Familienzusammenführung II: Ein zähes Mädchen
Narges Zahra* ist ohne ihre Familie von Griechenland nach Berlin geflohen. Die Behörden dort kümmerten sich gar nicht um Flüchtlinge.
Seit drei Monaten ist Narges in Berlin, Vater, Mutter und die fünf Geschwister sind in Athen. „Die Behörden dort kümmern sich gar nicht um Flüchtlinge“, erzählt sie. Es gebe keinerlei Unterstützung und keine Lebensgrundlage. Zuvor hat die Familie aus Kabul zehn Monate in Moria gelebt, unter den bekannten unmenschlichen Bedingungen. „Wir sind aus Afghanistan weggegangen, weil wir Angst um unser Leben hatten. Aber in Moria war es nicht besser. Erst mussten wir eine Woche auf der Straße schlafen. Dann haben wir zwei kleine Zelte bekommen. Aber die bieten keinen Schutz, nachts überfallen Leute die Flüchtlinge, nehmen ihnen Handys und Geld ab. Aus Furcht haben wir nie richtig geschlafen“, erzählt sie.
Um die Zeit im Lager zu nutzen, nahm sich Narges vor, Englisch zu lernen: Sie lernte den dänischen Flüchtlingshelfer Salam Aldeen von der Organisation Team Humanity kennen, der neben dem Lager ein Zentrum für Frauen und Kinder eingerichtet hat (inzwischen wurde er deswegen in Abschiebehaft genommen), und half ihm bei seiner Arbeit.
„Sie war ein Flüchtling und hat selbst anderen Flüchtlingen geholfen“, sagt Andreas Tölke mit Stolz in der Stimme. Der Chef des Vereins Be an Angel und des Flüchtlingsrestaurants Kreuzberger Himmel hat sich in Berlin der jungen Afghanin angenommen und gerade die Vormundschaft für sie beantragt, damit er ihr beim Asylverfahren und dem Nachholen der Familie helfen kann. Tölkes Adresse hatte Narges von Salaam Aldeen bekommen, als sie und ihre Familie in Moria einen „schwarzen Stempel“ in ihren Flüchtlingsausweis bekamen und damit die Insel Richtung Athen verlassen konnten.
„Wir schaffen das“
Narges Familie nach Berlin zu bringen, werde nicht einfach, erklärt Tölke. Erst müsse ihr Asylverfahren hier eröffnet werden, also Deutschland sich für ihren Fall zuständig erklären – EU-Einreiseland ist ja Griechenland –, dann müssten die griechischen Behörden beim Bamf die Familienzusammenführung beantragen. „Das alles kann dauern, zumal die griechische Bürokratie ja noch eine größere Katastrophe ist als unsere“, sagt Tölke. Besonders schwierig könnte es zudem für ihre volljährige Schwester werden – Nachziehen dürfen eigentlich nur minderjährige Geschwisterkinder. „Aber wir schaffen das“, schiebt er schnell in Richtung Narges nach, der bei diesen Aussichten wieder die Tränen kommen.
Dass sie zäh genug ist, auch diesen Kampf durchzustehen, glaubt man sofort. Das Clearing-Verfahren zur Altersfeststellung liegt hinter ihr, den Versuch des Jugendamts, sie nach Brandenburg zu überweisen, habe sie „bravurös abgewehrt“, erzählt Tölke anerkennend. Nach vier Stationen in Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge lebt sie nun in einer WG mit fünf Altersgenossinnen, inklusive zweier anderer afghanischer Mädchen. Sie geht in die Schule, lernt Deutsch, spielt Fußball. „Ja, ich habe viele Freunde gefunden. Es geht mir gut“, sagt sie und lächelt.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen