piwik no script img

Familienpolitik in PolenUterus unter staatlicher Aufsicht

Schwangerschaften sollen in Polen künftig in einem Zentralregister erfasst werden. Auf diese Daten hätte auch die Staatsanwaltschaft Zugriff.

Proteste nach dem Tod einer Schwangeren in Gdansk am 28. November Foto: Michal Fludra/NurPhoto/imago

Warschau taz | Polens Staatsanwaltschaft und Geheimdienste sollen demnächst kontrollieren, ob Polens Frauen schwanger sind, sie nach neun Monaten ein Baby zur Welt bringen oder aber eine Fehlgeburt erleiden. Dies sieht eine Verordnung der nationalpopulistischen Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vor. Sie soll am 1. Januar 2022 in Kraft treten.

Schon heute haben alle Pa­ti­en­t:in­nen in Polen eine individuelle Patientenkarte im Internet. Diese Daten sind – zumindest theoretisch – durch die Schweigepflicht der Ärzte geschützt. Doch nun sollen zahlreiche persönliche Daten, darunter auch Schwangerschaften, in einem medizinischen Zentralregister erfasst werden, auf das Staatsanwaltschaft und Geheimdienste jederzeit Zugriff hätten.

Dies behauptet der Senator der liberalen Bürgerkoalition (KO), Krzysztof Brejza, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter und fügt auch gleich Beweise an: Kopien der geplanten Verordnung sowie seiner Briefe an das PiS-Gesundheitsminis­terium sowie an den Chef des Justizministeriums und der Staatsanwaltschaft, Zbigniew Ziobro.

Brejza will wissen, auf wessen Initiative diese geplanten Änderungen zurückgehen und wozu konkret Staatsanwaltschaft und Geheimdienste wissen müssen, ob eine Frau in Polen schwanger ist. Auf Twitter bricht ein Aufruhr los. Sarkastisch kommentiert die feministische „Bewegung der acht Sternchen“: „Super! Und wenn ein Paar sich ein Kind wünscht, die Frau dann aber eine Fehlgeburt erleidet, muss sie vor dem Staatsanwalt erklären, dass sie das Kind wirklich wollte.“

Kalbende Kühe

Eine Userin namens Agata Nowak schreibt voll Verachtung für diese Frauenpolitik auf Twitter: „Versteht Ihr, was hier passiert? Eure Schwangerschaft wird kein intimes Erlebnis zwischen Dir, Deinem Partner und dem behandelnden Arzt sein. Der Staatsanwalt erfährt sofort davon und alle Beamten, die Zugriff auf das Register haben: Vorname, Name, Geburtstermin. Ihr werdet sein wie kalbende Kühe.“ Zum Schluss ruft sie ihre Le­se­r:in­nen noch auf: „Auf die Straße, Leute!“ Eine Johanna befürchtet, dass auch das den Radikalen in der PiS wohl nicht weit genug gehen wird: „Demnächst werden sie noch alle Verhütungsmittel verbieten!“

In Polen gilt eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Ende 2020 urteilte das von der PiS kontrollierte Verfassungsgericht Polens, dass ein schwer fehl gebildeter oder nicht überlebensfähiger Fötus keine medizinische Indikation für eine legale Abtreibung darstelle. Dies sei unvereinbar mit Polens Verfassung.

Den Antrag auf Überprüfung des Abtreibungsrechts hatten einige Abgeordnete der regierenden PiS gestellt, und dies gegen den klaren Willen der Bevölkerungsmehrheit, wie mehrere Umfragen zeigten.

Seither sind legale Abtreibungen nur noch bei einer Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der Schwangeren oder bei Vergewaltigung möglich. Die offizielle Statistik müsste demnach schon für 2021 auf weit unter 1.000 legale Abtreibungen fallen, und dies bei einer Gesamtbevölkerung von 38 Millionen Einwohner:innen. Allerdings stehen Gy­nä­ko­lo­g:in­nen bei Risikogeburten nun vor dem Dilemma, ab wann das Leben des Fötus keinen Vorrang mehr vor dem Leben der Schwangeren hat.

Vor Kurzem hatten Ärzte zu lange darauf gewartet, dass keine Herztöne des Fötus mehr zu hören waren, und erst dann einen Kaiserschnitt eingeleitet. Zu spät: Die junge Frau, die bereits Mutter eines kleinen Mädchens war, starb an einer Blutvergiftung.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Polen und Ungarn sind inzwischen so weit von jeglicher Rechtsstaatlichkeit abgerückt, dass ein Verbleib in der EU keine Option mehr ist. Aber es gibt ja nur Sanktionen und keinen Ausschlußmechanismus - warum eigentlich nicht?



    Mein Vorschlag wäre Ungarn, Polen und Erdoganien vereinigen sich zu einer religiös verbrämten Solidargemeinschaft und bleiben unter sich. Die unterschiedlichen Religionen sehe ich dabei nicht als Problem.

  • Orwell: 2021. Dystopischer geht es kaum noch...oder schafft Polen auch das?



    Ist das eigentlich mit EU-Recht vereinbar, Schutz des Lebens usw.?

    Was für ein Horrorland - und das in direkter Nachbarschaft.

    Hoffen wir mal, dass das nicht durchkommt, aber bei dem Status Quo?