festivals richtig genießen?
Ich sitze ungern 60 Minuten in einem Konzert, ich bin viel zu nervös. Das hat sich noch dadurch verschlimmert, dass ich so viele Konzerte gesehen habe. Das hat nichts mit mangelndem Interesse zu tun. Aber eine Stunde lang auf einem Stuhl zu sitzen, ist für mich anstrengend.
Angst, woanders etwas zu verpassen?
Nein. Aber diese Unruhe lässt mich nicht los, auch bei Theaterstücken. Ich würde schon behaupten, dass ich mich konzentrieren kann. Aber wenn ich das Gefühl habe, etwas zu kennen, frage ich mich: Was ist darüber hinaus möglich? Mich interessiert das Gespräch vorher und nachher eigentlich mehr. Gemeinsam mit Musiker*innen zu überlegen, was machbar ist. Das geht mir auch in meiner Bar so: Warum muss man alles nach einer Gastronomie-Logik machen? Zum Beispiel: Warum mixen sich die Leute die Drinks am Tresen nicht selbst?
Ihre Bar ist das Hadleys im Hamburger Grindelviertel, das Sie Anfang 1996 eröffnet haben. Ein Jahr später wurden Sie Mutter. Das klingt anstrengend.
Mir ging es super, ich habe bis zum Tag vor der Geburt gearbeitet und drei Wochen später stand ich wieder im Laden. Die Wohnung lag direkt über der Bar und ich hatte ein Babyfon mit Knopf im Ohr. Meine Kinder haben nicht so viel von ihrer Mutter gehabt wie andere, aber heute sagen sie, sie hätten es nicht anders haben wollen. Es war immer was los! Und sie sind mit vielen Ersatzvätern und Ersatzmüttern und eben nicht nur mit meiner Meinung aufgewachsen.
Ihre Töchter sind inzwischen erwachsen. Sie pendeln zwischen Salzburg und Hamburg, leiten das Hadleys, ein eigenes Festival und kuratieren weitere wie das Supergau-Festival. Wie schaffen Sie das alles?
Nachdem ich einmal bei einem anderen Festival die Barleitung übernommen und nächtelang durchgearbeitet hatte, wurde ich gefragt: „Kokst du eigentlich?“ Aber ich habe noch nie im Leben Drogen ausprobiert. Das sich selbst fütternde System Musik ist meine Droge. Wir machen so schöne Sachen – das ist unglaublich energetisierend. Gleichzeitig erschöpft mich nichts so sehr wie ein Mensch, der es nicht gut meint. Wenn ich Bauschmerzen dabei hätte, täglich ins Büro zu kommen, würde ich das Jazz & the City Festival sofort verlassen.
2010 haben Sie das Hamburger Elbjazz-Festival gegründet und es dann nicht freiwillig verlassen. Ende 2015 wurden Sie als Geschäftsführerin des Festivals abberufen.
Die letzten Monate waren nicht schön. Ich habe mich lange bemüht, weiterzumachen. Aber kurz danach kam schon die Anfrage aus Salzburg. Dort wurde mir der rote Teppich ausgebreitet. Ich bin sehr herzlich begrüßt worden und war überhaupt nicht der blöde Piefke – ich war die, die den frischen Wind aus dem Norden brachte. In Hamburg wurde ich auf meinem freigeistigen Wege nicht so stark unterstützt. Oft kam die Frage vor dem Elbjazz: Was bringt das und wie viele Touristen werden kommen? Dabei generierten wir 60 Prozent der Einnahmen mit Ticketverkäufen, das war und ist sehr ungewöhnlich.
Das erste Elbjazz veranstalteten Sie 2010. Wie kam es dazu?
Das ist aus kleinen Jazz-Reihen entstanden, die ich im Hadleys gemacht habe. Ich hatte damals darüber nachgedacht, ein Festival zu machen, das so groß ist, dass es behauptet: Hamburg ist eine Jazzstadt. Und wenn man es gut macht, dann wird es auch zu einer. Es muss so viel Strahlkraft bekommen, dass es das Highlight eines ganzjährigen Jazzkalenders wird. Wir sind viele Kooperationen eingegangen und durch das Festival haben sich an der Hochschule für Musik und Theater eigens Bands gegründet, die unbedingt beim Elbjazz spielen wollten. Das Festival hat dem Jazz der Stadt Selbstbewusstsein zurückgegeben.
Das Jazz & the City hätte in einem normalen Jahr in mehr als 20 Locations stattgefunden, beim Elbjazz waren es vor allem exotische Orte: Schiffe, Museen, Kirchen, aber auch das Werksgelände von Blohm+Voss.
In den ersten zwei Festival-Jahren existierte sogar noch der Freihafen, die Instrumente mussten bei Einfuhr verzollt werden. Irgendwann steckte einmal ein Kontrabass im Zoll fest und kam nicht wieder heraus – er war nicht eingecheckt worden. Und auf dem Blohm+Voss-Gelände mussten wir Stolperfallen mit Teer ausgießen, damit niemand fällt, schließlich sind das Arbeitsflächen.
Wenn Sie noch einmal das Elbjazz leiten dürften, würden Sie es machen?
Eigentlich würde ich Nein sagen, weil ich mit dem Jazz & the City so viel zu tun habe. Aber in Salzburg, wo Konzerte vor allem drinnen stattfinden, fehlt mir manchmal der Rock ’n’ Roll; Bühnen im strömenden Regen aufbauen, mit Gummistiefeln und Schutzhelm. Frei von Wurstbuden und kommerziellen Zwängen wäre ich beim Elbjazz sofort dabei. Ich sehe in Hamburg noch viel Potential.
Wie sehr haben Ihnen die Maßnahmen zur Corona-Einschränkungen zu schaffen gemacht?
Nichts geht mehr, wie es war – das ist eigentlich eine Situation, die ich liebe. Ich machte mir also Gedanken, was in einer stillgelegten Stadt möglich ist. Und dann kam eine neue Verordnung, und alle Ideen waren obsolet. Selbst damit könnte ich leben. Aber was mich fuchsig macht, ist, dass die Einschränkungen der Kultur in keinem Verhältnis zu den Maßnahmen in anderen Bereichen stehen. Im Flugzeug muss keiner den mittleren Platz freihalten! Regeln, die ich nicht nachvollziehen kann, machen mich verrückt. Ich habe leicht anarchistische Tendenzen und brauche meine Freiheit.
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