Faule Klima-Entschädigungen: 100 Milliarden sind zweifelhaft
Die Industriestaaten stellen viel Geld für „Klimahilfe“ für Entwicklungs- und Schwellenländer bereit. Dabei sind auch Gelder für Kohlekraftwerke.
Doch nun verhandeln seit Donnerstag Regierungen, Zivilgesellschaft und private Akteure auf der Weltklimakonferenz in Dubai – und die Summe tritt wieder in den Vordergrund. Denn: Ein Thema der COP ist, wer wann wie viel Klimahilfe an wen zahlt.
Eine der wichtigsten Vereinbarungen zur internationalen Klimafinanzierung wurde auf den Weltklimakonferenzen 2009 in Kopenhagen und 2015 in Paris beschlossen: Ab 2020 und zunächst bis 2024 sollen danach den Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung gestellt werden.
Ihr 100-Milliarden-Versprechen haben die Industrieländer allerdings schon 2020 nicht eingehalten. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellten sie lediglich 83,3 Milliarden Dollar zur Verfügung. 2021 verfehlten sie mit 89,6 Milliarden Dollar erneut das Ziel. Im Jahr 2022 könnte erstmalig genug Geld bereitgestellt worden sein. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam rechnet ganz anders: Sie kommt für 2020 nur auf eine Summe von 21 bis 24,5 Milliarden Dollar an effektiver Klimahilfe. Für die darauffolgenden Jahre gibt es noch keine abschließenden Untersuchungen.
Das Rio-Marker-System ist die Grundlage, auf der auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) Klimaprojekte bewertet. Es hat drei Kategorien:
Kategorie 0 bezieht sich auf Projekte, die weder zur Minderung der Emissionen beitragen noch als Anpassungsmaßnahme betrachtet werden können. Sie werden vom BMZ nicht als Klimafinanzierung gelistet.
Kategorie 1 bezieht sich auf Projekte, bei denen die Emissionsminderung oder Anpassung ein Teilziel des Projekts ist. Die Industrieländer haben die Wahl, ob sie 30, 40 oder 50 Prozent des Volumens als Klimafinanzierung anrechnen.
Kategorie 2 bezieht sich auf Projekte, bei denen Emissionsminderung und Klimaanpassung das Hauptziel sind. (taz)
Der 100-Milliarden-Topf
Deutschland ist als Industrieland Teil jener Geberländer, die den 100-Milliarden-Topf füllen sollen. Zu dem eigenen Beitrag für 2022, den 6,39 Milliarden Euro, schreibt die Bundesregierung, damit lasse sie „ihren Worten Taten folgen und unterstreicht die Bedeutung, die sie dem weltweiten Einsatz für den Klimaschutz beimisst“. NGOs wie Oxfam haben aus Zeitgründen noch nicht auf die Zahlen von 2022 reagiert.
Deshalb kann die Bundesregierung in Dubai mit den 6,39 Milliarden Euro als Aushängeschild herumlaufen. Das ist strategisch klug, weil die Summe über dem Zielwert liegt und in den Verhandlungen als Druckmittel genutzt werden kann. Doch wer hat nun recht mit den Zahlen: die Regierung oder Oxfam?
Zum einen werden Klimahilfen zum Teil als Kredit mit festen oder flexiblen Zinssätzen vergeben. Das bedeutet, dass die Empfängerstaaten zwar Geld aus dem Norden erhalten, es aber später mit Zinsen zurückzahlen müssen. Die gesamte Summe zählt trotzdem zum Budget, das ein Industrieland als Klimahilfe für Schwellen- und Entwicklungsländer angibt. Technisch ist das auch richtig, aber für den Empfänger ist ein zinsloser Zuschuss natürlich deutlich besser als ein Kredit zu Marktkonditionen.
Es ist wie beim Kauf einer Wohnung durch eine Privatperson: Wer sich das Geld dafür von der Bank leiht, muss es mit Zinsen zurückzahlen. Wer eine reiche Oma hat, die das Geld dafür ohne Zinsen verleiht, hat am Ende nur die Schulden in Höhe des geliehenen Geldes. Oxfam hat – im Gegensatz zu den Geldgebern – die Schulden, die durch die Verzinsung entstehen, von der geliehenen Summe abgezogen und spricht deshalb von „Nettohilfe“.
Zum anderen haben die Industrieländer einen großen Spielraum bei der Bilanzierung. Zwar gibt es Regeln, welcher Anteil des Projektvolumens eines geförderten Projekts als Klimafinanzierung deklariert werden kann. Diese Regeln beruhen aber auf Selbstauskunft.
Keine unabhängige Instanz
In Deutschland entscheidet das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) also selbst, welche geförderten Projekte als Klimafinanzierung gelten und welche nicht. Es gibt keine unabhängige Instanz, die überprüft, ob ein gefördertes Projekt tatsächlich als Klimafinanzierung anzuerkennen ist. Das Kriterium, nach dem das BMZ entscheidet, ist folgendes: Damit ein Projekt auf den deutschen Anteil an den 100 Milliarden Dollar angerechnet wird, muss es entweder zur Emissionsminderung oder zur Anpassung an den Klimawandel beitragen.
Es klingt also sinnvoll, dass die klimaresiliente Entwicklung von Gemeinden in den Regionen Machakos, Makueni und Kitui in Kenia im Jahr 2021 als Klimaanpassungsmaßnahme bilanziert wurde. Ebenso plausibel klingt es, wenn die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) den Ausbau von Solaranlagen im Senegal finanziert und das BMZ das Projekt als emissionsmindernd einstuft.
In der vom BMZ veröffentlichten Liste stehen aber auch Projekte, bei denen aus der Beschreibung nicht hervorgeht, ob sie dem Kriterium entsprechen. Die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (KZW) hat so im Jahr 2021 die Lobbyarbeit des Symposiums der afrikanischen Bischofskonferenzen unterstützt. Ist das, wie vom BMZ eingestuft, eine Klimaanpassungsmaßnahme? Dennoch wurden der deutschen Klimafinanzierung 186.000 Euro gutgeschrieben.
Der Punkt ist: Von außen ist kaum zu erkennen, ob und wenn ja, wie ein Projekt zur Klimaanpassung oder Emissionsminderung beiträgt. Deshalb beurteilt Oxfam dies anhand der öffentlich verfügbaren Projektbeschreibungen und -titel. Keine unabhängige Institution kann alle Projekte weltweit abklappern und die dortige Arbeit überprüfen. Die Einschätzung des BMZ geschieht also in einem Vakuum.
347,6 Millionen US-Dollar für Kohlekraftwerk
Weil die Regeln lediglich eine Selbstauskunft verlangen, kam es bereits zu umstrittenen Klimahilfen. So hat Japan dem Entwicklungsland Bangladesch 2016 347,6 Millionen US-Dollar für den Ausbau eines Kohlekraftwerks geliehen und die Summe anschließend seiner internationalen Klimahilfe gutgeschrieben.
Japans Argument: Das Kohlekraftwerk Matarbari werde mit (japanischer) Technologie finanziert, die den Schadstoffausstoß reduziere. Dennoch werde das Kraftwerk jährlich 6,8 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen, errechnete die japanische Entwicklungsagentur JICA. 2017, 2018 und 2020 lieh Japan dem südasiatischen Land weitere Gelder zur Finanzierung des Kohlekraftwerks, die jeweils der japanischen Klimahilfe gutgeschrieben wurden.
„All diese Projekte können absolut wertvoll sein für die formulierten Projektziele“, sagt Jan Kowalzig, der die Untersuchung für Oxfam begleitet hat, in Bezug auf die von Deutschland geförderten Projekte. „Wir stellen nicht die Sinnhaftigkeit der Projekte infrage, sondern lediglich, dass der Klimabezug ein geringerer ist, als es die Kodierung und anschließende Berichterstattung der Bundesregierung nahelegt.“
Da die 6,39 Milliarden Euro Auslegungssache sind, kann man der Bundesregierung im Grunde nichts vorwerfen. Dennoch legen die stark unterschiedlichen Berechnungen nahe, dass sie nicht gerade selbstkritisch bilanziert. In Dubai jedenfalls bleibt die Summe unumstritten – und die Bundesregierung kann sich damit auf der Klimakonferenz profilieren. Außer bei denen, die genauer nachrechnen.
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