Feinstaub-Forschung in Leipzig: Pekinger Atmosphäre

Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung kann bald simulieren, wie sich Feinstaub in der Luft verhält. Diese hat sich in Leipzig jüngst verbessert.

Eine Wolkenfront schiebt sich vor den blauen Himmel

Die Luft über Leipzig: So manches gesundheitsgefährdendes Partikel sinkt hier ab Foto: imago/robertharding

LEIPZIG taz | Im Leipziger Osten entsteht in Gebäude 23.6 bald eine neue Atmosphäre. Von außen wirkt dieses Gebäude wie eine Sammlung von Containern mit großen Fenstern, die aufeinandergestapelt wurden. Im Innern führen dunkelblaue Flure in Labore mit blubbernden Reagenzgläsern und Laserstrahlen. Das Herzstück von 23.6 befindet sich in der Mitte: eine deutschlandweit einzigartige Doppelkammer, in der eine Atmosphäre erzeugt werden kann.

„Eigentlich funktioniert die Kammer wie ein großes Solarium“, sagt Hartmut Herrmann. Er hat das neue Gebäude konzipiert, seit Anfang November gehört es zum Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos). Seit knapp zwanzig Jahren ist Herrmann Professor für Atmosphären­chemie an der Universität Leipzig, daneben leitet er die Chemieabteilung am Tropos.

Herrmann ist ein vielgefragter Mann, im Bereich der Atmosphärenchemie ist er weltweit eine Instanz. Von Laienfragen lässt er sich dennoch nicht aus der Ruhe bringen: Ausdauernd und gelassen versucht er dem Autor die chemischen Zusammenhänge anschaulich zu erklären. Das ist auch bitter nötig, denn wie, bitte schön, erzeugt man eine künstliche Atmosphäre?

In der Doppelkammer stehen dazu auf einem Podest zwei große Aluminiumwürfel, in deren Mitte jeweils ein 19 Kubikmeter großer Teflonsack hängt, der lichtdurchlässig ist. „Den füllen wir dann mit verschiedenen Gasen, schalten die Solariumstrahler ein und schauen, wie sie miteinander reagieren“, sagt Herrmann. Wenn die Doppelkammer im Frühjahr einsatzbereit ist, könne man etwa die Atmosphäre in Peking simulieren und so nachvollziehen, welche chemischen Prozesse dort ablaufen. Und das sind eine ganze Menge.

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Lange Zeit glaubte man, dass die Atmosphäre wie eine Art Müllhalde funktioniert: Stoffe, die in die Atmosphäre gelangen, bleiben auch dort. Neuere Forschungen ergaben hingegen, dass einzelne Stoffe wieder absinken und an Feinstaubpartikel andocken können. Das macht sie mitunter sogar gesundheitsschädlicher als vorher. Bei der Verbrennung von Holz und Briketts im Ofen entstehen etwa sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die in der Atmosphäre dann zu krebserregenden Stoffen umgewandelt werden können. Vor allem diese Stoffe werden in der Doppelkammer untersucht.

Je kleiner die Partikel, desto gefährlicher

Neben chemischen Prozessen analysieren die Forscher in den Laboren von 23.6 künftig auch Feinstaubproben. Feinstaub ist unsichtbar, die Partikel besitzen einen Durchmesser von weniger als 10 Mikrometern. Dabei handelt es sich um Reifen- und Bremsenabrieb, Rußpartikel, Pollen oder Baustellenstaub. Je kleiner der Partikel, umso gesundheitsschädlicher kann er sein. Während größere Teile im Nasen- und Rachenbereich hängen bleiben, landen die kleineren Partikel in den feinen Verästelungen der Lunge oder gelangen sogar bis ins Blut. Asthma, Schlaganfälle und Lungenkrebs werden so laut neueren Forschungen begünstigt.

Um diese Feinstaubpartikel zu untersuchen hat das Institut eine Wohnung an der Ecke Hermann-Liebmann-Straße/Eisenbahnstraße gemietet. Seit 15 Jahren messen die Forscher an der vielbefahrenen Kreuzung. „Jetzt im Winter besteht eine Probe aus circa 20 Prozent Diesel- und Ofenruß“, sagt Herrmann. „Bis zu 10.000 weitere Substanzen können in einem einzigen Partikel enthalten sein.“

Nach der Probenanalyse können die Forscher direkt sagen, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden oder nicht. Der Tagesgrenzwert für Feinstaub liegt bei 50 Mikrogramm pro einem Kubikmeter Luft. An höchstens 35 Tagen im Jahr darf dieser Grenzwert überschritten werden. An der Ecke Eisenbahnstraße/Hermann-Liebmann-Straße hat sich die Luftqualität in den letzten Jahren indes verbessert, sagt Herrmann. Das liege vor allem daran, dass die Eisenbahnstraße anders als zu Beginn der 2000er Jahre nicht mehr vierspurig sei.

Auch an anderen Verkehrsknotenpunkten wie der Lützner Straße werden die Tagesgrenzwerte seltener überschritten, laut einer Statistik des Sächsischen Landesamtes für Umwelt bislang 22 Mal dieses Jahr; 2006 waren es noch mehr als 70 Tage. Eine komplette Entwarnung kann der Wissenschaftler aber nicht geben. Neben Feinstaub seien noch zu viele Stickoxide in der Luft. Vor allem ältere Dieselmotoren stoßen vermehrt das gesundheitsschädliche Gas aus, dürfen dank Abgasnorm Euro 4 und grüner Plakette aber nach wie vor in die Leipziger Innenstadt fahren.

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