Fankultur in Südafrika: "Vuvuzela, ich liebe dich"

Das Gemäkel über Südafrikas Plastiktröte ist borniert. Die Vuvuzela ist keineswegs eintönig, sie gehört zu dieser WM wie der Madenpicker zum Nashorn. Eine kulturpolitische Liebeserklärung.

Die Vuvuzela gehört zu dieser Weltmeisterschaft - nur nachts wird Pause gemacht. Bild: reuters

PRETORIA taz | Ein Summen liegt über Südafrika. Gäbe es einen akustischen Radar, das Land am Kap würde starke Signale hinaus in die Welt senden. Das Tröten der Vuvuzelas verstummt auch dann nicht, wenn die Spiele vorbei und alle Fans aus den Stadien geströmt sind. Es wird fast immer geblasen, mit bis zu 130 Dezibel. Nur nachts gönnt man sich in den Städten eine kleine Pause, bis es um 6 Uhr morgens wieder losgeht mit dem Vuvuzelawahn. In dieser Dimension war kaum einer auf dieses ohrenbetäubende Crescendo vorbereitet, auch wenn immer wieder vor den Blasinstrumenten aus Plastik gewarnt worden war.

Im Feldversuch fühlt man sich beim Besuch eines Vuvuzelakonzerts, als wäre man in ein Blechfass eingesperrt, auf das ein Dutzend Leute mit Schraubschlüsseln einschlägt. Beim Public Viewing ist die Hörsturzgefahr groß, weswegen Ohrstöpsel, angepriesen als "Vuvuzela-Stopper", nahezu ausverkauft sind. Im Stadion legt sich ein Soundteppich über 90 Spielminuten. Die Vuvuzela dröhnt. Sie ist penetrant. Ein Kulturschock für den in Europa oder Südamerika sozialisierten Fußballfan. Selbst Lionel Messi, der kleine Fußballgott, schimpfte nach dem 1:0 der Argentinier gegen Nigeria über den Krach.

Nur scheinbar eintönig

Aber ist es wirklich angebracht, sich jetzt wieder über die Tröte zu ärgern? Die Argumente kamen schon nach dem Konföderationen-Pokal im Vorjahr auf. Sie gipfelten in der Forderung, das Plastikrohr zu verbieten, und zwar schnell. Bundestrainer Joachim Löw sagte: "Wenn die Zuschauer ununterbrochen diese Tröten blasen, nervt das im Lauf der Zeit enorm. Mir wäre lieber, wenn es sie nicht gäbe." Doch Fifa-Chef Joseph Blatter sprach ein Machtwort und nahm die Vuvuzela in den Kanon der geduldeten Blasinstrumente auf. Er wollte die Gastgeber nicht verprellen.

ARD und ZDF haben nach zahlreichen Beschwerden von Zuschauern über die Tröten bei der Fußball-WM in Südafrika die TV-Produktionsfirma HBS über die Proteste informiert. Das Organisationskomitee (OK) der Fußball-WM schließt angesichts der anhaltenden Kritik an den Vuvuzelas ein Verbot in den Stadien nicht mehr völlig aus - obwohl die Weltverband FIFA schon mehrfach betont hatte, dass eine solche Maßnahme nicht in Frage komme.

***

ZDF-Sportchef Gruschwitz betonte, dass es sich nicht um eine offizielle Protestnote handle. Es stehe deutschen Sendern nicht zu, ein Verbot der Vuvuzelas von der FIFA und den WM-Gastgebern in Südafrika zu fordern. "Wir sind Gast in einer anderen Kultur und müssen damit leben", erklärte er.

Jetzt heißt es, die monotonen Vuvuzelablaskonzerte schadeten dem Fußball und vergällten Fernsehzuschauern den WM-Konsum und Millionen Fußballfans in aller Welt seien ja wohl ein viel größerer Markt. Und es handele sich bei dem Getröte nicht um echte Fankultur, weil es vor zehn Jahren noch keinem in Soweto oder Durban eingefallen wäre, in ein 80 Zentimeter langes Hohlrohr zu pusten.

Die Kritiker überschätzen den Einfluss eines Blaskonzerts aufs Spiel gewaltig. Keine Mannschaft verliert, weil 80.000 Fans Krach machen. Im Eröffnungsspiel war es Gastgeber Südafrika, der in den ersten 45 Minuten vom Lärm wie gelähmt schien. Die Mexikaner indes wirbelten, beflügelt vom Vuvu-Sound. Das Tröt-Konzert ist auch nur scheinbar eintönig. Wer genau hinhört, erkennt Schwankungen, ein An- und Abschwellen der Lautstärke. Es folgt dem Spielgeschehen, zwar nicht so ausgeprägt wie Fangesänge in der Bundesliga, aber doch. Wer sich am TV-Gerät gestört fühlt, kann den Ton abschalten und grollen über die Weigerung der schwarzen Fans, "Well never walk alone" oder Ähnliches zum Besten zu geben.

Mumuzela und Babyzela

Die bornierte Kritik an der südafrikanischen Fußballleitkultur wird die Fans am Kap nicht scheren. Sie lieben ihre Vuvuzelas und all ihre Abarten: Boogieblast, Vutela, Mumuzela, Babyzela. Nörglern in Übersee antworten sie mit einem extra lauten Schofar-Stoß. Die Tröte gehört zu Fußball-Südafrika wie der Madenpicker zum Nashorn. Einzig der Vorwurf, die Vuvuzela habe aufgrund kommerzieller Interessen so große Verbreitung gefunden, ist einigermaßen stichhaltig. Die Marke Vuvuzela ist längst geschützt, in Kapstadt und Deutschland wird der Krachmacher von der Firma "Masincedane Sport" hunderttausendfach produziert. Geblasen wird in Südafrika allerdings schon seit Jahrhunderten - auf Kuduzelas, einem dem Geweih der Kudu-Antilope nachgeahmten Horn.

In der Fußballszene war es der bekannteste Fan der Kaizer Chiefs aus Soweto, Freddie "Saddam" Maake, der in den 80ern mit einer Vuvuzela aus Aluminium, damals von ihm Limporo genannt, in die Stadien marschierte. Auf ihn geht der aktuelle Trend zurück. Der heute weltweit bekannte Name der Tröte erschien erstmals 1998 auf einer von ihm produzierten CD: "Vuvuzela Cellular". Wenn Saddam Maake jetzt der Plastiktröte elefanteske Töne entlockt, dann ist immer auch ein bisschen Wehmut dabei, denn er hat nicht profitiert. "Masincedane Sport" hat ihm einmalig 2.500 Rand überwiesen, 250 Euro.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.