Festival für Objekttheater: Ein Besen macht Furore
Alltagsgegenstände und Reinigungsgeräte werden beim „Theater der Dinge“ zu Stars. Das Festival in der Schaubude legt den Fokus auf unbelebte Objekte.
![Eine Frau kauert auf dem Boden vor ihr sind zwei Besen zu sehen, neben ihr die Hände einer weiteren Person Eine Frau kauert auf dem Boden vor ihr sind zwei Besen zu sehen, neben ihr die Hände einer weiteren Person](https://taz.de/picture/6634253/14/Scoooootch-0133-1.jpeg)
Besen, Besen über alles! Dass ein „Festival der Dinge“ den Fokus weg vom Menschen hin zum unbelebten Wesen verschiebt, ist klar. Die sinnliche Beweisführung gibt es jedes Jahr im November in der Schaubude. Bis jetzt hat sich noch keine Festivalausgabe explizit den Reinigungsgeräten gewidmet, aber immer wieder tauchen sie doch unverhofft auf.
So ist der Rezensentin ein äußerst eigenständiger, fast subversiver Staubsauger in lebendiger Erinnerung sowie eine toll gewordene Waschmaschine, die sich selbst zerlegt und ihre Trommel in die Freiheit entlässt. Und dieses Mal ist es der Besen, der Furore macht. Und zwar nicht der wilde Reisigbesen, auf dem bekanntlich Hexen durch die Lüfte brettern, sondern sein biederes Baumarkt-Äquivalent mit den kurzen harten Borsten.
Besen sind zum Kehren da. Genau das macht ein Besen in „Calle Sombra/Schattenstraße“ (David Espinosa, Katalonien). Da er aber gleichzeitig als Schatten existiert, der im Stil einer Laterna Magica auf der Leinwand kreist, verliert er hier seine irdische Schwere und scheint zu fliegen.
In „Scooooootch“ (Les Nouveaux Ballets du Nord-Pas de Calais & Synthèse Additive, Kanada) stehen Besen einsam auf ihren Borsten rum, als würden sie frieren. Um dann plötzlich von halbstarken Frauenfiguren durch die Luft gewirbelt zu werden. Sie stehen wirklich die ganze halbe Stunde, die dieses wunderbare Stück Kindertheater dauert, auf der Bühne.
Fruchtbare Symbiose
Vorhang auf also für eine ganze Besenfamilie, die sich die Aufmerksamkeit der Zuschauenden nur mit ein paar Klebebändern teilen muss. Schnell entwickelt sich aus dieser Bühnen-Koexistenz eine fruchtbare Symbiose, die ihren Höhepunkt in einer maibaumartigen, etwa drei Meter großen Besenskulptur hat, die da steht wie eine Eins.
„Theater der Dinge“: Schaubude, Theater Strahl, Tatwerk, bis 9. November
Auch bei der tschechischen Compagnie „Error Cult“ darf die Borste mit dem Holzstiel nicht fehlen, denn es fällt – ganz profan – ziemlich viel Asche an. Der Besen ist neben dem Räucherstäbchengefäß das einzige Element auf der Bühne, das Materie hat. Das füllt ihn mit Bedeutung auf, wenn man ihn sieht.
Meistens aber ist es bei „Z Popela/Aus der Asche“ stockdunkel im Raum. Lichtpunkte fahren herum, Pyrotechnik mit einem eigenartigen Linksdrall wird entzündet, und als Höhepunkt wird ein Feuer kreiert, in dem die Asche zu einer eigenartigen Skulptur emporwächst, die als Schattentheater auf der Bühnenrückwand erscheint, das Feuer aber nicht.
Die drei Produktionen nehmen das Festivalmotto „Spielräume“ als Einladung, den Spielraum von Objekttheater zu erweitern. David Espinosa beschleunigt das Schattentheater. „Scooooootch“ schafft es, dramaturgisch drei Ebenen zu bespielen. So verknüpft sich Lautmalerei mit Kreativität am Objekt. Und das Besen-Wrestling mit seiner leichtfüßigen Ironisierung sämtlicher Siegerposen sorgt für den pädagogischen Mehrwert.
„Z Popela“ ist zeitweise etwas langatmig, definitiv interessant ist aber der Versuch, sich an einem Theater der materienfreien Elemente zu versuchen. Spannend ist auch, dass „Calle Sombra“ und „Z popela“ ganz ohne Sprache auskommen. Sie komponieren Bilder, die jeder für sich lesen kann.
Besondere Poesie
Auch „Rebetiko“ (Anime Théàtre Frankreich) braucht das gesprochene Wort nicht, erzählt aber mit extrem komplexen Bildern – indem mit Projektionen, Spiegelungen, Gliederpuppen etc. gearbeitet wird – eine dramatische Fluchtgeschichte. Eine besondere Poesie durchzieht die Bildkompositionen auf dem Meer. Als wären es bewegte Turner-Gemälde. Und als die beiden Puppen langsam untergehen und Wasserblasen das Bild durchziehen, ist es, als wäre die vierte Wand zwischen Bild und Materie aufgehoben.
Zwölf Inszenierungen haben Tim Sandweg und sein Schaubuden-Team eingeladen. Den weitesten Weg nach Berlin hat „Uncertain Studio“. Sie haben aus Taiwan ein politisches Table-top-Spiel mitgebracht: „How to F*** the Revolution“. Und mit „The Collection of time in the Polymer Age“ eine Inszenierung, die sich mit Umweltschutz versus Bodenressourcen in Taiwan auseinandersetzt.
Nach „Scooooootch“ sitzen viele Kleinkinder auf der Bühnenfläche des Theater Strahl und tasten sich an die Gegenstände heran, die gerade noch „Theater“ waren. Über der großen Tür hängt eine alte verstaubte Uhr. Stoisch behauptet sie: Es ist 10.15 Uhr und sieht auf die Besenpyramide und das hergelaufene Volk herab. Die Besen haben ihre 15 Minuten Ruhm in doppelter Dosis bekommen und warten trotzdem schon auf den nächsten Auftritt. Ein Besen ist ein Besen. Und er ist ein Star.
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