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Familien in der PandemieKinder haben einfach keine Lobby

Die Auswirkungen des Lockdowns werden im Umfeld unserer Autorin immer deutlicher. Eltern sind am Limit, Kinder spüren, dass sie zur Belastung werden.

Permanente Doppelbelastung und fehlende Rückzugmöglichkeiten führen zu angespannten Situationen Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago

N och nie habe ich so viel rumgeschrien wie im erneuten Lockdown. Getroffen hat das Geschrei meine Tochter. Dabei liebe ich sie über alles. Nach Monaten auf engstem Raum wurde es mir einfach zu viel, den ganzen Tag den Bedürfnissen einer anderen Person nachzukommen. Keine Zeit zum Arbeiten zu haben, schon gar keine Zeit für mich.

Die Studien zur Kindeswohlgefährdung überraschen mich nicht. Beinahe jede Mutter in meinem Umfeld, das man als gebildet bezeichnen kann, glaubt, am Limit zu sein. Und gibt zu, vollkommen entnervt die Kinder anzuschreien. „Lass mich alleine! Hau ab!“, hat eine Freundin erst neulich in meinem Beisein ihren Siebenjährigen angeschrien. Dabei wollte er nur ein Stück Schokolade haben. Man muss dazusagen: Sie ist sonst eine besonders aufopfernde Mutter.

Was es mit Kindern macht, wenn die Eltern am Limit und ihre anderen Kontakte eingeschränkt sind, zeigt eine Studie des Uni-Klinikums Hamburg-Eppendorf. „Fast jedes dritte Kind“, so hieß es darin, „leidet ein Jahr nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten.“ Nun warnt auch Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks, gerade Mütter seien durch mangelnde Betreuungsangebote am Anschlag: „Und diesen Druck“, erklärte sie im Deutschlandfunk, „haben auch die Kinder, weil das ist ja eine Einheit, Mutter und Kind.“

Beim Lesen des Interviews muss ich an den Münsteraner Oberbürgermeister denken, der am 9. Februar in der Talkrunde bei Lanz sagte: „Wir müssen gucken, dass Kinder eine Bereicherung sind. Sie dürfen keine Belastung werden. Das ist aus meiner Sicht ein Auftrag, den wir da haben.“

Sie leiden unter der Belastung

Dass Kinder zur Belastung werden, das auch spüren und darunter leiden, war doch durch das Vereinenmüssen von Arbeit und Kinderbetreuung in den Lockdowns vorprogrammiert. Dabei wusste man aus dem ersten Lockdown bereits, dass Familien an ihre Grenzen geraten. Eine Freundin hat es neulich auf den Punkt gebracht: „Kinderkrankentage helfen gar nicht. Wenn ich mir wegen Kinderbetreuung freinehme, bleibt meine Arbeit an anderen hängen. Das kann ich nicht bringen.“

Ich habe immer mehr das Gefühl: Kinder haben einfach keine Lobby. Erst als die ersten Studien über die langfristigen Folgen eines Lockdowns bei Kindern herauskamen, wurde deren psychisches Wohl überhaupt zur Kenntnis genommen. Plötzlich war von der Generation Lockdown die Rede. Passiert ist seither wenig. Freizeitangebote mit AHA-Regeln in kleinen Gruppen gibt es für Kinder und Jugendliche noch immer so gut wie nicht.

Aber: Kinder lernen bei jedem Spielen. Sie orientieren sich an Altersgenossen, brauchen neue Eindrücke, mehr als Erwachsene, die bereits alle Synapsen entwickelt und einen Schatz an Erfahrungen haben, von dem sie zehren können. Zudem fühlt sich ein Jahr für Kinder ungleich länger an als für Erwachsene.

Ich merke bereits die Auswirkungen der Lockdowns auf die Kinder in meinem Umfeld. Einige fallen in frühkindliches Verhalten zurück. Andere sind aggressiver. Besonders zu denken gegeben hat mir das Verhalten der immer fröhlichen fünfjährigen Tochter einer alleinerziehenden Freundin: Als ich zuletzt auf sie aufpasste, spielte sie nichts als Arbeit. Sie schichtete Sand auf, machte ihn wieder platt und schichtete ihn erneut auf. Über eine Stunde, in der meine Tochter vergeblich versuchte, mit ihr zu spielen. Irgendwann nahm sie einen Keks: „Pause.“ Als sie von meiner Tochter fotografiert wurde, rief sie: „Cheese! Hashtag bestie!“ Und: „Nicht stören. Bin busy!“

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Eva-Lena Lörzer
Jahrgang 1983, studierte nach Auslandsaufenthalten in Oxford, Montpellier, Glasgow und Buenos Aires in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Schreibt seit 2012 für die taz. Hauptsächlich Berliner Szenen, aber auch Reportagen, Hausbesuche und Kolumnen für Berlin Viral.
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13 Kommentare

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  • 2G
    22305 (Profil gelöscht)

    Manche Kinder haben eine Lobby, manche Kinder haben keine Lobby. Manche haben so nen bisschen Lobby. Das läuft einerseits analog zu der Klasse der Eltern. Haben die Eltern ne Lobby, sind sie auch Lobby für ihre Kinder und leider verhält es sich genauso bei den Eltern ohne Lobby. Da haben die Kinder auch null Lobby. Es gibt auch Kinder, die ganz unabhängig von den Eltern keine Lobby haben: Kinder mit Behinderung, Kinder mit psychischer Erkrankung und Kinder in der stationären Jugendhilfe. Mich nervt das so enorm in der Debatte um Familien und Corona, dass sich Leute einbilden, sie könnten für Eltern, Kinder und Familien sprechen und so tun, als seien die jeweiligen Probleme vergleichbar und komplett losgelöst von Klasse und anderen Faktoren. Sehr geehrte frau Lörzer, bitte tun Sie nie mehr wieder so, als hätten Ihre Kinder so wenig Lobby wie meine. Ihre Kinder haben eine Lobby. Mittel- und Oberschichtskinder ohne Behinderung haben eine Lobby. Eine sehr starke noch dazu.

  • Wenn man die Kommentare hier liest, bekommt man ja richtige Depressionen ob der schlechten Erfahrungen, die in den Familien scheinbar gemacht werden.

  • "in meinem Umfeld, das man als gebildet bezeichnen kann," aber in dem Kinder keine Lobby haben!



    Da lobe ich mir doch mein Umfeld, in dem ich auch bei Kinderkrankentagen kein schlechtes Gewissen haben muss, weil jeder für so etwas, gerade in der heutigen Zeit, Verständnis zeigt. Liegt vlt. an der mangelnden Bildung, sind eben meißt Facharbeiter und einfache Kaufleute.

    • Eva-Lena Lörzer , Autorin des Artikels,
      @Ber.lin.er:

      Liebe(r) BER.LIN.ER, dass ich mein Umfeld als gebildet bezeichnet habe, diente lediglich der Verdeutlichung, dass sich das Problem der Überforderung bei allen äußerst. Also die Kinder nicht nur, wie sonst oft geschrieben, in "bildungsfernen Familien" zu kurz kommen können, wenn alle außenfamiliären Bildungs-, Betreuungs- und Freizeitangebote wegfallen. Es sollte kein Hieb gegen Menschen sein, die nicht studiert haben. Ganz im Gegenteil. Die Formulierung, dass die Kinder keine Lobby haben wiederum bezog sich nicht auf das beobachtete Umfeld, sondern auf die politischen Entscheidungsträger*innen. Erst jetzt werden Forderungen laut, den Kindern, falls die Schulen wieder schließen, zumindest Unterricht im Freien zu ermöglichen. Konzepte und Modelle für solche Angebote in kleinen Gruppen unter Einhaltung der AHA-Regeln hätte es mit Blick auf das Wohl der Kinder meines Erachtens nach schon früher geben können.

      • @Eva-Lena Lörzer:

        Erstens habe ich schon lange nicht mehr in ernst zu nehmenden Publikationen gelesen, dass Kinder nur in "bildungsfernen Familien" zu kurz kommen, und zweitens hätten Sie doch auch ganz klar schreiben können, dass es sich dabei um ein Problem handelt, dass alle Bevölkerungsschichten vom Ministerpräsidenten, über die Journalistin bis zum Maurer betrifft.

  • Deutschland ist ein kinderfeindliches Land mit historischer Prägung. Die schwarze Pädagogik aus dem Beginn des 20. Jahrhundert und der auch nach '45 anerkannte Nazi-Bestseller "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind", in dem das Kind mit seinen Bedürfnissen in erster Linie als Feind besiegt werden soll, sind historische Schlaglichter dieser merkwürdig gefühlsamputierten gesellschaftlichen Haltung..."Liebe" stand/steht darin generell im Verdacht der "Verwöhnung". Die antiautäre Erziehung hat in Westdeutschland etwas aufgebrochen; die DDR bewahrte das Autoritäre in ihrer kollektiven Erziehung aus deutscher Tradition. Insgesamt eine unbegriffen verhängnisvolle Tradition, in der immer die Prospertät der Wirtschaft und die politischen Machtverhältnisse im Vordergrund stehen, auch in den Köpfen der meisten Eltern. Die Pandemie macht das unübersehbar deutlich. Unglaublich, wie nachrangig Kinder in ihren Kitagruppen und in ihren Schulen versorgt werden. Wo ist eigentlich die lautstarke Intervention der Familienministerin? Aber solange keine wütenden Eltern auf die Straße gehen und die Arbeit verweigern, wird sich nichts ändern...

    • 0G
      04369 (Profil gelöscht)
      @Beate Homann:

      Liebe Frau Homann, ihr Kommentar bringt es auf den Punkt und auch den Begriff der schwarzen Pädagogik trage ich mit, denn wie anders ist es zu bezeichnen, wenn Eltern die Arbeit mit oberster Priorität versehen und ihre Kinder vernachlässigen. Soziologisch würde mich interessieren wie es ökonomisch um die oben beschriebenen Eltern bestellt ist. Von einer befreundeten Psychologin erfuhr ich, dass ihr Klientel aus der Hamburger Hafen City stammt, also wirtschaftlich solide aufgestellt sind, durchaus in der Lage wären Kinderbetreuung zu finanzieren, aus welchen Gründen auch immer dieses unterlassen, ihre Kinder dennoch vernachlässigen und ihnen dann auch noch die Verantwortung für die Überlastung zu schieben. Wenn diese Aussagen über diese Eltern zutreffen, dann kann man sehr wohl von Gewalt- und Ignoranzpädagogik reden, bzw schreiben.

      • Eva-Lena Lörzer , Autorin des Artikels,
        @04369 (Profil gelöscht):

        Lieber Marco Moreno, ihr soziologisches Interesse stille ich gerne: Die von mir beschriebenen Eltern ( einschließlich mir selbst) leben in wirtschaftlich prekären Verhältnissen, können sich also nicht leisten, ihre Arbeit zu vernachlässigen, da sie auf die Einnahmen für Miete und Lebensunterhalt angewiesen sind. Davon, dass die beschriebenen Freundinnen - oder ich selbst - ihrer Arbeit die oberste Priorität geben und die Kinder vernachlässigen, habe ich nichts geschrieben. Sondern versucht aufzuzeigen, dass der ständige Spagat zwischen Homeoffice und Homeschooling, bei dem mal die Arbeit, mal die Kinder hinten anstehen müssen, für eine dauerhafte innere Zerrissenheit sorgt, die einen Druck erzeugt, der sich letztlich auf die Kinder entlädt. Und dies auch in Familien, die stets bemüht sind, das Wohl ihrer Kinder über alles zu stellen. Beide der oben erwähnten Freundinnen sind alleinerziehend und haben keine finanzielle Unterstützung.

        • 0G
          04369 (Profil gelöscht)
          @Eva-Lena Lörzer:

          Liebe Frau Lörzer, zunächst einmal vielen Dank für ihre Antwort. Es freut mich, wenn sich ein Autor der Taz sich die Mühe macht zu antworten, was in der Regel nicht passiert. Meine Erzeuger haben sich um mein Dasein und meine kindliche Entwicklung einen Dreck geschert, nicht das sie mit mir als ein sehr braves Kind, überfordert gewesen wären, ich habe sie einfach nicht interessiert. Die waren mit Konsum beschäftigt um ihre Traumata aus Diktatur und Krieg zu kompensieren und sicher sind meine ersten zehn Lebensjahre auf diesem Planeten, kein Maßstab für diese Debatte, aber mir ist bewusst was es bedeutet, wenn ein Kind, über lange Zeiträume sich selbst überlassen ist. Das macht so richtig was mit ihm. Es entfremdet von den Menschen. Und es bedarf viel professioneller Hilfe im hier und jetzt anzukommen. Eingedenk der Tatsache, dass obige begüterte Eltern, zumindest erkannt haben, dass bei ihren Kindern etwas grundlegend schiefläuft. Dumm nur, dass die Kraft zur Einsicht fehlt, das es eben mit ihnen etwas sehr gravierendes zu tun hat. Klar muß Frau/ Mann von etwas leben und auch klar, dass Anerkennung, die jenseits eines monatlichen Gehaltscheck sich findet, wichtig ist. Aber hey, es geht um ihr/ eure Kind/er, und mich irritiert es schon sehr, dass es ihnen als Autor nicht auffällt, dass sie, ganz klar, die Priorität auf die Arbeit legen und auch hier fehlt es an Einsicht. Sie lieben ihr Kind, keine Frage, aber es nervt, die Arbeit hingegen nicht. So lese ich ihren Beitrag. Es gibt für Gebildete, selbst in prekärer Situation, ungleich mehr Möglichkeiten zunächst im Sinne seines Kindes zu handeln. Wenn alle Wege, Großeltern, Freunde, Bekannte, und in diesen Notzeiten kam man auch die Nachbarn fragen, ausgeschöpft sind, und der Arbeitgeber, und hier ja wohl auch die Taz gemeint, nicht hilft. Dann hilft es nichts, dann muss die Arbeit ruhen, mit Krankschreibung, oder zur Not mit Kündigung. In diesem Land und dieser Leistungsgesellschaft kann sich Frau/ Mann eine Auszeit

          • 0G
            04369 (Profil gelöscht)
            @04369 (Profil gelöscht):

            nehmen. Ja, auch wenn es bedeutet von Hartz iv zu überleben. Meine zehnjährige Tochter und ich sind darauf seit langer Zeit angewiesen und hey 2, Spaß macht es nicht, einmal mehr in einer Stadt wie Hamburg, aber haben wir haben ein Dach über den Kopf, Nahrung ist im Kühlschrank und ich kann für sie da sein. Wie beschrieben, ich bin sicher kein Maßstab, und auch klar ich möchte sie nicht verurteilen und hey 3 ich hab vieles und nochmehr Verständnis, aber nur über diesen Zustand zu klagen reicht nicht, es muss dann auch irgendwann einmal etwas gutes, und zunächst einmal für das Kind, geschehen.

          • 0G
            04369 (Profil gelöscht)
            @04369 (Profil gelöscht):

            nehmen. Meine zehnjährige Tochter und ich sind darauf seit langer Zeit angewiesen und hey 2, Spaß macht es nicht, aber haben wir haben ein Dach über den Kopf, Nahrung ist im Kühlschrank und ich für sie da sein. Wie beschrieben, ich bin sicher kein Maßstab, und hey 3 ich hab vieles und nochmehr Verständnis, aber nur über diesen Zustand zu klagen reicht nicht, es muss dann auch irgendwann einmal etwas gutes, und zunächst einmal für das Kind, geschehen

    • @Beate Homann:

      Danke für den Kommentar. Das Einzige was mich stört, ist der Begriff " schwarze Pädagogik ". Er ist von Alice Miller und Katharina Rutschky geprägt und sollte eher als Gewalt- und Ignoranzpädagogik bezeichnet werden.

  • Das Wort Familie wurde unnötig kaputt gemacht, Ich definiere das so: überall wo ein Kind dabei ist, besteht eine Familie, entweder nur gesetzlich oder hoffentlich auch emotional. Ob ein Kinderheim, Schwulen, Lesben oder Alleinerzeihende ist doch egal.



    Der große Fehler der letzten zwanzig oder dreißig Jahre war, Familie zu etwas abartigem zu machen.Welche Alternative soll es denn geben?



    Heute wieder im Kultusausschuss im Landtag Bayern, Wesen die sicher nie emotional ein Kind betreut haben reden über das Wohl des Kindes und des Schülers,wie tolle es ihm in bayerischen Schulen geht, welch überragende Leistung die Lehrer trotz Corona auf Grund der außergewöhnlich guten Bedingungen an bayerischen Schulen bei den Schülern sicherstellen können. Eltern wurden nicht erwähnt, oder doch ein Opfer (eine Mutter) war auch dabei, eine erziehende Mutter, die aber nicht beachtet wurde und wegen ihrer schlechten Ausdrucksform gerügt wurde -von einem CSU-Professor mit irgendeinem Namen, der auch wirklich egal ist. Aber das ist das System. Im Bildungsausschuss sitzen nur Lehrer .- und so funktioniert gute Bildungsarbeit nicht. Leute , die von nichts was Familie bedeutet, eine Ahnung haben, lassen andere mit dem Vorschlaghammer (im bertragenen Sinne) auf die Kindeer und Schüler los (Lehrer mit ihren Noten). Man sollte diese Supergenies mit einer Axt in den Wald schicken. Das würde den Wald retten. Keine Angst, die können keinen einzigem Baum auch nur die Rinde kratzen, geschweige denn Fällen, die essen zu Tisch wie auch geistig nur mit sehr stumpfen Messer,,,,