Fachkräfte-Mangel in Schleswig-Holstein: Welche Ideen haben die Parteien?

In Schleswig-Holstein fehlt es besonders im Sozial- und Gesundheitsbereich an Fachpersonal. Die Lösungen in den Wahlprogrammen sind begrenzt.

Marco Lemke, Leiter der Kita im Heinrichs-Familienhaus, hält ein Kind in den Armen.

Kennt das Problem des Personalmangels: Marco Lemke, Leiter der Kita im Kieler Heinrichs-Familienhaus Foto: dpa / Axel Heimken

NEUMÜNSTER taz | Ein Spielzeug festhalten ist schwer, sprechen lernen dauert lange: Für Kinder, die sich nicht wie erhofft entwickeln, gibt es die Frühförderung. Aktuell aber nicht in Kiel. „Wir schieben Wartelisten von Kindern vor uns her, die dringend Therapie brauchen“, sagt Jörg Adler, Vorstand des „Kieler Fensters“, das solche und andere Hilfen anbietet. Es fehlen Heilpädagog*innen: „Die gibt es nicht auf dem Markt“, sagt Adler.

Das ist kein Einzelfall: In Schleswig-Holstein werden die Fachkräfte knapp. Besonders sichtbar ist das im Sozial- und Gesundheitsbereich, einer zentralen Branche in dem Bundesland. Welche Antworten haben die Parteien darauf vor der Landtagswahl?

Pflege ist oft das erste Stichwort, das Politik und Öffentlichkeit zu Fachkräftemangel einfällt. Entsprechend konzentriert sich die aktuelle Regierung darauf, gering Qualifizierte aus den „unterrepräsentierten Gruppen“ wie Frauen, Ältere und Menschen mit Behinderungen „besser zu erreichen“, so steht es in einem Programm mit dem putzigen Namen „FI.SH“ – das steht für „Fachkräfte-Initiative Schleswig-Holstein“. Es läuft seit 2012, zuständig ist das zurzeit von der FDP geführte Wirtschaftsministerium.

Ein Ziel, das sich die Jamaika-Regierung für diese Legislaturperiode vorgenommen hatte, war die Gründung eines Instituts für Berufliche Bildung. Das „SHIBB“ existiert inzwischen, aber Opposition und Verbände halten es bisher für wenig effektiv. Zudem helfe die Suche nach angelernten Kräften aus dem Ausland nicht für alle Bereiche der Gesundheitsbranche, sagt Wolfgang Faulbaum-Decke, Geschäftsführer der Brücke Schleswig-Holstein, die vor allem Angebote für psychisch Kranke macht: „In der Psychiatrie ist das wichtigste Instrument die Sprache.“

Jörg Adler, Vorstand des „Kieler Fensters“

„Wir schieben Wartelisten von Kindern vor uns her, die dringend Therapie brauchen“

Weil Kommunen und Krankenkassen genaue Vorgaben über die Qualifikation des Personals machen, werben sich Arbeitgeber gegenseitig die wenigen Fachleute auf dem Markt ab, um Einrichtungen nicht schließen zu müssen. Das hätte Auswirkungen nicht nur auf die dort Betreuten, sondern auch für die Wirtschaft des Landes. Denn Schleswig-Holstein lebt zu einem beträchtlichen Teil von der Gesundheitsbranche.

Rund 180.000 Menschen, mehr als 20 Prozent aller Beschäftigten im Land, sind sozialversicherungspflichtig in der Gesundheitsbranche beschäftigt – „bundesweit die Spitzenposition“, so der Dachverband „Netzwerk deutscher Gesundheitsregionen“ (siehe Kasten). Und der Bedarf an Fachkräften steigt, in Kitas wie im Krankenhaus, im Pflegebereich oder in den Pharma- und Medizintechnik-Firmen. Auf dem Land droht Versorgungsmangel, weil viele der heute niedergelassenen Ärz­t*in­nen in den nächsten Jahren in Rente gehen.

Nur gemeinsam mit Krankenkassen, Kommunen und dem Land ließe sich dem Mangel entgegenwirken, bevor am Ende wirklich noch Angebote schließen müssten, sagt Faulbaum-Decke: „Stattdessen erleben wir Druck und Reglementierungen.“

In ihren Wahlprogrammen finden die Parteien nur begrenzt Lösungen. Die regierende CDU will den Weg des jetzigen FI.SH-Programms fortsetzen und „Potenzial stärker nutzbar machen“, indem mehr Frauen in Vollzeit arbeiten und Langzeitarbeitsarbeitslose und Geflüchtete besseren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Für die „gezielte Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland“ solle das Land ein „Welcome-Center“ schaffen – allerdings löst das nicht das Sprachenproblem und den Mangel an Spezialist*innen.

Von den 180.000 Menschen im schleswig-holsteinischen Gesundheitswesen arbeiten 35.000 in Krankenhäusern, davon 12.000 im Universitätsklinikum, das damit größte Einzelarbeitgeberin im Land ist.

Der Bereich Life Sciences mit Medizintechnik, Pharma und Bio-Tech umfasst weitere rund 53.000 Beschäftigte, die fünf Milliarden Euro erwirtschaften.

Im Gesundheitsbereich fehlen bundesweit Fachkräfte: Die Bundesanstalt für Arbeit meldet auch für Schleswig-Holstein einen „Engpass“ in diesem Bereich. Laut Angaben der Landesregierung fehlen im Jahr 2035 in allen Branchen in Schleswig-Holstein rund 180.000 Menschen.

Die SPD setzt als selbsterklärte „Partei der guten Arbeit“ auf auskömmliche Bezahlung. Neben dem Mindestlohn ist das Ziel eine Neuauflage des Tarif­treue- und Vergabegesetzes, damit nur die Firmen öffentliche Aufträge und Förderung bekämen, die „Beschäftigte ordentlich behandeln“. Um die Haus­ärz­t*in­nen zu entlasten und Älteren zu helfen, möglichst lange zuhause zu leben, will die SPD in den Gemeinden „Vor-Ort-für-dich-Kräfte“ einsetzen, die beraten und Hilfen koordinieren. Fraglich ist, ob es genügend Fachleute dafür auf dem Markt gibt.

Die Grünen, die dritte Partei, die sich um den Einzug in die Staatskanzlei bewirbt, will zunächst „dem Dozierendenmangel entgegenwirken“. Soziale Berufe sollen durch Akademisierung und Aufstiegschancen attraktiver werden, dazu sollen neue Studiengänge für Pflegeberufe entstehen. Flexible Arbeit, moderne Arbeitszeitmodelle in der Pflege wünschen sich die Grünen – schwierig, wenn Nachtdienste und Wochenendschichten besetzt werden sollen. Lösungen soll eine neue „Stabsstelle Pflege“ in der Regierung finden.

Julia Bousboa, Sprecherin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, weiß, dass der Mangel schwer zu beheben ist. „Die Wohlfahrtsverbände fordern seit Jahren eine echte Fachkräfteoffensive, die sich auf zwei Ziele konzentriert: Wie halten wir unsere heutigen Kräfte im Beruf, wie gewinnen wir neue?“ Eine Reihe von Ideen hätte die Branche. So schlägt Jörg Adler duale Ausbildungsformen vor: „So lernen die Studierenden gleich die Arbeit kennen.“

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