piwik no script img

Festakt im Jüdischen Museum BerlinKeinen Millimeter zurück

Am Tag nach dem Halle-Attentat feiert das Studienwerk der jüdischen Gemeinschaft sein Jubiläum. Beim Festakt wird klar: Hier resigniert niemand.

Die Feier mit Rabbiner Homolka (links), Knobloch und Zentralratspräsident Schuster (rechts) Foto: dpa

Berlin taz | „Macht Halle alles anders?“, fragt Rabbiner Walter Homolka. Die Violinenmusik, die den Abend eröffnet hat, ist verklungen. Homolka steht auf der Bühne im Glashaus des Jüdischen Museums in Berlin, es ist Donnerstagabend, ein Tag nach dem antisemitischen und rassistischen Attentat auf eine voll besetzte Synagoge und einen Dönerimbiss in Halle. Und es ist der Abend, auf den sich das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (Eles) seit Wochen vorbereitet hat, um sein zehnjähriges Bestehen zu feiern.

„Maseltov“ steht auf großen Bannern hinter Homolka, herzlichen Glückwunsch. Vor ihm sitzen mehrere Hundert Menschen im Raum, darunter zahlreiche ehemalige und aktuelle jüdische Stipendiat*innen des Werkes. Vier von ihnen waren am Mittwoch in der Synagoge in Halle, als der rechtsextreme Attentäter mit selbst gebauten Waffen und Sprengstoff die Tür angriff. Im Publikum sitzen außerdem Sylvia Ehrlich (die Witwe des Namensgebers), der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff, Charlotte Knobloch (die an diesem Abend vom Studienwerk geehrt werden soll) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (der dafür die Laudatio halten will).

Vor einem Jahr habe Eles zum Jüdischen Zukunftskongress das Buch mit dem Titel „Weil ich hier leben will“ herausgebracht, sagt Homolka in seiner Begrüßungsrede. „Trotzig“ sei dieser Titel. „Und heute, einen Tag nach Halle, bekommt diese Aussage ein Fragezeichen.“

Er fragt, ob man nach einer Erfahrung wie der in Halle überhaupt das Zutrauen zurückgewinnen könne, dass der Staat die Sicherheit jüdischer Einrichtungen gewährleisten könne. „Und: Will man überhaupt in einer solch festungsartigen Situation leben, seine Kinder großziehen, auf einem Friedhof ruhen, der mit Handgranaten beworfen wird?“ Es ist ohnehin schon sehr still, während Homolka redet. Am Ende erheben sich alle im Raum für eine Schweigeminute.

Es wird eine Feier

Nicht nur die zehn Jahre wollte man feiern, sondern auch die rund 800 größtenteils jüdischen Menschen, die das Werk in den vergangenen zehn Jahren gefördert hat, darunter Menschen wie der Autor Max Czollek oder Dalia Grinfeld, ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Deutschland. Feiern wollte man auch die Netzwerke und Freundschaften, die entstanden sind, die Projekte, die „Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland“. Eine ausgelassene Feier, die an einem Tag wie dem nach Halle kaum möglich scheint. Ausgelassen wird es nicht. Aber eine Feier wird es, ein Abend des Zusammenseins und des erhobenen Hauptes.

Jom Kippur sei der Tag der Versöhnung, beginnt Frank-Walter Steinmeier. „Doch ich bin voller Zorn.“ Ihn erfülle Trauer über die Toten, „und mich ergreift Zorn über die nicht enden wollende Dummheit, Feigheit und Brutalität der Angriffe auf jüdische Gemeinden in unserem Land“. Er sei es leid, dass Rechtsextremismus „offen das Wort geredet wird“.

Dann geht er zum Festlichen über, zur Laudatio auf Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München-Oberbayern, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und von Anfang an Schirmherrin des Studienwerks. Die Worte zu Halle seien nötig gewesen, aber: „So entschlossen wir uns unseren Gegnern entgegenstellen, so entschlossen sollten wir auch sein, uns von denen nicht die Agenda diktieren lassen“, sagt Steinmeier.

„Unüberhörbare Stimme“

Charlotte Knobloch sei eine „unüberhörbare Stimme, ein Orientierungslicht, ein unschätzbar wertvoller Mensch für uns alle“. Sie gehöre zu jenen, „die in diesem Land etwas wieder aufgebaut haben, das schon unrettbar verloren schien“. Steinmeier würdigt, was Knobloch und die jüdische Gemeinschaft in Deutschland „zum Aufbau dieses demokratischen Staates beigetragen haben“. Es gehe ihr um die „jüdische Sache“, aber gleichzeitig gelte ihr Engagement „der liberalen und weltoffenen Gesellschaft, für die eine Mehrheit in unserem Land steht“.

Dieses Engagement verdiene nicht nur Unterstützung. „Wir werden es vor allem weiter gegen antisemitische Angriffe verteidigen müssen, in Zukunft vielleicht eher noch stärker und noch entschiedener“.

Auch Charlotte Knobloch selbst widmet erst der Trauer einige Worte. „Diese Ereignisse sind heute für uns alle präsent, und das Ausmaß an Hass, das sie offenbaren, bedrückt uns auch an diesem Abend.“ Auch bei einem festlichen Anlass wie diesem dürfe nicht vergessen werden, dass im Hinblick auf die Normalität und Sicherheit von jüdischem Leben noch viel zu tun bleibe. Doch will Charlotte Knobloch an diesem Abend vor allem ihre Freude über und ihren Stolz auf genau dieses jüdische Leben in Deutschland ausdrücken.

Keinen Millimeter zurück

Eles bringe junge jüdische Menschen zusammen, schaffe Netzwerke, stifte Zusammenhalt und wirke so auch weit über die jüdische Welt hinaus, sagt Knobloch. Die jüngeren Generationen hätten möglich gemacht, was für viele lange unvorstellbar schien: „Wie die jüdische Gemeinschaft in unserem Land nach 1945 fortbestand, wie sie nach 1990 rapide wuchs und wie aus dem bescheidenen jüdischen Leben der alten Bundesrepublik die enorme Vielfalt unserer Tage werden konnte – all das hätten außer meinem gottseligen Vater, der zeitlebens ein unverbesserlicher Optimist blieb, wohl nur die wenigsten erwartet.“ Doch der Aufbruch sei spürbar.

Ein israelischer Journalist habe ihn an diesem Tag in Halle gefragt, ob nun nicht die Zeit sei, Jüdinnen und Juden in Deutschland aufzufordern, nach Israel zu gehen, sagt Zentralratspräsident Josef Schuster. Aber es sei falsch, „aus Angst Deutschland den Rücken zu kehren“. Er persönlich sei „nicht bereit, das, was unsere Großeltern und Eltern aufgebaut haben, preiszugeben“. Er sei nicht bereit, „auch nur einen Millimeter zu rücken“, nur weil Rechtsextreme das so wollten.

Und das will auch sonst niemand im Raum. Man wolle Gesellschaft gestalten, sagt Eles-Geschäftsführer Jo Frank. Man werde sich nicht unsichtbar machen. Ein „Ort jüdischer Selbstbehauptung“ sei Eles. Einen „demokratischen Streitraum“ nennt Alumna Hannah Peaceman das Werk, und das sei gut. „Ich glaube nicht, dass es starkes jüdisches Leben in Deutschland ausmacht, mit nur einer Stimme zu sprechen.“

Der Saal steht auf

Von einer „besonderen Zusammenarbeit und Freundschaft“ spricht Hakan Tosuner, Geschäftsführer des muslimischen Begabtenförderungswerks Avicenna. Man teile die Erfahrungen von Migration und Ausgrenzung. Der jüdisch-muslimische Schulterschluss sei wichtiger denn je. „Egal ob Synagogen oder Moscheen angegriffen werden, ob Männer mit Kippa oder Frauen mit Kopftuch – wir müssen uns solidarisieren. Ich bin unendlich dankbar, dass es Eles gibt.“

Bevor am Schluss die neuen Stipendiat*innen auf die Bühne kommen und minutenlang laut beklatscht werden, dankt Eles-Geschäftsführer Jo Frank nacheinander den Freund*innen, den Mitarbeitenden, den Unterstützer*innen, den Studierenden und den Ehemaligen und bittet sie, sich zu erheben. „Werdet sichtbar“, sagt er. Am Ende steht der ganze Saal; es ist ein kollektives Erleben des Zusammenstehens.

„Macht Halle alles anders?“, hat Walter Homolka zu Beginn des Abends gefragt. Und er hat selbst eine Antwort gegeben, die durch jeden Redebeitrag, jedes Klatschen an diesem Abend nur noch verstärkt wurde: „Es wird an uns liegen, das zu verhindern.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "Er sei es leid, dass Rechtsextremismus „offen das Wort geredet wird“."



    Meint er da auch die (Staats)medien, die AFD-Leuten (auch kurz nach dem Angriff des Nazis in Halle) das Mikro hinhalten?