Feministin über Konflikte: „Wir müssen das Verbindende finden“

Der deutsche Feminismus ist von Spaltungen geprägt, aktuell etwa beim Nahost-Krieg. Stefanie Lohaus plädiert in ihrem Buch für mehr Pragmatismus.

Zwei Frauen sitzen einander gegenüber im Fenster

Berlin, Kreuzberg in den 80er Jahren: Frauen singen am Fenster des Frauenzentrums Schokofabrik Foto: Ann-Christine Jansson

taz: Es gibt den Spruch: „In die Vergangenheit guckt nur, wer Angst vor der Zukunft hat.“ Ist Ihr Rückblick auf fünf Jahrzehnte deutscher Feminismus auch aus Angst vor einem Blick in die Zukunft entstanden, Frau Lohaus?

Stefanie Lohaus: Nein. Und die Aussage ist totaler Quatsch. Um die Gegenwart zu verstehen, musst du die Vergangenheit kennen. Für die Zukunft lernen ist etwas schwieriger, weil Dinge sich nicht eins zu eins wiederholen, aber es lassen sich Gefahren und Möglichkeiten besser erkennen. Ich selbst hatte lange ein oberflächliches Bild von der feministischen Bewegung, später lernte ich durch das Missy Magazine viel über Popfeminismus, aber kaum etwas über institutionalisierten Feminismus. Ich glaube, so geht es vielen. Deswegen ist mein Buch der Versuch, die verschiedenen politischen Richtungen und Formen des Aktivismus aufzuzeigen.

Stefanie Lohaus

Jahrgang 1978, ist Mitbegründerin und Mitherausgeberin des „Missy Magazine“. Sie arbeitet als Autorin und ist Teil des Leitungsteam der EAF Berlin. Im Herbst erschien ihr erstes Buch: „Stärker als Wut – Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht“. Suhrkamp Verlag 272 Seiten, 20 Euro

Und was kann man daraus dann lernen?

Dass die Bandbreite an Optionen und Strategien ihre Berechtigung hat. Mir geht es bei allem Widerspruch darum, das Verbindende zu finden. Oft tun wir so, als ob die verschiedenen Gruppen und Strömungen kaum Berührungspunkte haben. Dabei kann sowohl ein Staatsfeminismus als auch ein linksradikaler Feminismus etwas bewirken. Die Konflikte sollten nicht alles bestimmen, sondern man sollte lieber immer mal wieder gucken, wo man zusammenarbeiten kann.

Die Frage ist aber, mit wem man bereit ist, Bündnisse einzugehen. Ich kann von einer trans Person ja nicht erwarten, mit transfeindlichen Feminist_innen auf die Straße gehen.

Das stimmt. Ich plädiere dafür, Ausschlüsse, die man erzeugt, mitzudenken und sich solidarisch zu zeigen. Und eine Zusammenarbeit soll nicht bedeuten, keine Kritik zu äußern. Es geht nicht darum, sofort ein Bündnis einzugehen, sondern punktuell zusammenzuarbeiten. Denn wenn man sich in einer Frage uneinig ist, kann man sich ja in vielen anderen einig sein. Wir können Schnittmengen erkennen und strategisch nutzen.

Trotz aller Risse und Streitthemen behalten Sie einen positiven Grundton. Woher kommt der?

Das liegt darin, dass ich Pragmatikerin bin. Mir geht es nicht darum, eine ideologische Einigkeit zu erzielen. Handlungsleitend für meinen Feminismus ist, sich daran zu orientieren, was Praktikerinnen sagen. Wenn ich mich mit komplexen Themen wie Sexarbeit beschäftige, dann haben für mich diejenigen die schlagendsten Argumente, die selbst Sexarbeit ausüben oder die professionell mit Sex­ar­bei­te­r*in­nen arbeiten, wie etwa Sozialarbeiter*innen. Für mich steht dann nicht die Frage im Vordergrund: Ist Sexarbeit befreiend oder unterdrückend? Mir geht es darum, wie ist die soziale Situation von Leuten und was machen bestimmte Gesetzesvorhaben mit den betroffenen Personen.

Ihr Buch deckt wichtige feministische Meilensteine ab: Vom legendären Tomatenwurf 1968 beim Kongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds über die Situation der Frau in der DDR bis zur Abschaffung von Paragraf 219a. Andere Errungenschaften wie der Streik der türkischen Gastarbeiterinnen, die für die Abschaffung der Leichtlohnklassen gekämpft haben, fehlen. Wie entscheidet man, was in die Geschichte gehört und was nicht?

Man muss ein Buch der deutschen Feminismusgeschichte auf Lücke schreiben, das geht nicht anders, aber es hat mich auch sehr frustriert beim Schrei­ben. Ich habe dann ganz persönlich entschieden, weil ich versucht habe, meine Erfahrungen in einem größerem Kontext zu sehen. Dafür habe ich verschiedene Themenbereiche ausgemacht und jeden mit mindestens einem Beispiel abgedeckt. Die Relevanz von migrantischem Feminismus in Deutschland taucht dann an anderer Stelle auf.

Die meisten Eckdaten, die mir einfallen, sind Jahrzehnte her oder relativ aktuell. Es scheint, der Feminismus hätte in den 90er und 00er Jahren eine Pause gemacht. Ist da was dran?

Ich glaube, dieser Eindruck entsteht, weil Feminismus nicht nur als politischer Aktivismus, sondern auch als Jugendbewegung verstanden werden kann. In den 70ern ist im Feminismus eigene Mode entstanden, Räume wurden besetzt, Zeitschriften und Gruppen gegründet. Irgendwann war diese Zeitspanne vorbei, die Frauen sind älter geworden, haben aufgehört, sich aktivistisch zu engagieren, oder sind in die Institutionen gegangen. In den 90ern gab es in den USA mit den „riot girls“ wieder eine Jugendbewegung, aber die kam in Deutschland nur punktuell an. Erst Ende der 00er Jahre kam der Feminismus hier richtig zurück. Es entstanden Magazine und Blogs, Feminist_innen haben sich im Netz zusammengefunden. Eine super aufregende Zeit.

War Feminismus früher wirkmächtiger als heute?

Ja, der Widerspruch zwischen dem Zustand der Demokratie und wie sie sein sollte, war früher größer, deswegen konnte die Bewegung wirkmächtiger sein. Wenn man sich den Frauenanteil der 80er Jahre in Politik, Wissenschaft oder Journalismus anschaut, war die Hälfte der Bevölkerung kaum sichtbar. Heute wirkt der Sexismus subtiler, aber wir haben immer noch keine Chancengerechtigkeit, und geschlechtsspezifische Gewalt wird auch nicht weniger.

Die ist ein Schwerpunktthema der Bewegung in den letzten Jahren. Mit #Aufschrei und später #MeToo haben Feminist_innen das Thema in die Mehrheitsgesellschaft gebracht. Welchen Erfolg hat das gehabt?

Das Bewusstsein für diese Problematik ist auf jeden Fall gewachsen. Auch Menschen aus konservativen Bereichen sagen jetzt, dass Sexismus nicht akzeptiert werden darf. Und ich glaube auch, dass sich vor allem jüngere, von Sexismus betroffene Personen stärker zur Wehr setzen.

Aber dieses Bewusstsein reicht nicht, um die Gewalt zu beenden.

Es gibt eine Tätergruppe, die gar nicht davon überzeugt ist, dass alle Menschen gleich viel wert sind. Und von dieser geht dann eben geschlechtsspezifische, rassistische, antisemitische oder queerfeindliche Gewalt aus. In einem ersten Schritt müsste man diese Menschen zum Umdenken bringen. Wenn das nicht gelingt, müssen sie abgehalten werden, Gewalt auszuüben. Wenn das nicht gelingt, müssen Betroffene geschützt werden. Und wenn das nicht gelingt, müssen sie im Nachhinein besser unterstützt werden.

Und was braucht es, damit diese Schritte konkret umgesetzt werden können?

Es gibt Gesetze, die vor geschlechtsspezifischer Gewalt schützen sollen. Aber ein Gesetz führt nicht dazu, dass etwa Richter_innen entsprechend geschult sind, Täter-Opfer-Umkehrungen oder Vergewaltigungsmythen erkennen. Neben einer optimalen Gesetzeslage braucht es also Sensibilisierungstraining und entsprechende Ausstattung in allen Bereichen. Von den Behörden bis zu Frauenhäusern. Und das Ganze rassismussensibel und transinklusiv. Es gibt einfach noch zu viele Probleme. Aber jede Verurteilung und jede Hashtag-Aktion bringt uns einen Schritt nach vorne. Aber es ist eben ein langwieriger Prozess, der durch gegenläufige Tendenzen auch aufgehalten werden kann.

Aktuell ziehen sich Feminist_innen aus sozialen Medien und damit auch aus den öffentlichen Debatten zurück.

Ja, gerade findet ein richtiger Backlash statt und das ist sehr bedrohlich. Die öffentliche Debatte findet in wenigen Netzwerken statt, deren Privatbesitzern man quasi willkürlich ausgesetzt ist. Der Schutz gegen rechts fehlt. Die Sichtbarkeit ist von deren Algorithmen abhängig und gerade Feminist_innen haben es da mit ihren Themen nicht leicht.

Jüdische Stimmen wie Dana Vowinckel und Dana von Suffrin haben sich von Plattformen wie Instagram abgemeldet, auch wegen fehlendem Rückhalt aus der Bubble der intersektionalen Feminist_innen. Ist das ein strukturelles Problem?

Ja, das scheint mir ein strukturelles Problem, ich würde sogar sagen, es ist ein kollektives Versagen. Dabei finde ich Intersektionalität ein gutes Konzept – es muss aber antisemitismuskritisch erweitert werden. Verstehen, wie Antisemitismus funktioniert und dass er sich eben spezifisch unterscheidet von Rassismus.

Man sollte das Konzept also noch nicht beerdigen?

Es funktioniert gut als Anleitung, um Mehrfachdiskriminierungen zu erkennen und daraus Antidiskriminierungsmaßnahmen zu schaffen. Aber man sollte das Konzept nicht überhöhen. Es verhält sich ähnlich wie mit postkolonialen Theorien. Die haben uns enorm weitergebracht und einen Teil der Welt erklärt, aber wenn man überall nur noch Kolonien und Kolonisatoren sieht, macht das keinen Sinn. Besser ist doch, zu sagen: Das hier ist eine Philosophie, eine Theorie oder ein Konzept, was dieses oder jenes Problem erklärt oder auch beheben soll, aber es muss ja nicht gleich die ganze Welt erklären. So sehe ich das auch mit feministischen Theorien. Keine für sich allein genommen wird Sexismus abschaffen.

Der Streit um Intersektionalität wird die Bewegung sicherlich noch länger beschäftigen. Blicken Sie trotz aller Streitthemen auch positiv in die Zukunft?

Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Auf politischer Ebene sehe ich gerade erst einmal Stillstand und fehlende Ressourcen. Und es gibt natürlich die Gefahr des Backlash, gerade wenn die AfD mehr politische Macht bekommt. Umso wichtiger, dass feministische Bewegungen dagegen halten.

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