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Fazit der WirtschaftsweisenFriseure und Mütter sind zu teuer

Der Sachverständigenrat warnt: Mindestlohn und Renten-politik gefährden das Wachstum der deutschen Wirtschaft. Einige sind vom Urteil irritiert.

Der Mindestlohn gilt auch bald für die Friseur-Branche. Bild: dpa

BERLIN taz/rtr | Die deutsche Wirtschaft wird schwächer wachsen als erwartet: Der Sachverständigenrat rechnet nur noch mit einem Plus von 1,0 Prozent für 2015, wie seinem Jahresgutachten vom Mittwoch zu entnehmen ist. Für dieses Jahr wurde die Prognose von 1,9 auf 1,2 Prozent gesenkt.

Auch andere Forschungsinstitute haben ihre Erwartungen für das kommende Jahr nach unten korrigiert. Trotzdem löste das Jahresgutachten eine heftige Kontroverse aus. Denn die „Wirtschaftsweisen“ stellten ihren rund 400-seitigen Text unter den programmatischen Titel „Mehr Vertrauen in die Marktprozesse“. Die Politik sei schuld an der Wachstumsschwäche: Mindestlohn und Rentenreformen würden die Wirtschaft belasten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte bei der Übergabe des Gutachtens süffisant: „Es ist nicht ganz trivial, zu verstehen, wie ein Beschluss, der noch nicht in Kraft ist, jetzt schon eine konjunkturelle Dämpfung hervorrufen kann.“ Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde greift erst im kommenden Jahr und wird flächendeckend nicht vor 2017 gelten.

Bis dahin kann es abweichende Tarifverträge in einzelnen Branchen geben, die geringere Löhne vorsehen. Auch die Rentenreformen belasten die Wirtschaft bisher nicht. Vielmehr wird der Beitragssatz 2015 von derzeit 18,9 auf 18,7 Prozent fallen. Unbeirrt vermuten die Sachverständigen „Vertrauenseffekte“, die sich „negativ bemerkbar gemacht“ haben könnten.

Nicht nur die Bundeskanzlerin findet diese Analyse seltsam. Auch SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi kritisierte, dass das Gutachten „viel zu wenige ökonomische Fakten“ enthielte. „Es wird den wissenschaftlichen Anforderungen an ein solches Gutachten nicht gerecht.“

Erstaunliche Effekte

Der Sachverständigenrat besteht aus fünf Volkswirten, die von der Regierung berufen werden, weshalb das Gremium im Volksmund oft auch „die fünf Wirtschaftsweisen“ heißt. Momentan amtieren dort vier Neoliberale – und der Keynesianer Peter Bofinger.

Faktisch besteht das Gutachten daher aus zwei Expertisen, denn Bofinger hat zu allen wesentlichen Kapiteln ein Minderheitenvotum abgegeben. Zum Mindestlohn schreibt er beispielsweise, dass die Erfahrungen bisher durchweg positiv waren. So gilt bei den Friseuren seit 1. November 2013 ein branchenspezifischer Mindestlohn, der im Westen 8 Euro pro Stunde und im Osten 7,50 Euro beträgt.

Erstaunliches Ergebnis: Die Zahl der arbeitslosen Friseure ist seither gesunken. Genau das gleiche Phänomen ist auch in der Fleischindustrie zu beobachten, die seit August 2014 einen Mindestlohn hat. Auch dort ist die Arbeitslosenquote überdurchschnittlich stark gesunken.

Den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gibt es seit 1963. Allerdings hat er stark an Bedeutung verloren, weil die Konkurrenz immer größer wird. So geben Wirtschaftsforschungsinstitute im Frühjahr und im Herbst ihre „Gemeinschaftsdiagnose“ ab. Hinzu kommen Konjunkturvorhersagen der EU-Kommission, des Internationalem Währungsfonds, der OECD und der Bundesbank.

Auch zu einzelnen Themen werden immer wieder Gremien gebildet. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat vor Kurzem eine Expertenkommission berufen, die sich mit der „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ befassen soll und von DIW-Chef Marcel Fratzscher geleitet wird. Dieser Konkurrenz kann der Sachverständigenrat nicht viel abgewinnen. „Für eine pathologische Schwäche bei den privaten Investitionen gibt es keine Anhaltspunkte.“

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11 Kommentare

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  • Leider ist das Jahresgutachten zur neoliberaler Propaganda verkommen. Seit Jahr und Tag sind die Prognosen nicht mehr zutreffend. Und wenn es mal gestimmt hat, da hat man aber Glück gehabt.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Es ist schon erstaunlich, dass all die Experten und Institute niemals, aber wirklich auch niemals auf die anhaltende Schwäche des hiesigen Privatkonsums hinweisen. Seit Anfang der 90er sind die realen Einzelhandelsumsätze nicht gestiegen und wenn man sich den Graphen anschaut, gibt dies einem bisschen zu denken:

     

    http://www.querschuesse.de/wp-content/uploads/2014/07/1a215.jpg

     

    Die Behauptugen, dass wir entweder a)saturiert oder b)genügsam sind, sind ökonomisch betrachtet Quatsch. Die Franzosen hatten dann anscheinend Nachholbedarf, weil bei Ihnen war der Konsum nicht der ungeliebte Sttiefsohn des Exports:

     

    http://www.querschuesse.de/wp-content/uploads/2012/02/1a48.jpg

     

    Die Einstellung, dass die Löhne und Sozialleistungen v.a. Kosten sind, scheint mittlerweile, auch in der SPD, weit verbreitet sein. Diese Austerität im inneren wird auf uns noch böse zurückfallen, wenn das Model "Export" einknickt und kein robuster Konsum als Stütze vorhanden ist.

     

    Dass die "Weisen" jetzt gegen den Mindestlohn stänkern, der v.a. bei nicht international konkurrierenden Branchen von Bedeutung sein dürfte, kann man nur mit verteilungspolitischen Präferenzen erklären. Man möchte sich eine demütige, malochende Dienstleisterschicht züchten.

  • Die neoliberale Politik erzeugt immer Armut und immer den Druck, neue Lügen und neue Umverteilungsarien von Unten nach Oben zu initiieren. Dass dies nun in solchen Gutachten steht, ist nix Neues, wohl aber die Dummdreistheit, mit der es passiert.

     

    Der Mindestlohn bleibt in seiner Wirkung weit unter dem, was möglich gewesen wäre. Dafür sorgen gute 3 Mio. Ausnahmen - jedenfalls nach Ver.di-Berechnungen. Ansonsten lässt die Wirtschaft nach, weil die Nachfrage einbricht und weil die deutschen Auftragsbücher vom Export, von den Bestellungen aus dem Ausland abhängig sind.

     

    Und da sind dunkle Wolken zu sehen: Die Volkswirtschaft in China kann nicht länger bei 6 bis 10 Prozent pro Jahr wachsen. Damit wird die Nachfrage nach neuen Fabriken und Maschinen aus diesem Megamarkt langsam sinken.

     

    Das europäische Nachbarausland ächzt unter den Folgen des Euros und der folgenden Krisen - auch hier kommen keine dicken Fische mehr an Land. Lateinamerika ist ein guter Markt, aber nicht dazu gemacht, die deutsche Volkswirtschaft anzukurbeln.

     

    Bliebe also nur der Binnenmarkt. Und das will die Regierung eben nicht: Sie will weder niedrige Arbeitslosigkeit, noch starke (Binnen)Nachfrage, noch will sie stärkere Importe, obwohl diese, wenigstens aus der EU, dringend erforderlich wären, damit die Depression in der EU beendet wird, damit Europa ein Wachstumsmarkt wird.

     

    Diese Regierung verhält sich vom Grundmuster genauso, wie die Regierungen seit 1982/83. Für Arbeitslose, Niedrigverdiener, EU-Nachbarstaaten und die Sozialversicherungssysteme ist diese Wirtschaftspolitik grundlegend falsch.

     

    Sie müsste sofort geändert werden, sonst dauert es nicht lange, bis die nächsten Systemkrise über die Finanzmärkte auf die Volkswirtschaft überschwappen. Ohnehin ist die Süd-EU in einer miesen Verfassung und benötigt Stimulanz.

  • In der Überschrift steht, Mütter seien zu teuer. Wäre nicht schlecht gewesen, die Mütter dann auch im Artikel wenigstens einmal zu erwähnen.

    • @DerKommentator:

      Einfach mal darunter lesen: "Der Sachverständigenrat warnt: Mindestlohn und Renten-politik gefährden das Wachstum der deutschen Wirtschaft. "

       

      Friseure = Mindestlohn, Mütter = Rentenpolitik (Mütterrente!)

  • Die bürgerlichen "Wirtschaftsweisen" und 'deren' Familie Quandt.

     

    Kein Wort über die kapitalfaschistischen Eigentumsverhältnisse in Deutschland heute.

     

    Ebensowenig, kein Wort über die Jahresdividende -- von nur einer Familie der Finanz- und Monopolbourgeoisie in Deutschland -- in Höhe von mehr als 700 Millionen Euro.

     

    Ohne Steuerhinterziehung wäre 'deren' Steuer ein Leistungsergebnis aus der Wert- und Mehrwertschöpfung der bei BMW weltweit beschäftigten Werktätigen, einschließlich der Billigarbeitskräfte.

     

    Die 'unabhängigen' Pseudowissenschaftler, sie arbeiten im Herrschaftsinteresse von BDI und BDA.

     

    "Das Kapital" und deren ökonomische, ideologische, militärische, 'pseudo'wissenschaftliche, 'ver'bildungs- und gesellschaftspolitische Administration -- in staatsmonopolistischer Staatsgewalt und Gesellschaft -- regiert Deutschland und EU-Europa.

  • Die sog. "Wirtschaftsweisen" diese Gruppe von beamteten, hochbezahlten Professoren und bei Insituten angestellten - auch hochbezahlten - "Wissenschaftlern" sollten Ihre "Gutachtentätigkeit" einstellen. Abgesehen davon, das diese und andere solche "Gremien" sich im Ihren Analysen oft geirrt haben, ist die Erkenntnis der Beschreibung der wirtschaftlichen Gegenwart meist tendenziös, und in ihrer Kritik an Einkommenverteilung ( Lohnentwicklung ) und d. Sozialpolitik - wenn dieses nicht den Interessen des BDI, BDA und den konservat. o. neo liberalen entspricht, schon reaktionär zu nennen. Insofern schlage ich vor, das dieses und ähnliche Gremien aufgelöst werden. Diese Gremien kosten viel Steuergeld und die FAZ können wir selber lesen. Die konservat. neo liberalen Helfer uoeffentl. rechtl. Medien machen mit diesem neuen Bericht Fourore, geg. das bischen "A.Sozialpolitik" dieser GroKo. Viele Bürgerinnen u. Bürger in D. wenden sich von d. Staat ab., sehen Sie die Landtagswahl-Ergebn. an. Die Schatten an der Wand sind klar zu sehen.

  • Zitat:

    "Momentan amtieren dort vier Neoliberale – und der Keynesianer Peter Bofinger"

     

    Das erklärt doch alles ...

     

    Im übrigen, ein Gutachten ist niemals objektiv, es pricht immer die Sprache dessen, der es geschrieben hat.

     

    Wie sagte schon dereinst Winston Churchill ?

    "Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast".

  • Da die sogenannten Wirtschaftsweisen seit Jahren nur Fehlprognosen leifern, wäre es doch mal ne Maßnahme diese nur bei Eintreffen ihrer Prognosen zu bezahlen. Wäre nur Marktkonform. Fehleistungen dürfen sich einfach nicht lohnen

  • Oh mein GOOOOTTT! Das Orakel hat gesprochen. Ist aber auch idiotisch, dass Leute von ihrer Arbeit leben können sollen. Da ist doch der ganze Markt (MARKT!) im Arsch. Ich verstehe ohnehin nicht, dass es überhaupt noch Wirtschaft gibt, obwohl man Löhne zahlen muss. Wir werden in Chaos, Tod und Verderben rennen, wenn wir nicht endlich den Markt von ihnen befreien.

    "Wirtschaftsweise". Auweia...

  • wen wundert's. die bestens versorgten erzählen uns das friseure zu teuer sind. sklavenarbeit hatten wir schon einmal und geglaubt, sie wäre überwunden. es ist schon erschreckend, was professorale zeitgenossen so für wirre gedanken vor sich hertragen. als wohlversorgte im beamtenstatus scheint ihnen völlig verloren gegangen zu sein, wie menschen ihr geld verdienen müssen. vergleichbar mit politikern. wenn man ohne große anstrengungen sein einkommen generieren kann, muß man sich über derartige ergüsse nicht wundern. laut einkommensteuergrundtabelle greift der staat ab einem zu versteuernden einkommen in höhe von € 8362,- p.a. resp. € 696,83 p.m. dem bürger in die tasche. schlicht pervers. offensichtlich in den augen unserer politiker und beamten ein anderen durchaus zumutbarer zustand. warum wollen genau diese zeitgenossen so üppig versorgt sein. leisten sie denn soviel mehr als eine friseuse tagein tagaus. glaube kaum. von dem carzinös wuchernden eurokratenapparat ganz zu schweigen. wo bleibt da die angemessenheit????