Faschismus durch künstliche Intelligenz: Gesellschaft als Maschine
KI wird zu weniger Arbeitsplätzen führen. Daran müssen wir uns gewöhnen. Aber eine von Maschinen beherrschte Welt wäre entmenschlicht und gefährlich.
D ie Auswirkungen digitaler Technologien und Netzwerke auf Wirtschaft und Gesellschaft werden gerne und häufig mit der industriellen Revolution verglichen, die bekanntlich alle Verhältnisse umgewälzt hat. Das aktuellste Thema in diesem Zusammenhang ist die Debatte um künstliche Intelligenz, der bis hin zur Unterwerfung und gar Auslöschung der Menschheit schier unglaubliche Fähigkeiten zugeschrieben werden.
Tatsächlich sind die Fähigkeiten der Software ChatGPT, die Ende 2022 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, erstaunlich – zumindest für Anwender:innen von mittlerer technischer Affinität. Die meisten bedienen das Programm vermutlich wie eine Art Orakel: Leute fragen gerne nach sich selbst, Journalist:innen etwa haben wohl unzählige Male damit experimentiert, sich selbst überflüssig zu machen und die KI irgendwas schreiben zu lassen. Expert:innen und Entwickler:innen warnen derweil vor der Entstehung einer unkontrollierbaren Superintelligenz. Der Ruf nach einem halben Jahr Entwicklungsstopp wurde auch von Irrlichtern wie Elon Musk unterschrieben, ohne dass annähernd klar wäre, was währenddessen und danach geschehen soll.
Worum geht es eigentlich? Künstliche Intelligenz ist an sich schon ein irreführender und von popkulturellen und sonstigen modernen Mythen vernebelter Begriff, der von Technikutopisten bereits in den 1950er Jahren in die Welt gesetzt wurde. Maschinelles Lernen trifft es besser. An sogenannten Chatbots wie GPT ist die Funktionsweise sogenannter lernender Systeme einfacher zu erklären als an ähnlich funktionierenden Programmen, die Autos autonom steuern oder den Papst in Gangster-Rap-Klamotten täuschend echt darstellen können. Es geht um Stochastik. ChatGPT ist eine Statistik-Software, die berechnen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Wort auf das andere folgt und die aufgrund der gigantischen Datenmengen, die ihr im digitalen Kosmos heute zur Verfügung stehen und weil die Rechnerkapazitäten nach wie vor exponentiell wachsen, zu erstaunlichen Ergebnissen kommt.
Die Software liefert in den meisten Fällen Ergebnisse, die nicht nur inhaltlich richtig, sondern auch okay formuliert sind. Wer nach Fehlern sucht, die natürlich vorkommen, fällt auf die Erzählung einer eigentlichen maschinellen Intelligenz herein. Alles, was die Software kann, ist die statistisch grundierte Simulation menschlichen Denkens oder eben menschlicher Intelligenz. Das ist sehr wenig und zugleich sehr viel. Es genügt jedenfalls, um einfache Korrespondenz zu erledigen, Bewerbungen zu sortieren, in naher Zukunft vielleicht auch aktuelle Nachrichten zu verfassen.
Abbau von Arbeitsplätzen
Es wird zu neuerlichen Rationalisierungen in der Wirtschaft, also zum Abbau von Arbeitsplätzen führen. Und wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass Maschinen in neue Bereiche des Lebens vordringen und neue Rollen übernehmen, dass sie menschenähnlich interagieren, mit uns sprechen und uns zu verstehen scheinen. Weil die Datenressourcen, auf die diese Systeme zugreifen, unvorstellbar groß sind und stetig weiter wachsen, wächst auch das maschinell verwertbare Wissen, die Software wird scheinbar allwissend.
Es liegt auf der Hand, dass durch solche Fähigkeiten Fantasien von einer überlegenen Superintelligenz befeuert werden. Dennoch: Die Entstehung eines schon seit Jahrzehnten erträumten und zugleich gefürchteten, unkontrollierbaren Computerwesens, das gar noch mit der Fähigkeit und dem Willen zur Unterwerfung oder Auslöschung der Menschheit ausgestattet ist, taugt als Material für Hollywood, ist aber in näherer und wahrscheinlich auch fernerer Zukunft nicht zu erwarten.
Es genügt, sie für intelligent zu halten
Die Angst davor und die Diskussion darüber täuschen indes über die eigentlichen Gefahren hinweg. Denn eine Technologie braucht keine autonome Intelligenz, um gewaltige Macht auf Menschen auszuüben. Dafür genügt es, dass sie für intelligent gehalten wird, dass Menschen bereit sind, sie zu behandeln, als wäre sie eine Art Subjekt. Wenn dann noch ein Welt- und Menschenbild hinzukommt, das in Menschen ohnehin nicht viel mehr sieht als konsumierende, nutzenmaximierende und leider fehleranfällige Automaten, dann steht einer Übernahme der Welt durch Maschinen eigentlich nichts mehr im Wege.
Bedauerlicherweise ist eine derartige Sicht nicht nur bei Vertretern großer Tech-Konzerne beliebt, die erklärtermaßen daran arbeiten, den Menschen überflüssig zu machen. Das Menschenbild des egoistischen Nutzenmaximierers ist die philosophische Grundlage der nach wie vor dominanten, neoklassischen Sicht in den Wirtschaftswissenschaften, auch die traditionelle Linke hält alles jenseits ökonomischer Interessen für Camouflage im Klassenkampf. So spinnefeind sich Neoliberale und Traditionslinke sonst sein mögen, sie teilen ein mechanistisches Verständnis von Individuum und Gesellschaft, Vernunft wird mit Logik gleichgesetzt, eine Überwindung menschlicher Fehlerhaftigkeit durch maschinelle Effizienz erscheint so betrachtet als eine bessere Welt.
Derart vulgärmaterialistisches Denken übersieht dann rasch, dass eine von Maschinen beherrschte Welt auch eine entmenschlichte ist, dass die Unterordnung unter maschinelle Logik dem Traum des Faschismus von der Gesellschaft als militärisch organisierter Riesenmaschine gefährlich nahekommt. „Der Mensch ist der Repräsentant des Möglichen“, wusste noch Ernst Bloch, der wenig davon hielt, Menschen zuvorderst als Mangelwesen zu betrachten, und der dem reduktionistischen Materialismus von Tech-Jüngern und Traditionslinken entgegenhielt, auch Materie enthalte die Möglichkeit der Utopie. Die menschliche Unzulänglichkeit wäre bei Bloch wohl so etwas wie die unvermeidliche Kehrseite seiner Möglichkeiten.
Ob es uns gefällt oder nicht: Lernende Software wird künftig am Telefon mit uns sprechen und uns in Gestalt von Service-Bots ihre Hilfe bei Problemen anbieten, von deren Existenz wir ohne Computer nicht einmal ahnen würden. Das ist technischer Fortschritt, sich dagegenzustellen ist so sinnlos, wie den Lauf der Zeit aufhalten zu wollen. Ein langsames Abrutschen in einen neuen, maschinellen Totalitarismus ist zwar nicht vorprogrammiert. Es wäre jedoch hilfreich, wenn wir uns an die Möglichkeit eines Welt- und Menschenbildes erinnern, das nicht im brutalen Tunnelblick eines mechanistischen Denkens eingesperrt ist und ein respektvolles Verhältnis zum Leben auf dem Planeten entwickelt, wie es etwa Denkerinnen wie Eva von Redecker einfordern.
Nach fast drei Jahrzehnten Internet läge es zudem nahe, Algorithmen nicht für intelligenter zu halten, als sie sind, und ihre destruktiven Potenziale antizipierend einzuhegen. Allzu viele Angriffe mit der Wucht etwa sozialer Medien, mit ihrem Orkan von Lügen und Hass, halten die derzeit noch halbwegs offenen und demokratischen Gesellschaften vermutlich nicht mehr aus.
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