Farce um ungeimpften Football-Profi: Verbale Fehlpässe
US-Quarterback Aaron Rogers hat Covid-19. Geimpft war er nicht, was niemand wusste. Nun verbreitet er allerhand Corona-Quatsch.
W eltgeschichtliche Ereignisse ereignen sich als Tragödie und wiederholen sich als Farce. Im Sport, möchte man Marx ergänzen, geht manches so schnell, dass Original und Wiederholung manchmal kaum mehr zu trennen sind – und schon gleich gar nicht, ob es sich um Tragödie oder Farce handelt: Das, was wir gerade hierzulande mit Joshua Kimmich erleben, das spiegelt sich gerade in den USA im Fall Aaron Rodgers.
Rodgers ist Quarterback der Green Bay Packers. Er gilt als Künstler unter den Football-Spielmachern, vielleicht das größte Talent auf der anspruchsvollen Position, ein Genie, wenn auch ein mitunter schlampiges, das noch in der vergangenen Saison der NFL zum wertvollsten Spieler der Liga gekürt wurde. Der 37-Jährige gilt als eigensinnig, manche halten ihn für einen der wenigen Intellektuellen im Sport, andere für eine Diva. Er glaubt an die Existenz von Ufos, pflegt ein ausuferndes Detailwissen zu popkulturellen Fragen, liebt Verschwörungstheorien und zwangsverpflichtet seine Teamkollegen zu Karaoke-Abenden.
Im letzten Sommer schmollte er so ausdauernd, weil er sich von seinem Klub nicht ausreichend wert geschätzt fühlte, dass er kurz vorm Abschied aus Green Bay stand, wo er als lebende Legende verehrt wird. Es gibt Gerüchte, dass er mit dem Football aufhören wolle, um dauerhaft den Job als Moderator der TV-Quizshow „Jeopardy!“ zu übernehmen, den er schon mal zwei Wochen als Gastmoderator ausgefüllt hat.
Die aktuelle Posse schlägt allerdings alles, was man von Rodgers bislang gewohnt war. Ende der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Rodgers sich mit Covid-19 infiziert hat. Und es kam heraus, dass er nicht geimpft war – und deshalb in eine mindestens zehn Tage dauernde Quarantäne muss. Das war dann doch seltsam, denn Rodgers hatte sich seit Wochen wie ein geimpfter Spieler verhalten, hatte bei Pressekonferenzen keine Maske getragen, wie es eigentlich Vorschrift ist für ungeimpfte Spieler. Noch obskurer: Hatte Rodgers nicht zu Beginn der Saison behauptet, er sei geimpft?
Tatsächlich hatte er das nicht. Er hatte nur behauptet, er sei „immunisiert“ – und damit lange Zeit Kritik vermieden, die seinen impfskeptischen Quarterback-Kollegen Kirk Cousins von den Minnesota Vikings und Carson Wentz von den Indianapolis Colts ertragen müssen. Kritik prasselt nun umso unbarmherziger auf Rodgers ein: Gesundheitsexperten verurteilten sein Verhalten, die New York Times bezeichnete ihn als „neue Quelle von Impfstoff-Desinformation“, Talk-Show-Legende Howard Stern forderte seine Entlassung und ein Versicherungskonzern, für den Rodgers seit Jahren wirbt, sendet aktuell deutlich weniger Spots mit dem Star.
Alternative Immunisierung
Nach und nach wurden immer mehr absurde Hintergründe bekannt. So hatte sich Rodgers wohl homöopathischen Heilmethoden unterzogen, um sich zu immunisieren, doch die NFL hatte abgelehnt, ihm den Status eines geimpften Spielers zuzubilligen. Die Öffentlichkeit fragt sich nun, warum die Packers ihm erlaubten, Hygienevorschriften zu brechen, und wieso die NFL erst jetzt eine Untersuchung eingeleitet hat.
In einem Fernsehinterview ging Rodgers schließlich in die Offensive. Erst mal wolle er mit ein paar „eklatanten Lügen“ aufräumen: Er sei kein Impfgegner und glaube auch nicht daran, das die Erde flach sei, aber er sei „allergisch auf einen Wirkstoff in den mRNA-Impfstoffen“, glaube „stark an körperliche Autonomie“ und dass Gesundheit eine individuelle Entscheidung sein muss. Es sei eine „totale Lüge“, dass es eine „Pandemie der Ungeimpften“ gebe.
Dann äußerte er den beliebten Querdenker-Verdacht, die Impfstoffe könnten unfruchtbar machen. Rodgers sieht sich als Opfer eines „woken Mob“, der dabei ist, „den letzten Nagel in meinen Cancel-Culture-Sarg zu schlagen“. Seine Informationen beziehe er vor allem von seinem „guten Freund Joe Rogan“. In dem Podcast des Comedian treten schon mal Verschwörungstheoretiker auf, die behaupten, die US-Regierung mische Mittel ins Trinkwasser, um die männliche Bevölkerung zu Schwulen zu machen.
Seit dem Interview darf sich Rodgers in den Sozialen Medien allerhand anhören. Aus einem der beliebtesten Sportler des Landes, zu dem bei einer Umfrage 2020 nur acht Prozent eine negative Meinung hatten, ist eine Lachnummer geworden.
Nur eins scheint von dem Publicity-Desaster unberührt: Rodgers sportliche Fähigkeiten. Wie wertvoll er ist, wurde am Sonntag klar. Da verloren die Packers, die zuvor mit Rodgers sieben Spiele in Folge gewonnen hatten, sang und klanglos gegen die in dieser Saison bislang mittelmäßigen Kansas City Chiefs. Der Hauptgrund war Ersatz-Quarterback Jordan Love. Der soll eigentlich demnächst Rodgers beerben in Green Bay, aber wirkte vor allem hilflos.
Glaubte man an Verschwörungen, könnte man vermuten, Rodgers habe seine kleine Corona-Auszeit selbst inszeniert, um den Packers klar zu machen, dass es ohne ihn nicht geht. Dann wäre die Tragödie vom Fall des Quarterback-Stars tatsächlich eine Farce.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich