Familiennachzug für Flüchtlinge: Mütter dürfen, Zweitfrauen nicht
Pinneberg ließ die Zweitfrau eines Syrers einreisen – nun tobt ein Shitstorm gegen die Behörde. Doch die hat rechtskonform gehandelt.
Nun erlebt die Kreisverwaltung einen Shitstorm: Die Behörde, so grollt es durch die sozialen Netze, fördere Bigamie. Dabei gehe es gar nicht um das Wohl der Zweitfrauen oder gar der Männer. „Wir haben nicht Ehefrauen, sondern Mütter ins Land geholt“, sagte Kreissprecher Oliver Carstens dem Hamburger Abendblatt.
Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein teilt diese Ansicht: „Das Recht liegt bei den Kindern, die den Nachzug der Mutter beantragt haben.“ Damit sei es auch „Quatsch“, dass ein Bundesland dieses Recht pauschal ablehne.
„Juristisch komplex“ sei die Frage, weil neben dem Ausländerrecht auch das Familienrecht betroffen sei, sagt Bernd Mesovic von der Bundesvereinigung Pro Asyl: „Hier muss die Ausländerbehörde abwägen.“ Entscheidungen dieser Art seien bundesweit selten, meint Mesovic: „Erstaunlich, dass es im Kreis Pinneberg gleich zwei gibt.“
In der Rechtssprechung wurde bisher vor allem der Fall behandelt, bei dem ein Mann mit zwei Frauen einreisen will – betroffen sind nicht nur Familien aus dem islamischen Kulturkreis, sondern auch christliche Sekten wie die Mormonen, die in den USA Vielehen eingehen dürfen. Das Schwierige: „Es liegt außerhalb unserer Möglichkeiten, auf Eherechte anderer Staaten einzuwirken“, so Behördensprecher Carstens.
Rechtlich gilt nur eine Frau als Gattin
Daher geht der Staat mit Doppelehen pragmatisch um: Rechtlich gilt nur eine der Frauen als Gattin und darf bei der Krankenkasse mitversichert werden. Sollte der Mann aber sterben, wird sein Erbe gleichmäßig verteilt. Auch beim Unterhaltsrecht wird nicht zwischen Frau eins und zwei unterschieden.
Für das Recht der Kinder auf ihre Mutter sei der Ehestatus irrelevant, heißt es im Kreis Pinneberg. „Für uns ist allein die Vater- und Muttereigenschaft entscheidend und nicht, ob es sich um eine Vielehe, eine uneheliche Beziehung oder eine ungültige Ehe handelt.“
Bekannt wurde der Fall durch eine Anfrage des Abgeordneten Burghard Schalhorn, der für die „Kreiswählergemeinschaft Pinneberg“ im Kreistag sitzt. Die freie Wählergruppe verspricht, „sachorientiert, parteienübergreifend, interessenneutral“ zu arbeiten, positioniert sich aber klar gegen die Aufnahme von Geflüchteten. Seit September 2016 sehen die Freien Wähler Gefahr für den landwirtschaftlich geprägten Kreis, in dem weniger als 500 Menschen pro Quadratkilometer leben. „Gewalt und Terror haben uns erreicht“, befand die Wählergemeinschaft düster.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste