Fehler bei Terrorermittlungen: Nicht der Mann mit dem Hut
„Das wird man nie wieder los“, sagt Adnan Ahmad. Er wurde nach den Attentaten in Brüssel als Terrorist verdächtigt.
„Was habe ich mit der Polizei zu tun“, denkt er, während er verwundert etwas zum Anziehen sucht. Seine Mutter hat die Tür geöffnet, und schon stehen die Polizisten im Obergeschoss neben ihm. „Dies ist eine Hausdurchsuchung“, verkündet einer der Beamten. Ahmad ist perplex. Eine Hausdurchsuchung, bei ihm, wie kommen sie darauf? Er übergibt ihnen, wonach sie fragen: die Schlüssel von Wohnung und Betrieb, Autoschlüssel, Telefon, Portemonnaie.
„Worum geht es eigentlich, Meneer?“, fragt er einen Polizisten. – „Du wirst gesucht wegen Terrorismus. Du musst mitkommen.“ Er erschrickt, zugleich muss er lachen, daran erinnert er sich noch genau. Absurd ist das. Warum sollte man ihn, den friedfertigen Inhaber einer Ambulanzfirma, der noch nie mit Politik zu tun hatte, der schon jahrelang nicht mehr in die Moschee geht, mit Extremismus in Zusammenhang bringen?
Zum Lachen ist das freilich nicht. Ehe er sich versieht, wird er in Handschellen die Treppe heruntergeführt. „Sie können Papa doch nicht einfach so mitnehmen“, wird seine siebenjährige Tochter später sagen.
Stundenlanges Warten
Adnan Ahmad landet in einer Zelle im Keller der Bundespolizei, Abteilung Hasselt. Er bekommt ein Glas Wasser und die Antidepressiva, die er schon seit Längerem gegen Stress schluckt. Nach Essen fragt er vergeblich. Einmal verlegt man ihn in eine andere Zelle. Dann wartet er wieder, stundenlang, und ohne eine Ahnung, wie es weitergeht. Längst ist es dunkel geworden, als sich die Zellentür öffnet. Es ist fast Mitternacht. Zwei Beamte, die ihrem Akzent nach nicht von hier sind, bringen ihn in Handschellen in ein karges Verhörzimmer. Eine schwere Tür, ein Tisch, ein Schreibtisch mit Computer, an der Decke eine Kamera.
„Wo waren Sie am 22. März?“, fragt einer der beiden Beamten. Der Tag, als der Terror nach Brüssel kam. Ahmad weiß es nicht genau. Sein Alltag ist so eng getaktet, dass er sich kaum je erinnert, was er am Abend zuvor gegessen hat. Doch zugute kommt ihm jetzt, dass er, der lange als Informatiker gearbeitet hat, über ein Telefon verfügt, auf dem ständig alle Kanäle auf „on“ stehen. GPS, Wi-Fi, Blue Tooth. Darauf weist er die Polizisten hin. Das Telefon müssten sie längst untersucht haben. Seine Wege zu rekonstruieren ist ein Leichtes. Die zweite Frage macht ihm Angst. „Sind Sie der Mann mit dem Hut?“
Das ist ein schlimmer Verdacht. Weit schwerwiegender als der Vorwurf, radikalisiert zu sein oder entsprechende Freunde zu haben. Dies ist der konkrete Verdacht, Adnan Ahmad könnte der meistgesuchte Terrorist des Landes sein. Der dritte, verhinderte Attentäter bei dem Anschlag auf den Flughafen Zaventem, dessen Bild in den letzten Tagen überall in den Nachrichten war.
Ein Foto im Übrigen, über das sich Adnan Ahmad ereifert hatte. Wenn ich im Auto geblitzt werde, dachte er, bin ich auch bei Tempo 250 scharf zu erkennen. Aber die Kameras auf dem nationalen Flughafen liefern eine Qualität wie ein Handyfoto aus dem Jahr 2000. Eine Schande, befand der IT-Experte Adnan Ahmad. Der Terrorverdächtige Adnan Ahmad realisiert plötzlich, wie gefährlich dieses verschwommene Foto ist, denn irgendeine Gesichtspartie gleicht fast bei jedem dem Mann mit dem Hut.
Türen aufgebrochen, Computer konfisziert
„Ich habe kein Hut. Ich weiß nichts davon“, hört er sich sagen. Was soll er sonst antworten? Und was für ein seltsames Verhör ist das eigentlich? Schon ist es vorbei, sie bringen ihn zurück in die Zelle und kurz darauf in einen Polizeibus, der wenig später vor dem Haus seiner Eltern hält. Man lässt ihn aussteigen und öffnet ihm wortlos die Handschellen. Die Türen des Busses schließen sich, dann fährt er davon. Es ist etwa ein Uhr in der Nacht.
Die Eltern, 1991 als politische Flüchtlinge aus Pakistan gekommen, sind noch wach, sie drücken ihn an sich und sagen, dass alles gut wird. Aber das wird es nicht.
Adnan Ahmad
Dass man Ahmad freigelassen hat, bedeutet weder, dass man ihm glaubt, noch, dass der Horror vorbei ist. Man sieht das wenige Stunden später: In der Dämmerung untersuchen Polizisten den Krankenwagen, den Adnan Ahmad vor dem Haus der Eltern geparkt hat. Sie öffnen Türen und Motorhaube, durchsuchen das Auto. 2015 kaufte der Jungunternehmer den fast bankrotten Ambulanzbetrieb auf, in dem sein Vater schon seit sechs Jahren gearbeitet hatte, und machte daraus den größten der Region.
Das ganze Ausmaß eines Terrorverdachts entfaltet sich erst, als er am nächsten Tag ins Büro kommt. Obwohl sie die Schlüssel ja hatten, haben die Beamten die Türen aufgebrochen und Computer und Geschäftsunterlagen konfisziert. Sämtliche Krankenwagen wurden beschlagnahmt, auch die Privatautos aller 18 Angestellten. Etwa 12 Abschleppwagen müssen im Einsatz gewesen sein, während Ahmad in der Zelle wartete. Sogar die Ausfallstraße zwischen Stadtzentrum und Autobahn, an der sein Betrieb Ambumedical liegt, wurde gesperrt. Mitarbeiter, die zur Arbeit erschienen, ließen die Beamten mit vorgehaltener Pistole aussteigen.
Später erst wird Adnan Ahmad von der Staatsanwaltschaft erfahren, wie er ins Blickfeld der Fahnder geriet. An dem Tag, an dem man ihn festgenommen hat, sollte in Brüssel eine große Gedenkfeier für die Opfer der Anschläge stattfinden. Die Antiterrorbehörde OCAD hatte einen anonymen Hinweis bekommen, dass dort eine Bombe explodieren sollte, die in einem Krankenwagen versteckt wäre. Adnan Ahmad ist anscheinend der Einzige aus einer Migrantenfamilie, der hierzulande eine Ambulanzfirma betreibt. Als Informatiker, der schon in jungen Jahren für internationale IT-Unternehmen arbeitete, ist ihm klar: Statt auf Intelligenz zu setzen, wurde hier ethnisch profiliert.
„In dieser Zeit kurz nach den Anschlägen wurden viele potentielle Verdächtige gescreent“, erläutert Yves Driesen, Kommissar der Bundespolizei Hasselt. Es ist Sommer, und der Mann mit dem Hut ist längst gefasst. Im Büro von Ahmads Firma hängt ein Schreiben der Staatsanwaltschaft, dass die Ermittlungen eingestellt sind. Und doch steht Ahmad vor einem Trümmerhaufen. Sein Betrieb ist beinahe bankrott. Als er unter Terrorverdacht geriet, kündigte ein Krankenhaus die Zusammenarbeit, Geschäftspartner beglichen die Rechnungen nicht mehr. Lange konnte Ahmad nicht einmal Rechnungen stellen, weil die Geräte konfisziert waren. Zwei Drittel der Mitarbeiter sind inzwischen entlassen.
Auch in Ahmads eigenem Appartement in der Stadt fand im März eine Razzia statt. Zahlreiche Geräte wurden beschlagnahmt, ohne dass eine exakte Inventarliste angelegt worden wäre. Wochenlang musste sich Ahmad mit den Behörden herumschlagen. Noch immer sind nicht alle Computer wieder freigegeben, andere bekam er nur zurück, weil er einen Anwalt einschaltete und Klage gegen die Behörden einreichte: „Weil sie mir meinen Besitz nicht zurückgeben, wegen körperlichem und emotionalem Schaden sowie Geschäftsschädigung. Und wegen Rassismus.“ Beamte der Föderalen Polizei nannten ihn „brauner Affe“, Ahmad kennt dieses Schimpfwort seit seiner Schulzeit.
Drei weitere Verhaftungen
Seit der Klage fühlt er sich jedoch mehr denn je „wie ein Wild im Scheinwerferlicht“. Dreimal schon wurde er kurzfristig verhaftet und nach einigen Stunden wieder freigelassen. „Einmal wollte ich ein Sandwich kaufen. Ein Polizist kam auf mich zu, fragte mich nach meinem Ausweis. Dann drückte er mich auf den Bordstein, legte mir Handschellen an, meine Kleider waren zerrissen, die Lippe geschwollen, ich hatte eine Wunde am Arm. Ein paar Stunden in der Zelle, dann konnte ich wieder gehen.“ Die Staatsanwaltschaft Hasselt weiß auf Nachfrage der taz nichts von dem Vorfall. Seit Wochen wartet Adnan Ahmad vergeblich auf eine Kopie seiner Verhörprotokolle.
Am Ende dieser Geschichte steht die totale Entfremdung. „Mit Belgien bin ich fertig“, sagt Ahmad, und einmal mehr fällt auf, wie sehr er den lokalen Tonfall angenommen hat. „Ich habe einen Teil meiner Identität hinter mir gelassen, in Pakistan, und einen Teil von hier habe ich angenommen. Den haben sie mir weggenommen.“ Eine Entschuldigung für alles, was ihm widerfuhr, hat er nie bekommen.
Bekannte, ehemalige Mitarbeiter, Eltern aus der Schule seiner Töchter gehen auf Abstand. „Wo Rauch ist, ist auch Feuer, denken sie“, sagt Adnan Ahmad. „Terrorismuserdacht, das wird man nie wieder los.“ Eine Annäherung an die muslimische Identität seiner Eltern kommt für ihn, der sich selbst einen Atheisten nennt, nicht infrage. „Ich fange doch nicht wieder an zu glauben, weil ich ungerechtfertigt festgenommen wurde.“
Sein Beschluss, wegzugehen, steht fest. Wohin, das weiß er noch nicht, nur dass ihm der Abstand zu Belgien kaum groß genug sein kann. Für die Zukunft seiner Töchter. Und wenn er selbst sich je wieder als freier Bürger fühlen soll, kann das nicht hier sein. „Dieses Gefühl haben sie mir genommen. Und das Gefühl von Zuhausesein, das ich hier hatte.“ Was ihn noch umtreibt, ist die Suche nach seinem früheren Ich. „Wie kann ich wieder frei sein, der glückliche, friedliebende Mensch, der ich früher war? Diesen Adnan habe ich verloren.“
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