Faschismus und Kolonialismus: Mit Flagge und Kreuz
Der Faschismus unserer Zeit ist politische Realität, von den USA über Brasilien bis Deutschland. Auch seine kolonialen Wurzeln sind real.
D er Faschismus ist wieder da, als Vorwurf, als Phantasma, als politische Realität und historische Referenz. Am einen Ende des Spektrums ist dabei Donald Trump, der einen „neuen linksradikalen Faschismus“ sieht, das sagte er bei seiner Rede am 4. Juli am Mount Rushmore – einem Berg, der den Lakota gestohlen wurde, vier weiße Präsidentengesichter in Stein geschlagen von dem Bildhauer Gutzon Borglum, der Mitglied im Ku-Klux-Klan war, einer nach allen Definitionen tief faschistischen Organisation.
Diese Definitionen zeigen auch ziemlich eindeutig, dass Trump selbst ein Herrscher in der faschistischen Tradition ist: Zu rassistischen Reinheitsphantasmen gesellen sich die Verachtung des politischen Gegners und des politischen Prozesses, Angriffe auf die Presse, eine mythisch überhöhte Vergangenheit, ein Schuldkult, der die Verantwortung bei bestimmten Gruppen verortet – amerikanischer Faschismus kommt „in die Flagge gewickelt und mit einem Kreuz in der Hand“, so heißt der berühmte Satz aus Sinclair Lewis’ Roman „Das ist bei uns nicht möglich“ von 1935.
Das war die Zeit, als der Ku-Klux-Klan wieder erstarkte. Er war in der Zeit nach der Sklavenbefreiung in den 1860er Jahren gegründet worden, um durch Terror und Mord die rassistische Gesellschafts- und Eigentumsordnung aufrechtzuerhalten. In den 1920er und 1930er Jahren erlebte er eine Wiederkehr, parallel zum beginnenden Faschismus in Europa. Diese Wechselwirkungen wiederum sind, auch vor dem Hintergrund manch aktueller deutscher Debatten, ziemlich interessant.
Die Historikerin Sarah Churchwell hat das alles gerade sehr ausführlich in einem Text für die New York Review of Books beschrieben und in eine Verbindung zur kolonialen Praxis und zum kolonialen Diskurs gesetzt – die Frage etwa, wie sehr der deutsche und italienische Faschismus auch als Reaktion auf das fehlende Kolonialreich zu sehen sind; oder die Feststellung etwa von Aimé Césaire oder Hannah Arendt, wonach der europäische Faschismus „mit weißen Körpern machte“, was der Kolonialismus und die Sklaverei „mit schwarzen und braunen Körpern machte“.
Georg Diezwar lange Kolumnist für „Spiegel Online“ und arbeitet in Zukunft für einen Thinktank, der sich mit Fragen der ökologischen und ökonomischen Transformation beschäftigt. Zuletzt erschien, gemeinsam mit Emanuel Heisenberg, das Buch „Power to the People. Wie wir mit Technologie die Demokratie neu erfinden“.
Keine Gegenwartsbetrachtung ohne Geschichte
Solche Verbindungen und Kontinuitäten werden in den gegenwärtigen deutschen Diskussionen eher vermieden, wodurch sowohl Kolonialismus als auch Faschismus seltsam ahistorisch entrückt werden und der Analyse entzogen – was natürlich schade ist, denn für die Gegenwartsbetrachtung ist so ein Nachdenken, selbst wenn es etwas komplizierter sein sollte, meistens nicht ohne Gewinn.
Churchwell nun betreibt ihre Recherche in den amerikanischen Faschismus vor dem Hintergrund der Frage nach der Kontinuität des Denkens vom Ku-Klux-Klan bis Trump, wobei es immer um das amerikanische Urverbrechen der Sklaverei geht: Jeder Faschismus kommt aus dem eigenen Land, so schreibt sie – oder, wie es der Faschismusforscher Robert O. Paxton formulierte, Faschismus ist, was der Faschismus macht.
Die Verbindungen zwischen deutschen und amerikanischen Faschisten in den 1920er und 1930er Jahren sind dabei interessant, weil sie in beide Richtungen gingen. Die Nürnberger Gesetze von 1935, die die Grundlage der systematischen Ausgrenzung und schließlich Auslöschung der deutschen Juden bildeten, waren, so Churchwell, mit Blick auf die amerikanischen Rassegesetze formuliert – der Schwarze Denker W. E. B. Du Bois wiederum beschrieb die weiße Terrorherrschaft im amerikanischen Süden im gleichen Jahr 1935 als „Faschismus“.
Bis zu fünf Millionen Mitglieder soll der Ku-Klux-Klan Mitte der 1920er Jahre gehabt haben; bis zu 5.000 Menschen versammelten sich 1934 zu einem der letzten öffentlichen Lynchmorde, in Florida, die Lokalzeitung hatte schon im Vorfeld davon berichtet. Claude Neal wurden seine Hoden abgeschnitten, sie wurden ihm in den Mund gestopft, er wurde verbrannt, hinter einem Auto hergeschleift und schließlich am Gerichtsgebäude aufgehängt – der Schrecken als reales und symbolisches Mittel der faschistischen Herrschaft durchdringt die USA bis heute.
Die Faszination des Automobil-Visionärs Henry Ford gegenüber Hitler ist weit bekannt; Father Coughlin, ein katholischer Priester mit einer Radiosendung, die Mitte der 1930er Jahre 30 Millionen Amerikaner erreichte, wohl die meistgehörte Sendung der Welt damals, verbreitete die antisemitische Hetze von der jüdischen Weltherrschaft, nach dem Beispiel der „Protokolle der Weisen von Zion“; die Reichspogromnacht 1938 nannte er eine „Strafaktion“ gegen die Juden, die 20 Millionen Christen ermordet und mehrere Milliarden Dollar „christliches Vermögen“ gestohlen hätten; der Nationalsozialismus war für ihn ein „Verteidigungsmechanismus“ gegen den jüdisch finanzierten Kommunismus.
Der amerikanische Faschismus, so Churchwell, muss niemanden überraschen, der die Geschichte kennt; die Verbindungen mit anderen faschistischen Bewegungen damals, etwa zwischen Deutschland und den USA, sind genauso relevant wie die Verbindungen heute, etwa zwischen Brasilien und den USA. Faschismus ist in dieser Lesart etwas, das tief in die Geschichte der weißen Herrschaft über die Welt eingebunden ist, eine Voraussetzung für koloniale Unterdrückung und Ausbeutung des Planeten.
Die Wunden, die die Gegenwart aufreißt, sind riesig und sie reichen tief, nicht nur in den USA; es ist, in vielem, ein Privileg jeder Gesellschaft, zu denken, dass sie losgelöst von Kontext und Geschichte sei, ein Privileg der Einfalt. Die Versuche wiederum in der deutschen Gegenwart, sowohl Kolonialismus wie Faschismus ihren Kontext und ihre Verbindung zu nehmen, sind dabei auch Hinweis auf ein anderes Phänomen der deutschen Geschichte, eine andere deutsche Kontinuität: den Provinzialismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland