Faeser, Palmer und der 1. Mai: Schizophrene Migrationsgegner

Wer Lob von Horst Seehofer bekommt, hat als Bundesinnenministerin den Ritterschlag bekommen. Und die Berliner Polizei kann Volksfest feiern.

Nancy Faeser

Nancy Faeser noch ohne Horst-Seehofer-Gedächtnisorden Foto: imago

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Vertrauen in die Demokratie schwindet.

Und was wird diese Woche besser?

42,6% Marktanteil für die Krönung in der ARD.

Laut ARD-DeutschlandTrend unterstützen vier von fünf Deutschen den Vorschlag, Asylverfahren künftig an den EU-Außengrenzen durchzuführen. War's das nun endgültig mit „Wir schaffen das“?

Harter Schlag für Nancy Faeser: Lob von Horst Seehofer. Seit drei Jahren schimmelt der EU-Migrationspakt auf dem Tisch des Innenministeriums. Er enthält allerlei Zugeständnisse an Migrationsgegner, um den Kern – eine europäische Verteilung – durchzubringen. Pech: Bisher wurden nur einige abschottende Elemente durchgesetzt. Faeser will sich nun auch für die Asylverfahren an den Außengrenzen stark machen. Kalkül vieler EU-Grenzländer: Die Verteilungsfrage so lange aussitzen, bis niemand zum Verteilen mehr reinkommt. Dass 79 % der Deutschen das ebenso sehen, mag Faeser anfeuern. Diese ablehnenden Deutschen haben gerade über einer Million Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine geholfen. Immerhin sind wir so schizophren wie unsere Innenpolitik.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist bei den Grünen ausgetreten und hat eine Auszeit angekündigt, um sich professionelle Hilfe zu holen. Wer kann sich daran ein Beispiel nehmen?

Palmers jüngster Schub mit seriellem N-Wort und Selbstverleihung eines Judensterns war schon fröstelnd ähnlich den legendären Auftritten seines Vaters, dem Neandertaler der Wutbürger. Kurz bevor man höflich verschweigt, dass man sein Ich und sein Über-Ich gern mal wieder in getrennten Ringecken sähe, meldet er selbst Therapiebedarf an. Das kann man nur respektieren. Politik, Macht, mediale Präsenz: Betäubungsmittel für Leute, die sich gern aus dem Weg gehen. Davon ist die Welt voll.

Die Berliner Polizei gibt sich erstaunt über den angeblich „friedlichsten 1. Mai seit 1987“. Staunen Sie auch?

Der dämonische Fressfeind des Radikalismus: Vervolksfestung. Und erstaunlich, dass diese Strategie aufging. Die Berlinenden wurden zugeschmissen mit DGB, Walpurgis, Weinfest, Rave und Tanz in den Mai. Noch heuert „Visit Berlin“ keine Komparsen, um in Kreuzberg für Touristen ein bisschen Alarm zu machen.

Mehr Menschen als erwartet haben das Deutschlandticket zu seinem Start Anfang Mai erworben, rund ein Viertel von ihnen hatte vorher kein Nahverkehrs-Abo. Worauf kann sich dieser neue Kundenstamm einstellen?

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Minister Wissing tanzt in den Mai mit dem Slogan „Ab heute gilt: Schluss mit kompliziert und anstrengend.“ Stattdessen wird es kompliziert und anstrengend: Mal gilt das Ticket doch nicht auf jedem Nahverkehrszug, mal gucken Studierende in die Röhre. Der ÖPNV hat mehr Ausnahmen als Einnahmen. 750.000 Neukunden bisher werden die Endstation Sehnsucht besuchen: Je Land, desto kein Anschluss. Und gerade das kann man als Gewinn sehen: Der öffentliche Druck auf Verbesserungen sollte mit jedem neuen Fahrgast steigen. Noch prahlt Wissing mit dem Glück, zu dem er gezwungen wurde. Doch die Liberalen wollen schon bald Unfallflucht straffrei stellen.

Hollywoods Dreh­buch­au­to­r*in­nen streiken für bessere Bezahlung, millionenschwere Showmaster wie Jimmy Fallon oder Jay Leno solidarisieren sich mit ihnen, indem sie beispielsweise gratis Donuts verteilen. Heuchelei oder Branchenzusammenhalt?

Einsicht. In den USA bewerben sich Regisseure bei Drehbuchautoren, in Deutschland gelten Schreiber bis auf wenige als austauschbares Studio-Proletariat. Die Hierarchie der Branche ist andersherum. Die „Writers Guild“ organisiert viele tausend Asse und Assinnen der Branche. Studios, die unorganisierte Schreibknechte einwechseln, nehmen sich aus dem Spiel. Kurz: Wenn die AutorInnen die Witzpipeline sprengen, hilft nur noch Lachgas.

Am Samstag stand die Krönung von Charles III. an. Was war Ihr persönliches Highlight?

Deutschlandfunk Kultur sendete spät Händels „Coronation Anthems“ von 1727. Gewöhnungsbedürftig, aber ich hatte tagsüber zu tun und nix mitbekommen, und in der Dosis war's ok.

Und was machen die Borussen?

Die DFL plant gerade den ganzen Laden über Jahre an einen Investor zu versklaven. Naja, aber ausgerechnet diesmal ist die Meisterschaft so spannend.

Fragen: Luise Mosig, waam

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.