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Familie und BerufKinderfreie Zone Bundestag

Abgeordnete mit Kindern müssen den Plenarsaal verlassen, Kitaplätze gibt es kaum. Nachwuchsbetreuung und Job sind schwer vereinbar.

Schon allein wegen der ganzen Fotografen wird es eng in der Bundestags-Kita Bild: dpa

BERLIN taz | Ein Paravent. Susann Rüthrich will einen Wandschirm für ihr Glas-Büro. Am anderen Ende der Leitung knackt es. Einen Paravent gibt es nicht. Der muss extra angefertigt werden. So eine Anfrage hat die Bundestagsverwaltung noch nie bekommen.

Susann Rüthrich ist Mutter und sitzt für die SPD im Bundestag. In wenigen Tagen erwartet sie ihr zweites Kind, das sie auch in Berlin stillen will: „In den Büros für die Abgeordneten sitzt man wie in einem Aquarium. Jeder kann reinschauen.“ Deshalb der Sichtschutz. Sie will sich nicht zwischen Beruf und Kindern entscheiden müssen. Im Paul-Löbe-Haus, wo die Bundestagsabgeordneten ihre Büros haben, verrücken Arbeiter dafür Tische, Telefonkabel müssen neu verlegt und eine Stillecke muss eingerichtet werden: mit Sofa und Kinderbettchen.

Ganz Deutschland will familienfreundlicher werden. Bundesverteidigungsministerin von der Leyen fordert: Mehr Kitas für die Bundeswehr, bessere Vereinbarkeit von Familien- und Soldatenleben. Auch Bundesfamilienministerin Schwesig wünscht sich die 32-Stunden-Woche für Eltern.

Die Parlamentarier tun sich jedoch schwer, nicht nur bei Gesetzen zur öffentlichen Kinderbetreuung, sondern auch bei der Versorgung des eigenen Nachwuchses. Abgeordnete mit Kindern haben es schwer, denn die Gesellschaft verlangt viel von ihren Volksvertretern: Pendeln zwischen Wahlkreis und Berlin, Sitzungsmarathons, Einarbeiten in komplexe Gesetzentwürfe, so trocken und dick wie Telefonbücher. Politiker sollen immer verfügbar sein – und wissen, worüber sie abstimmen. Ihr Arbeitsplatz, das Parlament, wirkt oft überfordernd für Mütter.

In der Hausordnung nicht vorgesehen

Vor vier Jahren verließ Christine Buchholz eine Bundestagssitzung. Die Politikerin der Linkspartei hatte ihr einjähriges Baby mit in eine Plenarsitzung genommen. Das ging dem Präsidium zu weit. Buchholz musst mit ihrem Kind aus dem Saal gehen. „Es ist fast unmöglich, Kinder in den parlamentarischen Betrieb zu integrieren. In diesem Sinne ist der Bundestag kein Ort für Kinder“, sagt Buchholz heute. Kinder sind in der Hausordnung nicht vorgesehen.

Was im Bundestag zum Rausschmiss führen kann, ist in anderen Parlamenten nichts Ungewöhnliches: Im Europaparlament können Abgeordnete ihre Kleinkinder mit in die Plenarsitzungen nehmen. Außerdem können die Abgeordneten ihre Kinder in eine Parlamentskita geben.

„In Brüssel weht ein anderer Wind. In Belgien haben sie einfach 30 Jahre Vorsprung, was Kinderfreundlichkeit angeht“, sagt Franziska Brantner von den Grünen. Sie saß vier Jahre lang im Europaparlament und hat in dieser Zeit ein Kind bekommen. Seit Oktober ist sie Abgeordnete im Bundestag. Ohne die Omas im fernen Wahlkreis Heidelberg würde es schwer, das Mandat richtig wahrzunehmen.

Drei bis vier Kitaplätze

Mütter, die ihre Kinder zu den langen Berlin-Wochen mit Plenarsitzungen und Abstimmungen mitnehmen wollen, stehen hier vor einem weiteren Problem: Wie jeder größere Betrieb hat zwar auch der Bundestag eine Kita. Auf die wenigen Plätze haben aber die Kinder von den Mitarbeitern im Parlament das Vorrecht. Für die Kinder der 631 Abgeordneten bleiben pro Jahr nur drei bis vier Plätze.

„Politik ist ein anstrengender Beruf und Kinder haben ist in jedem Beruf anstrengend. Das wird sich nie ganz auflösen lassen“, sagt Franziska Brantner von den Grünen. Anstatt nächtlicher Tischrunden könne man auch ab und zu auf Videokonferenzen zurückgreifen, meint sie. „Und es muss Grenzen geben: Der Sonntag zum Beispiel gehört der Familie.“

Für Susann Rüthrich ist die Organisation mit dem neuen Paravent und dem Kinderbettchen im Büro nicht getan: Neben ihrem Baby wird sie auch immer ihre Mutter mit in die Hauptstadt nehmen, um auf das Kind aufzupassen. „Ich kann mir vorstellen, dass die Aussicht auf schwere Vereinbarkeit von Familie und Beruf viele junge Frauen von der Politik abschreckt“, sagt Rüthrich.

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7 Kommentare

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  • es ist richtig das Kinder nichts im Plenarsaal zu suchen haben, ein Stahlkocher nimmt sein Kind auch nicht mit auf Schicht an den Hochhofen...,

    oder fragen sie mal in der Wirtschaft ob dort Kinder an Arbeitsplätzen willkommen sind...,

    • G
      gast
      @tomas:

      Außerdem dürften die aber gar kein Problem mit Kitas haben, denn der Bundestag hat seine eigenen Kitas, damit die Kinder der Regierenden nicht in Kontakt kommen mit den Kindern des gemeinen Volkes.

       

      Diese Kitas werden komplett vom Staat bezahlt.

  • UD
    und die väter?

    Bei 401 Männern und 230 Frauen unter den 631 Abgeordneten im Bundestag - dürften wohl mehr Väter als Mütter dieses Problem haben?! Wieviele allerdings überhaupt kleine Kinder haben entzieht sich meiner Kenntnis - und das weiß die taz wohl auch nicht? Wäre bei dem Thema aber interessant! Bei der Altersstruktur der Abgeordneten vermute ich mal maximal 3-4 neue Kinder pro Jahr :)

  • D
    desillusionist

    "(...) denn die Gesellschaft verlangt viel von ihren Volksvertretern: Pendeln zwischen Wahlkreis und Berlin, Sitzungsmarathons, Einarbeiten in komplexe Gesetzentwürfe, so trocken und dick wie Telefonbücher.(...)"

     

    Mit der Formulierung "die Gesellschaft verlangt viel" soll vermutlich - recht durchsichtig - insinuiert werden, daß das die Wähler verlangen. Das ist aber vollkommen falsch. Die Wähler sind durchaus vernunftfähige Wesen und wünschen sich daher mitnichten "telefonbuchdicke Gesetzentwürfe" oder "Sitzungsmarathons". Ganz im Gegenteil: Deutschland braucht endlich straffe, kurze aber von Sachkundigen präzise formulierte Gesetze und eine effektive Parlaments- und Ausschussarbeitarbeit, die Marathonsitzungen überflüssig macht und die Gesetzbücher auf einen akzeptablen Umfang schrumpfen läßt.

     

    Was hier beschrieben wird, sind die allbekannten Auswüchse eines dröhnend leerlaufenden, ineffizienten und von Profilierungsinteressen getriebenen Politikbetriebes, der in großen Teilen mit sich selbst beschäftigt ist. Wer meint mit seinen Schilderungen Mitleid für die Verantwortlichen hervorrufen zu können, ist völlig schief gewickelt. Es ist Sache der Parlamentarier, das zu ändern.

  • O
    olli

    Mir kommen die Tränen, diese Topverdiener haben wohl genug Möglichkeiten eine ordentliche Kinderbetreuung zu organisieren. Wenn man Fernsehberichte aus dem Parlament sieht, ist dieses meistens halb leer (außer die Kanzlerin spricht). Und Zeit genug, um Nebeneinkünfte in Millionenhöhe zu generieren, ist auch vorhanden.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    "Der Bundestag ist kein Ort für Kinder" - Echt? Das ist dort kein Kindergarten?

    • J
      Jay
      @774 (Profil gelöscht):

      Doch, allerdings nehmen die ganzen Riesenbabys den ganzen Platz weg.