Familiennachzug für syrische Flüchtlinge: Koalitionsstreit um Asylgesetz
Innenminister de Maizière schart mit seiner Idee zum begrenzten Familiennachzug für Syrer immer mehr Fans in CDU und CSU hinter sich. Die SPD hält dagegen.
Es seien weitere Bausteine erforderlich, um einer Lösung der Flüchtlingskrise näherzukommen, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber nach Sitzungen von Präsidium und Vorstand in Berlin. In den CDU-Gremien habe große Einigkeit geherrscht, dass dazu auch der Familiennachzug gehöre. De Maizière soll nun mit den Innenministern der Länder klären, welche Gruppen von Flüchtlingen einen schwächeren Schutz bekommen sollen, der den Nachzug von Angehörigen verbietet. „Ich hoffe, wir kommen dabei auch zu einer einvernehmlichen Lösung“, sagte Kanzlerin Angela Merkel in Schwerin. „Es muss Beschleunigung einerseits und Ordnung andererseits der Asylverfahren gewährleistet werden.“
Der Bundesinnenminister will den Schutzstatus auch für Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien herabstufen, war aber am Freitag nach SPD-Protesten und einer Intervention des Kanzleramts zurückgerudert.
Die Bearbeitung von Asylanträgen dauert nach Aussage von Flüchtlingsamts-Chef Frank-Jürgen Weise noch immer viel zu lange. „Die Aufgabe, die wir haben, läuft noch nicht gut“, sagte Weise am Montag in Nürnberg. Einer der wichtigsten Faktoren, um die Asylverfahren zu beschleunigen, sei die Aufstockung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Es werde noch lange dauern, die rund 300.000 Altfälle abzuarbeiten, sagte Weise.
In der Diskussion über eine veränderte Prüfung der Asylanträge von Syrern sagte Weise, er habe dazu „keine Weisung“ aus Berlin erhalten. Das Bundesinnenministerium hatte am Freitag mitgeteilt, das BAMF sei „gebeten“ worden, syrische Flüchtlinge wieder intensiver zu ihren Asylgründen zu befragen. Nach massiver Kritik nahm de Maizière diesen Vorstoß später wieder zurück.
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte am Montag, es gebe keine neue Rechtssituation. Allerdings sei der Familiennachzug für alle syrischen Flüchtlinge derzeit ohnehin nicht zu realisieren. Die Behörden seien voll damit beschäftigt, die sehr hohe Zahl von Flüchtlingen zu registrieren und unterzubringen. „Wenn man diese Realität landauf landab sieht, dann wird jedem klar: Einen Familiennachzug im bisherigen Verständnis kann es derzeit nicht geben.“ Kanzlerin Angela Merkel (CDU) halte an ihrem Innenminister fest – „selbstverständlich“ habe de Maizière weiter ihr Vertrauen.
Klöckner: Es bedarf einer Einzelfallprüfung
CDU-Vize Julia Klöckner sagte, irgendwann werde es für Deutschland auch eine Belastungsgrenze geben. In der Dienstagausgabe der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post sagte sie: „Das Asylrecht ist ein Recht für den Einzelnen, nicht für ganze Nationen. Es bedarf daher konsequenterweise auch einer Einzelfallprüfung.“ Sie betonte, die Verhältnisse in den Herkunftsländern seien regional oft sehr unterschiedlich. „Ich erwarte von der SPD, dass man sich hier der Wirklichkeit öffnet.“
Klöckners Amtskollege Armin Laschet sagte: „Man muss mit dem Koalitionspartner diese Frage besprechen.“ CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn erklärte, Deutschland habe mehr Flüchtlinge als andere Länder in Europa aufgenommen – da sei es legitim, auch über den Familiennachzug zu diskutieren. Am Sonntag hatten sich bereits CSU-Chef Horst Seehofer und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) de Maizières Vorstoß angeschlossen.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warnte die SPD in der Bild-Zeitung vom Dienstag vor einer Blockade und forderte sie zur Kooperation auf. „Wir brauchen von der SPD jetzt ein Zeichen der Vernunft, keine Blockade“, sagte Scheuer. „Unbegrenzter Familiennachzug würde Deutschland weiter überfordern.“ Ein eingeschränkter Schutz würde auch Abstriche beim Familiennachzug bedeuten.
Die SPD wird nach den Worten von Generalsekretärin Fahimi jeden Vorschlag ernsthaft prüfen, ob er humanitären Ansprüchen, internationalen Verpflichtungen und einem Praxistest gerecht wird. „Es geht uns nicht um eine grundsätzliche ideologische Ablehnung eines Vorschlags“, sagte sie. Aus Sicht der SPD ist der Familiennachzug bei Syrern derzeit konkret nicht relevant, weil die Betroffenen wegen des Staus bei den Asylanträgen diesen nicht beantragen könnten. Das Thema könnte erst „in vielen Monaten“ akut werden, erläuterte Fahimi. „Zum jetzigen Zeitpunkt wird es von der SPD eine solche pauschale Zustimmung nicht geben.“
Schwesig: „Nicht jeden Tag eine neue Sau“
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) rätselt, welche Linie die Union beim Umgang mit syrischen Flüchtlingen verfolgt. „Ich bin gar nicht sicher, ob dass jetzt wirklich die Linie ist“, sagte sie am Dienstag im Deutschlandfunk. Sie verlasse sich auf das Wort von Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier (CDU), dass sich an der bisherigen Praxis nichts ändere.
Schwesig forderte von der Union, in der Regierung erst einmal das umzusetzen, was beschlossen wurde, „und nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben“. Wenn die Union nun auch bei Syrern den Familiennachzug einschränken wolle, dann halte sie das für problematisch. „Der Schutz der Familie steht für uns sehr weit oben“, das gelte auch für Flüchtlinge. Verfolge Deutschland diese restriktive Linie, würden viele Männer künftig ihre Frauen und Kinder sofort mitnehmen auf ihrem schwierigen Fluchtweg. Das werde den Zustrom eher ausweiten.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sagte der Zeitung Die Welt vom Dienstag, anstatt immer neue Vorschläge zu diskutieren, „sollten wir endlich das eigentliche Kernproblem lösen“. So dauerten die Asylverfahren viel zu lang, außerdem wachse der Aktenstau von Tag zu Tag. Jäger forderte die Regierung daher auf, die Bedingungen für schnellere Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu schaffen. So sei vor allem „ausreichend Personal“ nötig. Während das Bundesamt einen Antrag bearbeite, landeten zwei weitere auf dem Aktenberg. „Länder und Kommunen stöhnen unter dieser Last“, sagte Jäger der Zeitung.
Nach Ansicht de Maizières muss die EU mehr Flüchtlinge verteilen und schneller die dafür nötigen Aufnahmezentren (Hotspots) im Süden Europas errichten. Er sagte am Montag beim Sondertreffen der EU-Innenminister in Brüssel, die umstrittene, aber beschlossene Verteilung von 160.000 Flüchtlingen komme „sehr schleppend in Gang. Das muss besser werden.“ Auch die EU-Kommission pocht auf mehr Tempo.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte angesichts der Flüchtlingskrise vor einem Zerfall der EU. „Das kann unheimlich schnell gehen, wenn Abschottung statt Solidarität nach innen wie nach außen die Regel wird“, sagte Asselborn der Deutschen Presse-Agentur. „Dieser falsche Nationalismus kann zu einem richtigen Krieg führen.“
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