Facebook unter Druck: Herr Zuckerbergs schreckliche Woche
Eine Whistleblowerin hat zweifelhafte Praktiken des Konzerns offengelegt. Jetzt sagt sie vor dem US-Kongress aus.
Es ist Mittwoch und die Woche könnte für Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kaum schlechter laufen. Nach dem weltweiten Ausfall von Facebook, Whatsapp und Instagram am vergangenen Montagabend sagte am Dienstag die Whistleblowerin Frances Haugen vor dem US-Kongress aus. Schon am Sonntagabend hatte der US-Fernsehsender CBS ein Interview mit der Whistleblowerin ausgestrahlt, in dem sie auf haufenweise Missstände bei Facebook hinwies.
Die Produktmanagerin hatte knapp zwei Jahre für den Konzern gearbeitet und war als Teamleiterin der Einheit „Civic Integrity“ auch für die Eindämmung von Falschinformationen, Gewaltaufrufen und Hassrede zuständig. Aller Mühe zum Trotz änderte sich kaum etwas.
Bei der Erstürmung des Kapitols in Washington am 6. Januar habe Facebooks Algorithmus eine wichtige Rolle gespielt, so Haugen. Sie wirft dem Unternehmen vor, die Probleme genau zu kennen und im ständigen Interessenkonflikt zwischen öffentlicher Sicherheit und den eigenen Profiten immer den Profit zu wählen. Zahlreiche firmeninterne Dokumente, Präsentationen, Studien und Chats unterstützen ihre Aussagen. Frances Haugen hatte diese Unterlagen zuerst dem US-Kongress und der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC zur Verfügung gestellt, sowie dem Wall Street Journal, das unter dem Schlagwort „Facebook Files“ darüber berichtete.
Demnach wurde die Führungsriege mehrfach von Mitarbeiter:innen auf schwere Versäumnisse hingewiesen, wie etwa den Umgang mit illegalen Inhalten in Entwicklungsländern. Facebook wisse demnach, dass Drogenkartelle über ihre Plattform neue Auftragskiller suche oder Menschenhändler ihre „Ware“ anbieten. Im Interview mit NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung wird Haugen noch deutlicher: „In Myanmar oder Äthiopien stellt Facebook den eigenen Profit über die Sicherheit von Menschen und Menschen verlieren aufgrund dieser Entscheidung ihr Leben.“
Erste Konsequenzen
Eine interne Studie aus dem Januar 2020 zeigt, dass in Afghanistan die eigenen Regeln von Facebook einzig in Dari übersetzt worden sind, obwohl etwa 49 weitere Sprachen im Land gesprochen werden. Auch das Melden von Hassrede ist für viele nicht in der eigenen Sprache möglich.
Den Veröffentlichungen scheinen schon erste Konsequenzen zu folgen. Das Unternehmen hatte eine Instagram-Version für Zehn- bis Zwölfjährige geplant, doch nun veröffentlichte interne Untersuchungen zum Einfluss von Instagram auf junge Nutzer:innen haben Facebook wohl veranlasst, diese Pläne auf Eis zu legen. In dem Bericht gehen Facebook-Forscher:innen davon aus, dass Instagram bei zahlreichen Jugendlichen – vor allem bei Mädchen – die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper verstärkt, was wiederum Auswirkungen auf die psychische Gesundheit habe.
Vergangene Woche wurde dazu bereits die Sicherheitschefin von Facebook, Antigone Davis, im Senat befragt, am Dienstag war Haugen an der Reihe. Sie beantragte nun offiziell Schutz als Whistleblowerin, um sich vor einer Klage ihres ehemaligen Arbeitgebers zu schützen. Ihr Fazit: „Diese Version von Facebook zerreißt unsere Gesellschaft und verursacht Gewalt in der Welt.“
Auf bisherige Krisen hat Zuckerberg stets gleich reagiert: Lächeln, Besserung geloben und auf Bemühen hinweisen. Damit Facebook diesmal grundlegend etwas ändert, bräuchte es vermutlich mehr Druck: von der US-Administration und Regierungen weltweit, oder durch einen internationalen Streik der Mitarbeiter:innen und Dutzende von Whistleblowern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit