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Fahren ohne FahrscheinSie kommen aus dem Gefängnis frei

Die Initiative Freiheitsfonds hat rund 50 Schwarz­fah­re­r freigekauft. Sie konnten Strafen für das Schwarzfahren nicht zahlen und waren inhaftiert worden.

Etwa 9.000 Menschen müssen jedes Jahr ins Gefängnis, weil sie ohne Ticket Bus oder Bahn gefahren sind Foto: Soeren Stache/dpa

Berlin epd | Die Initiative Freiheitsfonds zur Entkriminalisierung von Schwarzfahren in Bus und Bahn hat weitere Gefangene aus Gefängnissen freigekauft. Wie die Initiative am Dienstag in Berlin mitteilte, konnten an diesem Tag rund 50 Personen frühzeitig Justizvollzuganstalten in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Bremen, Hamburg und Bayern verlassen.

Sie waren wegen Zahlungsunfähigkeit inhaftiert worden. Damit konnte die Initiative nach eigenen Angaben 3.314 Hafttage „auflösen“ und somit 662.800 Euro an Haftkosten für den Staat sparen. Der Sprecher des Freiheitsfonds, Leonard Ihßen, forderte die künftige Bundesregierung auf, den entsprechenden Strafrechtsparagrafen, der das Schwarzfahren unter Strafe stellt, zu reformieren.

„Die Entkriminalisierung muss jetzt mit in den Koalitionsvertrag“, mahnte er mit Blick auf Paragraf 265a StGB, „Erschleichen von Leistungen“. Der Initiative zufolge sitzen jährlich schätzungsweise rund 9.000 Menschen in Deutschland in Gefängnissen Ersatzfreiheitsstrafen wegen fehlender Tickets in Bus und Bahn ab. Studien zufolge koste die Strafverfolgung für Fahren ohne Ticket den Staat jährlich rund 120 Millionen Euro, schreibt die Initiative.

Der Freiheitsfonds hat nach eigenen Angaben bislang durch Zahlen der Geldstrafen 1.288 Menschen „aus dem Knast befreit“. Der Gründer der Initiative, Arne Semsrott, betonte: „Es kann so nicht weitergehen.“ Die neue Regierung sei in der Verantwortung. Laut Freiheitsfonds sind die Betroffenen überwiegend arbeitslos oder ohne festen Wohnsitz.

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9 Kommentare

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  • Die Inhaftierung von Personen aufgrund von Schwarzfahren (Fahren ohne gültigen Fahrschein) führt zu zusätzlichen Belastungen im Justizvollzugssystem. Laut verfügbaren Daten waren am 30. September 2019 in Deutschland insgesamt 63.851 Personen in Justizvollzugsanstalten inhaftiert. Davon verbüßten 4.616 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe, die häufig für Delikte wie wiederholtes Schwarzfahren verhängt wird. 

    Die Betreuung und Sicherung dieser Inhaftierten erfordert Personal in den Justizvollzugsanstalten, darunter Justizvollzugsbeamte, medizinisches Personal, Sozialarbeiter und Verwaltungskräfte. Die genaue Anzahl der Arbeitsplätze, die direkt durch die Inhaftierung von Schwarzfahrern entstehen, ist nicht exakt dokumentiert. Allerdings verursachen die Inhaftierungen erhebliche Kosten. Beispielsweise betrugen die jährlichen Kosten pro regulärem Häftling im Jahr 2003 etwa 35.770 Euro. 

    Diese finanziellen Mittel fließen in Personalgehälter, Unterbringung, Verpflegung und weitere notwendige Dienstleistungen innerhalb des Strafvollzugs. Daher trägt die Inhaftierung von Personen, die wegen Schwarzfahrens verurteilt wurden, indirekt zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen bei.

  • taz: *Die Initiative Freiheitsfonds hat rund 50 Schwarz­fah­re­r freigekauft. Sie konnten Strafen für das Schwarzfahren nicht zahlen und waren inhaftiert worden.*

    Klasse, dann können ja jetzt 50 Steuerhinterzieher ins Gefängnis gesteckt werden. Aber wovon träume ich jetzt eigentlich schon wieder? Wirtschaftskriminelle und Steuerhinterzieher (Nein, nicht die kleinen Willis die mal 30 Euro hinterziehen, sondern die ganz Großen) kommen doch so gut wie nie ins Gefängnis.

    Aus einer Untersuchung der University of London im Auftrag der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament ging hervor, dass jedes Jahr (!!!) 125 Milliarden Euro Steuergelder in Deutschland hinterzogen werden. Aber gegen Steuerhinterzieher etwas zu unternehmen, und sie in den Knast zustecken, ist wohl zu schwierig für unsere Politiker, da hält man sich lieber an die armen Leute die nicht einmal genug Geld für einen Fahrschein haben. Ja, vor dem Gesetz sind alle in diesem Land gleich *LOL*.

    • @Ricky-13:

      Bisschen polemisch. Es werden Menschen wegen Steuerhinterziehung in Deutschland verurteilt. Mehr als "so gut wie nie". Die hier genannten Schwarzfahrer sind Widerholungstäter. Bei Steuerhinterziehung reicht einmal. Hoeneß und Schuhbeck sind zwei promintente Beispiele. Der Unterschied zu Schwarzfahrern ist, dass Steuerhinterzieher ins Gefängnis kommen UND zusätzlich eine sehr hohe Strafe zu zahlen haben.

      • @Ahnungsloser:

        Nein, die Steuerhinterziehungen waren keine Einzeltaten sondern wurde jeweils über längere Zeiträume betrieben.

        Der wichtigere Unterschied ist, dass man tatsächlich unwissentlich Steuern hinterziehen kann. Das System ist nämlich so kompilziert dass sich selbst die besten Steuerspezialisten nicht einig sind.

        Aber da fällt mir ein: Mittlerweile kann man ja auch unwissentich schwarzfahren. Denn das Ticket kann ja ganz nach belieben als ungültig angesehen werden... fällt mir gerade ein ...

      • @Ahnungsloser:

        Gar nicht polemisch! Der Unterschied zwischen Schwarzfahrern und Steuerhinterziehern ist die Stellung in der Gesellschaft. Während die einen täglich kämpfen müssen um einigermaßen über die Runden zu kommen, können die anderen locker auch hohen Strafen verkraften und in Saus und Braus ihren Schampus genießen. Letzteren fühlen sich die meisten unserer Politiker*innen eher verbunden als den Benachteiligten, denn die wählen entweder gar nicht oder "falsch".

      • @Ahnungsloser:

        Vielen Dank, dass Sie das hier klargestellt haben. Schwarzfahrer sind natürlich "böse Wiederholungstäter" und deshalb ist es nur richtig, dass man diese Leute mit der gesamten Härte des Gesetzes zur Vernunft bringt. Woher kam eigentlich noch einmal der Schwarzfahrer-Paragraph? Ach ja, die Nazis haben den sich mal ausgedacht. Schon interessant, dass bei uns immer noch Menschen mit einem 'Naziparagraphen' ins Gefängnis gesteckt werden, und das wegen dem "schlimmen Verbrechen" des 'Schwarzfahrens'.

        Schwarzfahren hat übrigens etwas mit bitterer Armut zu tun, aber das Wort 'Armut' kennen unsere überbezahlten Volksvertreter anscheinend nicht. Das Justizministerium hat lediglich den Zeitraum für Schwarzfahren halbiert (*also den Zeitraum der Strafe*). Was sagt das eigentlich über das deutsche Justizministerium im 21. Jahrhundert aus, wenn ein 'Naziparagraph' nur etwas humaner gemacht wurde, anstatt den § 265a StGB endlich mal in den Müll zu werfen und sich um die wirklichen Verbrecher in diesem Land zu kümmern; die z.B. jährlich 125 Milliarden Euro Steuergelder hinterziehen? Aber ich vergaß doch schon wieder, dass Schwarzfahrer ja "böse Wiederholungstäter" sind, die in den Knast gehören.

  • Das ist doch grundfalsch. Schwarzfahrer sind hochkriminell. Hingegen sind Cum-Ex Betrüger oder Millionen-Steuerhinterzieher doch nur ein wenig unaufmerksam gewesen, mit denen man Mitleid und Nachsicht üben muss...

  • Ich würde hier ja gerne mal lesen, auf wessen Mist dieser Paragraph gewachsen ist und wer eine Abschaffung ausbremst - und damit die Umstände unter denen dieser Paragraph entstanden ist zumindest teilweise legitimiert.

    Und vermutlich wäre das ein erster Schritt zur Abschaffung weil niemand diesen Fleck auf der Weste haben will.

  • Keiner muss in die JVA weil er einmalig schwarz gefahren ist - das muss mehrfach passieren (meist notorische Schwarzfahrer die quasi nie ein Ticket haben) oder es kommen andere Delikte dazu.



    Etwas mehr Ehrlichkeit wäre hier schon angebracht.