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Fatalismus ist keine Lösung

Kann die Menschheit noch reparieren, was sie zerstört? Die Weltklimakonferenz im November in Brasilien sollte auf diese Frage eine Antwort finden

Illustration: Katja Gendikova

Von Juan Manuel Santos

An meinem ersten Tag im Amt als Präsident Kolumbiens vor etwas mehr als 15 Jahren traf ich mich mit den Anführern von vier indigenen Völkern – den Kogui, Arhuaco, Wiwa und Kankuamo – in der Sierra Nevada de Santa Marta. Als wir gemeinsam am Fuße dieser majestätischen Bergkette in nächster Nähe zum karibischen Meer standen, veränderte die Lebensweisheit dieser Völker, die sie mit mir teilten, meine Sicht auf meine Verantwortung als Staatschef und auch auf meine Sichtweise hinsichtlich unserer gemeinsamen Pflichten als vorübergehende Bewohnerinnen und Bewohner dieses zunehmend geschundenen Planeten. Ich erhielt einen Holzstab – ein Symbol der Macht – der mich daran erinnern sollte, zwei Ziele anzustreben: Frieden unter unseren Bürgerinnen und Bürgern nach 50 Jahren Konflikt und Frieden mit der Natur. Die indigenen Anführer ermahnten mich, dass unsere Beziehung zur Natur Schaden genommen habe, dass die Natur zornig sei und dass wir die Konsequenzen zu tragen hätten. Zwei Wochen später wurde Kolumbien durch La Niña von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht, und ich verbrachte die ersten zwei Jahre meiner Amtszeit damit, den Betroffenen zu helfen und mich auf die nächste Naturkatastrophe vorzubereiten.

Heute leben wir in einer Welt, die von verheerenden Unwettern bedroht ist – sowohl physischen als auch ideologischen. Erst kürzlich kamen bei Überschwemmungen in Pakistan mindestens 1.006 Menschen ums Leben, und 2,5 Millionen Menschen mussten aus den Regionen Punjab und Sindh evakuiert werden, die bereits 2022 von gewaltigen Überschwemmungen heimgesucht worden waren. Bedenkliche Angriffe auf den Multilateralismus und die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen institutionellen Grundlagen der Menschenrechte verschlimmern die Lage zusätzlich. Unser gesamtes Wertesystem scheint unter Beschuss zu stehen. Aber wie The Elders – eine Gruppe ehemaliger Staats- und Regierungschefs, deren Vorsitz ich derzeit innehabe – kürzlich erklärten, sind Fatalismus und Zynismus keine Lösung, egal wie unerbittlich die Krisen auch sein mögen, mit denen wir konfrontiert sind. Der Multi­lateralismus wurde genau für Zeiten wie diese entwickelt – um uns ohne Ausnahme durch Meinungsverschiedenheiten und Katastrophen zu geleiten.

Im November dieses Jahres finden zwei bedeutsame Gipfeltreffen statt, auf denen globale Probleme in Angriff genommen werden sollen. Zunächst ist da der zweite Weltgipfel für soziale Entwicklung. Die erste Veranstaltung dieser Art vor 30 Jahren brachte eine beispiellose Zahl von Führungspersönlichkeiten aus aller Welt zusammen und läutete ein neues Kapitel des Multilateralismus im Dienste der menschlichen Entwicklung ein. Das andere Gipfeltreffen im nächsten Monat, die Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP30) vom 10. bis 21. November im brasilianischen Belém, wird sich mit der existenziellen Krise der globalen Erwärmung befassen. Als Präsident Kolumbiens habe ich einst selbst erlebt, dass bei Katastrophen immer die Armen am stärksten betroffen sind. Deshalb haben wir nach den Überschwemmungen von 2010 verschiedene Institutionen zur Koordinierung der Hilfsmaßnahmen geschaffen. Mittlerweile ist es unerlässlich, dass alle Länder die Klimawarnungen ernst nehmen und ihre eigenen Strategien zur Stärkung der Resilienz und Anpassung ausbauen.

Ein aktueller Bericht von Forschenden der Universität Oxford und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen beleuchtet dieses Thema. Darin wird festgestellt, dass fast 80 Prozent der insgesamt 887 Millionen aus 108 Entwicklungsländern multidimensional armen Menschen in Regionen leben, die von mindestens einer klima­bedingten Gefahr wie extremer Hitze, Dürre, Überschwemmungen oder Luftverschmutzung betroffen sind. Diese Bedrohungen kommen zur ohnehin vorhandenen Benachteiligung infolge ihres geringen Einkommens noch hinzu. Zudem bestätigt der Bericht, dass Menschen in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen mit einer größeren Zahl sich überschneidender Klima­gefahren konfrontiert sind als Menschen in Ländern mit niedrigem oder hohem Einkommen. Und obwohl es in Ländern mit hohem Einkommen relativ gesehen weniger arme Menschen gibt, ist diese Gruppe trotzdem insbesondere von Luftverschmutzung und Überschwemmungen betroffen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer gerechten Energiewende. Aus diesem Grund führte Kolumbien im Jahr 2016 die ersten CO2-Steuern Lateinamerikas ein. Jetzt, im Vorfeld der Weltklimakonferenz in Brasilien, fordern The Elders die G20-Staaten auf, ihre finanziellen Vorteile einzusetzen, um „die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und des Globalen Biodiversitätsrahmens voranzutreiben“. Auf der Weltklimakonferenz im vergangenen Jahr haben sich die führenden Persönlichkeiten der Welt verpflichtet, 300 Milliarden Dollar für die Finanzierung derartiger Bemühungen bereitzustellen, obwohl der Gesamtbedarf eher bei 1,3 Billionen Dollar liegt. Angesichts dieser großen Finanzierungslücke begrüßen wir das jüngste Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, wonach Staaten rechtlich für Klimaschäden zur Verantwortung gezogen werden können, insbesondere für Schäden, die durch die fossile Brennstoffin­dustrie verursacht werden.

Das erinnert mich an einen Moment im Jahr 2011, als zwei hochrangige Mitarbeiterinnen meiner Regierung, Paula Caballero und Patti Londoño, mit der Idee zu mir kamen, Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt der Entwicklung zu stellen. Caballero und Londoño pflanzten die Samen, aus denen schließlich die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung hervorgingen. Ich war gerne bereit, diese Agenda nach Kräften zu unterstützen, und dank des vor zehn Jahren geschaffenen multilateralen Rahmens wurden die Nachhaltigkeitsziele von den Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet. Die damals herrschende Freude wird mich mein Leben lang begleiten.

Foto: Andrew Kelly/Reuters

Juan Manuel Santos

war von 2010 bis 2018 der Präsident Kolumbiens und ist heute Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation The Elders und Träger des Friedensnobelpreises 2016.

Inzwischen ist die Party jedoch vorbei. Zwar gibt es noch Hoffnungsschimmer – gerade in diesem Jahr haben die Länder ein historisches Meeresschutzabkommen verabschiedet – doch der Planet leidet mehr denn je. Im vergangenen Monat präsentierten die Planetary Guardians in New York ihren Bericht „Planetarer Gesundheitscheck 2025“. Der bestätigt, dass sieben der neun planetarischen Grenzen, darunter die Versauerung der Ozeane, bereits überschritten wurden. Zusammen bilden diese neun Grenzen das Betriebssystem der Erde: Die miteinander verbundenen lebenserhaltenden Prozesse müssen innerhalb sicherer Grenzen gehalten werden, um die Menschheit zu schützen und die Widerstandsfähigkeit der Natur zu erhalten. Angesichts der Warnungen im Rahmen des planetaren Gesundheitschecks vor einer sich beschleunigenden Verschlechterung und dem wachsenden Risiko, gefährliche Kipppunkte zu erreichen, gilt es nun, dringend unser Verständnis dafür zu verbessern, wo und in welcher Weise sowohl der Planet als auch seine Bewohnerinnen und Bewohner leiden. Das bedeutet, die Bemühungen zur Unterstützung der miteinander verknüpften Agenden des Klimaschutzes und der Armutsbekämpfung erneut zu intensivieren.

Als ich im Jahr 2018 aus dem Präsidentenamt schied, traf ich mich erneut mit den indigenen Anführern, die mir ihre Hoffnungen anvertraut hatten. Ich wollte ihnen den Holzstab zurückgeben. Zu meiner Überraschung baten sie mich jedoch, ihn zu behalten, und formulierten dann einen neuen Grundsatz, den die internationale Gemeinschaft unbedingt berücksichtigen sollte. Sie sprachen von der spirituellen Verbindung zwischen Mensch und Natur: Nichts darf genommen werden, ohne zuvor um Erlaubnis zu bitten und etwas dafür zurückzugeben. Wir trennen diese Verbindung auf eigene Gefahr. Heutzutage sind zahlreiche Verbindungen bereits unterbrochen – zwischen Völkern sowie zwischen Menschen und dem Planeten. Unsere Aufgabe in den kommenden Jahren besteht darin, diese Beziehungen wiederherzustellen.

Es gibt zwar noch Hoffnung – so wurde gerade ein historisches Abkommen zum Meeresschutz verabschiedet – doch der Planet leidet mehrdenn je

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

Copyright: Project Syndicate, 2025. Das Project Syndicate mit Sitz in Prag ist eine Non-Profit-Organisation, die internationalen Medien Essays und Meinungsbeiträge von namhaften PublizistInnen und WissenschaftlerInnen anbietet.

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