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Fachkräftequote in Hamburgs PflegeheimenKümmert euch um die Pflege!

Kommentar von Franziska Betz

Die Hälfte aller Arbeitskräfte in Pflegeheimen müssen Fachkräfte sein. Hamburg will die Regel nun „flexibilisieren“. Verständlich ist das, gut nicht.

Fachkraft oder nicht? Mitarbeiterin in einem Pflegeheim in Filderstadt Foto: Marijan Murat/dpa

E s klingt nach einem verzweifelten Schritt: Hamburg will die Fachkraftquote in Pflegeheimen senken. Der Grund: natürlich wie immer der Fachkräftemangel. Damit titelten das Hamburger Abendblatt und der NDR am Montag.

Auf Anfrage der taz schwächt die Sozialbehörde die Nachricht ein wenig ab. Eine generelle Absenkung der Fachkraftquote sei nicht geplant. Aber die Behörde will die „Anforderungen an die Personalausstattung“ in der vollstationären Pflege „flexibilisieren“.

Was heißt das konkret? Im Moment muss je­de zweite Arbeitskraft in Hamburger Pflegeheimen eine Fachkraft sein. Alle weiteren Arbeitskräfte dürfen Hilfskräfte beziehungsweise Pfle­ge­as­sis­ten­t*in­nen sein. Diese Regelung führt aktuell in Hamburg dazu, dass gut 1.300 Pflegeplätze gesperrt sind, weil der Fachkräfteschlüssel für diese Plätze sonst nicht eingehalten werden könnte.

Die Behörde will diesen Schlüssel nun „nicht generell“ absenken, aber sie will es möglich machen, dass dieser Schlüssel nicht mehr ganz so streng gehandhabt wird. So soll es den Heimen beispielsweise möglich gemacht werden, zu bestimmten Zeiten, etwa in der Nacht, mit weniger Fachkräften und dafür mehr Pfle­ge­as­sis­ten­t*in­nen zu arbeiten.

Schlechte Arbeitsbedingungen

Wie die neue Regelung genau formuliert sein soll, ist noch nicht klar. In Kraft treten soll sie aber laut Sozialbehörde spätestens Ende Juni. Die Betreuungsqualität solle darunter nicht leiden, betont die Behörde.

Sozialverbände haben diese Maßnahme schon länger gefordert. Und für Menschen, die gerade dringend auf einen Pflegeplatz für sich oder ihre Angehörigen warten, ist das sicherlich auch eine gute Nachricht. Und natürlich kann man dem Land nicht vorwerfen, dass es versucht, dringend benötigte Pflegeplätze zu schaffen.

Aber ob dieser Schritt, der ein Symptom der eklatanten Pflegekrise ist, in dieser Situation der richtige ist, lässt sich trotzdem bezweifeln. 2021 hat eine Studie aus Bremen ergeben, dass Pflegekräfte vor allem deshalb in Teilzeit gehen, weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind. Denn die Fachkräfte sind oft überlastet. Dienstpläne und Schichtsysteme sind nicht arbeitnehmer*innenfreundlich. Oft müssen Pflegekräfte kurzfristig einspringen. Die Krankenstände sind hoch.

Dass die Arbeitsbedingungen und die Belastung in der Pflege besser werden, wenn sich weniger Fachkräfte die gleiche Verantwortung teilen, ist unrealistisch. Hilfs- und Assistenzkräfte in der Pflege haben aufgrund ihrer Ausbildung weniger Kompetenzen als Fachkräfte. Das heißt aber auch, dass im Zweifel für bestimmte Tätigkeiten doch eine Fachkraft hinzugezogen werden muss.

Zudem schafft die Regelung mehr schlecht bezahlte Jobs, weil die Assistenzkräfte weniger verdienen. Den Teufelskreis von schlechten Arbeitsbedingungen und Fachkräftemangel wird die geplante „Flexibilisierung“ ganz sicher nicht aufhalten.

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Volontär*in taz nord
Seit September 2022 Volontär*in bei der taz nord in Hamburg. Hat Politikwissenschaften und Transkulturelle Studien an der Uni Bremen studiert.
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4 Kommentare

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  • Was haben sie geklatscht...



    Ich bin seit über 20 Jahren in der Pflege und es wird gefühlt jährlich schlimmer.



    Wenn demnächst noch die Kollegen der Boomregeneration in Rente gehen, fährt das System gegen die Wand.



    Das ist natürlich alles völlig überraschend.



    Jetzt liest man, daß ein K. von Thielemann seine Ersparnisse für das Pflegeheim verbraten muss und alle tun schockiert.



    Gute Pflege kostet eben Geld. Und die von Lindenberg (siehe unten)beschriebene sehr gute Pflege würde hierzulande quasi unbezahlbar sein.



    Ich halte mich da ganz an das Kredo der FDP.



    Der Markt diktiert die Preise.

    Es kommen also goldene Zeiten auf alle Pflegekräfte zu!

  • Ist es nicht erstaunlich, wie wenig wert unserer Gesellschaft die Pflegenden immer noch sind?



    Und was man alten Menschen zumutet, von eigentlich motivierten Kolleg*nnen versorgt zu werden, die ständig ihre Kompetenzen überschreiten müssen?



    Seitdem die Kliniken nicht mehr voller Coronapatient*nnen sind, sind die Pflegenden von der Agenda der Politik gerutscht.



    Aber alle wollen weiterhin bestens versorgt werden.

    Ich arbeite seit 32 Jahren in der Fachkrankenpflege und wäre ohne Teilzeit wahrscheinlich wahnsinnig geworden. Das ist eine absolute Katastrophe, was im Rahmen des Pflegenotstands auf die Betroffenen und auf die Gesellschaft zukommt.

  • Ist es möglich, das Hamburg die Grundlage für das PeBeM schaffen will, das eine Fachkraftquote von 40% vorsieht, bei der die Anzahl der Fachkräfte allerdings nicht gesenkt wird? Bei einer starren Quote von 50% gilt: Wenn eine Fachkraftstelle nicht besetzt werden kann, dann wird auch eine Helferstelle nicht besetzt. Das dies der Qualität dienlich sei, oder die Arbeitsbedingungen verbessern würde, halte ich für ein Gerücht. Das mit dem PeBeM die zu besetzenden Stellen unabhängig voneinander werden sollen, ist ein Fortschritt, der allerdings bislang in kaum einem Bundesland umgesetzt ist, nicht zuletzt weil die Fachkraftquote als heilige Kuh gilt und offensichtlich auch direkt Gegenwind kommt, wenn sie angetastet wird. Aber die Studie zum PeBeM hat gezeigt, das Fachkräfte sehr viel Zeit mit Tätigkeiten verbringen, die eben nicht ihre Qualifikation benötigen. Es haben heute in Deutschland Pflegefachkräfte Betten bezogen, Getränke nachgeschüttet und Brote geschmiert. Sie haben Inkontinenzartikel gewechselt und Rücken gewaschen, die eine Hilfskraft nicht schlechter gewaschen hätte. Gleichzeitig haben sie Beratungsgespräche nicht geführt, Pflegeplanungen nicht evaluiert, Hilfskräfte nicht angeleitet, Faxe an die Ärzteschaft nicht geschrieben, die eigentlich geführt, evaluiert, angeleitet und geschrieben hätten werden müssen.



    Die Fachkraftquote ist nicht das entscheidende - Wenn eine Fachkraft mit 2 Hilfskräften für 19 Bewohner zuständig ist, dann ist das besser als wenn eine Fachkraft mit einer Hilfskraft für diese 19 Bewohner zuständig ist. Ich bin diese Fachkraft und krakheitsbedingt fehlt mir in der Frühschicht aktuell ein Kopf (Die Quote von 50% wird über den Tag erreicht (1 PFK, 2HK morgens, 1/1 Nachmittags und 1 Fachkraft in der Nacht).

  • Es wird einem Angst und Bange, wie Hamburg die Pflege vor die Hunde kommen lässt. Bezahlt die Pflegekräfte wie in Norwegen oder Schweden und schaffte ebenso gute Arbeitsbedingungen. Hier der positive Bericht einer deutschen Pflegerin, die nach Norwegen auswanderte. Während in Deutschland Dehydration die Regel sei, habe sie das in ihrem Berufsalltag in Norwegen noch nie erlebt. 7, 12 Nächte am Stück nachts zu arbeiten sei in Norwegen unbekannt.

    Zitat

    "Wurde dort (Deutschand) in der Frühschicht bei 20 Patienten mit 2 Pflegekräften und einem Lehrling gearbeitet, sind wir hier bei 15 Patienten des morgens nicht selten mit sechs Leuten – Lehrlinge laufen nebenher und gelten im Personalschlüssel nicht als Pflegekraft. Es können also durchaus auch mal 8 Leute sein".

    Vergleicht man diese Zahlen, so ist der Pflegeschlüssel in Norwegen um die Hälfte besser als in Deutschland, bei weniger zu betreuenden Patienten. Deutschland ein guter Sozialstaat, das war einmal!

    wendland-net.de/po...tenpflege-norwegen

    In Skandinavien verfügen Pflegekräfte zudem über eine umfassende akademische Ausbildung. Das Gesundheitssystem in Skandinavien wird zudem durch eine hervorragende Kinderbetreuung unterstützt, die eine Vereinbarung von Familie und Beruf vereinfacht.

    www.medirocket.de/...schweden--norwegen