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Fassbinder-Ausstellung in BerlinExzessiver Kreativ-Arbeiter

Ende Mai wäre Rainer Werner Fassbinder 70 Jahre alt geworden. Eine Schau im Gropius-Bau will die Rezeption des Regisseurs versachlichen.

Fassbinder-Lektion: Ming Wongs Arbeit „Lerne Deutsch mit Petra von Kant“. Bild: dpa

Rainer Werner Fassbinder ist längst keine Terra incognita mehr. Dies galt auch schon vor dessen 70. Geburtstag, den wir in diesem Monat begehen. Während andere deutschen Regisseure des 70er-Jahre-Booms heute diskursfrei zu ihren Ehren-Bären durchgewunken werden, gibt es zu Fassbinder eine ernst zu nehmende Literatur, die von theoretischen Werken von Thomas Elsaesser bis zu dem „Berlin Alexanderplatz“-Buch von Manfred Hermes reicht, aber auch großes Klatschmaterial umfasst.

Die Ausstellung im Gropius-Bau erteilt erst mal dem Meister selbst das Wort: Zur Begrüßung sieht man Fassbinder auf neun Monitoren in sehr unterschiedlicher Verfassung.

Aber jedes dieser, leider immer wieder abgebrochenen und auf den nächsten Monitoren mit dem nächsten Talkfetzen fortgesetzten Gespräche hätte man gern länger gehört. Selbst ein intellektueller Künstler wie Fassbinder war damals noch kein Diskursprofi wie heute jeder Fußballspieler; ähnlich, wie man es auch bei alten Rudi-Dutschke-Interviews erleben kann, wiederholt er zu Beginn seiner Antwort trotzig bis muffig die Frage, bevor er, auf ihrem Inhalt rumkauend, manchmal gar nichts sagt, manchmal in grandiose Gedankenkaskaden gerät.

Das Gegenüber als Depp

Die Ausstellung

Fassbinder – Jetzt. Martin-Gropius-Bau, 6. Mai bis 23. August 2015

Am besten ist er, wenn er von Freunden (Christian Braad Thomsen) interviewt wird – oder wenn er beleidigt ist. Noch bei der Verfertigung der ersten beantwortenden Beiwörter sieht man, wie er sich überlegt, wie aggressiv er es dem Trottel gleich zeigen wird: Lohnt es sich noch, bei aller Genervtheit, das Gespräch fortzusetzen, oder sollte man so derbe zurückbeleidigen, dass das Gegenüber als Depp weiterleben muss?

Dominant waren seit seinem Tod die Rezeptionszwischensummen Fassbinder I und Fassbinder II: zwei eng miteinander verknüpfte Konstrukte deutschen Geniekults. Fassbinder I ist der unerschöpfliche Großkünstler, das Naturereignis, unerklärlich, nicht von dieser Welt, so viel Kaffee kann man gar nicht trinken, so viel Kokain gibt es in ganz Südamerika nicht.

Fassbinder II, eng mit dem ersten verwandt, ist der Missbrauchs-Fassbinder, der Quäler seiner Schauspieler, der vampirische Kunstverrückte, der für eine gute Heulszene denjenigen, die ihn doch liebten, rücksichtlos Verletzungen beibrachte und absaugte, bis sie dem Personal seiner Melodramen glichen. Diese beiden mythologischen Charaktere haben bisher den Zugang zum planenden, kalkulierenden Künstler, aber auch zu dem dezidierten Vertreter politischer Inhalte in „Die dritte Generation“, in „Acht Stunden sind kein Tag“, aber eben auch in „Der Müll, die Stadt und der Tod“ nicht gerade leicht gemacht.

Explosivität eines Künstlers

Die Ausstellung „Fassbinder jetzt“ versucht diese beiden Typen zu umgehen und die Rezeption zu versachlichen. Das gelingt, teilweise um den Preis der Entschärfung dessen, wovon der Geniemythos zwar ungenügend und verdreht, aber auch nicht ganz grundlos redet: der historisch spezifischen Explosivität eines Künstlers.

Zum einen begegnet einem Fassbinder nun als apollinischer Kinokünstler. Dies ist sicher eine wenig behandelte Dimension seines Werks. Formalisten findet man unter den großen Fassbinder-Verehrern weniger. Aber auch komplexer denkende Cinephile haben ihn nie sonderlich gemocht. In der „Filmkritik“ kam er kaum vor; für deren Autoren war er zu Lebzeiten eher ein Dialogregisseur zwischen TV und Theater, später Mainstream.

Hier wird dagegen als erstes Merkmal von Fassbinders Arbeit die kreisende Kamera genannt und anhand zahlreicher Ausschnitte exemplifiziert. Ein weiterer Raum nennt (und zeigt) die klaustrophoben Räume und andere typische Settings. Aufwendig und eindrucksvoll schließlich die Präsentation der Roben und Ballkleider, die die Ausstellung ausdrücklich als Requisiten gesellschaftlicher Mobilität (nach unten) gefeiert wissen will. Fassbinders Geschichten sind Geschichten des sozialen Niedergangs.

Formale Vergleichspunkte

Ein Grund für diese nüchternen Expositionen formaler Eigenheiten ist – war – wohl das Vorhaben, Fassbinder mit zeitgenössischer, von ihm inspirierter Kunst zu konfrontieren. Dafür wurden formale Vergleichspunkte gewählt, was zu einer gewissen Beliebigkeit beiträgt: Man muss schon sehr weit ausholen, wenn man einen Jeff Wall mit Fassbinder zusammenspannen will; Ming Wong schlüpft halt immer in Figuren aus bekannten Spielfilmen – auch das geht mit Fassbinder. Und Rikrit Tiravanija steht wie viele Leute auf die so treffend missglückte Grammatik des Satzes „Angst essen Seele auf“ – allerdings nicht viel mehr.

Eher schon kann man in dem Werk „Mandarin Ducks“ des niederländischen Künstlerduos Jeroen de Rijke/Willem de Rooij – im Katalog von Anna Fricke auf den Begriff der „realistischen Künstlichkeit“ gebracht –das Spezifische eines Fassbinder-Bezugs in der Gegenwartskunst produktiv werden sehen. Und natürlich auch bei Runa Islams Abstraktion von einer Szene aus „Martha“. Denn die Künstlerin ist darauf spezialisiert, Kamerabewegungen als solche zu zelebrieren.

Neben dem coolen Bilderkomponisten hat man sich aber noch einen Fassbinder ausgedacht: Seine wahnsinnige Produktivität wird aus der Genieecke heraus ein paar Zentimeter ins Bürokratische verschoben.

Die Lohnlisten des Dr. Mabuse

Es sind detailversessene Drehpläne, handschriftliche Genauigkeitsexzesse, aber auch komplizierte Gehaltsberechnungen, die aussehen wie die Lohnlisten des Dr. Mabuse, die in diversen Vitrinen teilweise sehr schick zum elektronischen Nachblättern aufbereitet sind: Fassbinder ist auch hier derjenige, der „schlafen kann, wenn ich tot bin“, aber wachend hat er nicht nur Darsteller angeherrscht und in der „Deutschen Eiche“ gekokst, sondern war echter Chef einer Firma, in der das Licht nie ausging.

Dieser unerschöpfliche Arbeiter der kreativen wie administrativen Baustellen ist natürlich auch die passende Aktualisierung des sich verzehrenden Genies für die heutigen Opfer der allgemeinen Selbstausbeutungsökonomie. Nicht nur der Creative Director, auch der Kontakter und der Mediaplaner sind jetzt Fassbinders Erben, wenn sie mit Herzrhythmusstörungen aus der Agentur getragen werden.

Natürlich ist dieser Blick in die Fassbinder-Fabrik auch eine nötige Korrektur von Klischees. Beim zweiten Hinsehen fällt schon auf, dass die Hälfte der Listen und Tabellen von treuen Mitarbeitern wie Harry Baer stammen: Der Chef konnte auch delegieren.

Country-Tristesse

Nichts reicht indes an die Eindrücke der hier gezeigten Originalszenen heran wie der Ausspähung einer Kneipe in Rio Das Mortes, eine der kreisenden Kamerafahrten zu der zarten Country-Tristesse von „Ruby, Don’t Take Your Love to Town“ von Kenny Rogers. Man hat dann ganz andere Fragen, die keine Ausstellung beantworten kann.

Niemand erklärt mir, warum diese Ansammlung von leicht verrutschten, teils angeschickerten, als Schauspieler erkennbaren, ihre ironische Stimmungen nicht versteckenden, platt oder auch sexy posierenden, frisch kostümierten Figuren, die auch gleich loslachen könnten, so massiv und überdeutlich als bitterernst herüberkommen, so ernst wie der Abgrund von Macho-Verzweiflung in dem leisen Liedchen des gelähmten Vietnam-Veteranen, der seine junge Frau Abend für Abend ausgehen sieht?

Man konnte sich damals die Zeichen, die Atmosphären, die Songs, den Fummel noch einfach greifen. Nichts gehörte jemandem, nichts war belegt.

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