Facebook und Hasskommentare: Die Gesellschaft soll Nazis sehen
Um aus der Hass-Krise zu kommen, setzt Facebook auf das Prinzip „Counterspeech“, die Gegenrede. Ob das klappen kann?
Im analogen Leben müsste man sich Facebooks Konzept gegen Hass so vorstellen: Ein Nazi schmiert sein „Deutschland den Deutschen“ an die Wand und der Hausbesitzer lässt die Parole einfach stehen, obwohl er selbst ganz anders denkt. Aber er wolle ja das öffentliche Meinungsbild nicht verfälschen. Wenn alles gut läuft, kommt wenigstens bald jemand vorbei und sprayt ein dickes „Pfui!“ dazu oder – noch besser – ein „Nazis raus!“.
Nicht anders will das „asoziale Netzwerk“ (B.Z.) auch künftig mit den Hassbotschaften seiner Nutzer umgehen, so sie nicht unmittelbar zu Gewalt aufrufen. „Counterspeech“, also Gegenrede, heißt der Ansatz, den Facebook nach dem Gespräch seiner Vertreter mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nach den USA nun auch hierzulande fördern will. Dazu kommen übliche Greenwashingversprechen wie die Mitgründung einer Arbeitsgruppe gegen Hass im Netz sowie finanziellen Zuwendungen für externe Projekte. Selbst etwas ändern, gar mehr Leute einsetzen, will Facebook nicht.
Hinter den Kulissen argumentiert Facebook tatsächlich so: Der US-Konzern wolle keine Beweise vernichten, die Gesellschaft müsse schließlich sehen, um welche Probleme – Nazis! – sie sich zu kümmern habe. Der mündige Bürger könne dagegenhalten, so wie es viele auf der Straße doch auch täten.
Demo und Gegendemo, Rede und Gegenrede – kann das funktionieren? Experten können Facebooks Denke in der Theorie durchaus etwas abgewinnen, haben für die Praxis aber arge Bedenken.
NutzerInnen gegen ätzende Parolen
„Man bekommt keine Community geschenkt, in der einfach so Counterspeech betrieben wird“, sagt etwa Anna-Mareike Krause. Die Social-Media-Koordinatorin der „Tagesschau“ löscht mit ihren KollegInnen konsequent rassistische Beiträge und setzt dabei deutlich strengere Maßstäbe an als Facebook – so wie viele andere Medien auch.
Inzwischen halten auch immer mehr NutzerInnen gegen ätzende Parolen – aber eben nur, weil die Redaktion das vorlebe und immer wieder auch selbst einschreite, sagt Krause. „Man macht sich auch angreifbar, wenn man Gegenrede gegen Nazis betreibt“, mahnt die Redakteurin. Niemand solle unterschätzen, was es bedeute, mit seinem Klarnamen gegen Nazis Stellung zu beziehen. „Counterspeech ist erst dann möglich, wenn wir selber eine klare Haltung gegen menschenverachtende Kommentare zeigen“, sagt Krause. Facebook selbst zeige in laufenden Debatten wiederum keine Präsenz.
In der deutschen Wissenschaft beschäftigt sich derzeit wiederum kaum einer so intensiv mit den Mechanismen sozialer Netzwerke wie Wolfgang Schweiger an der Universität Hohenheim. Für den Kommunikationsforscher sind Facebook Algorithmen förmlich Brandbeschleuniger für Hasskommentare. Die „Filterblase“, die personalisierte Sicht auf das Internet, schaffe ein Klima, in der sich „ganz dumme Angeberei“ breitmache.
NutzerInnen würden meist nur die Botschaften Gleichgesinnter wahrnehmen. „Das bringt Menschen schnell zu dem Gefühl ‚Wir sind ja ganz viele, wir sind eine dominante Gruppe, wir sind vielleicht sogar die Mehrheit in der Gesellschaft’“, sagt Schweiger. An das Prinzip Gegenrede glaube er daher nur bedingt, denn Facebook sorge mit seinen ausgeklügelten Algorithmen selbst dafür, dass viele Hassbotschaften den Rest der Gesellschaft gar nicht erreichten – wie solle es dann aber jemand dagegen anschreiben?
Schweiger fordert wie Justizminister Maas, Facebook müsse deutlich strenger gegen fremdenfeindliche Einträge vorgehen. Der Wissenschaftler sieht allerdings deutlich stärker als der Politiker auch den Staat in der Pflicht: „Wir brauchen sehr viel mehr Strafverfolger, die nach solchen Äußerungen suchen und dann dagegen vorgehen.“ Auf Facebook alleine verlassen wolle er sich jedenfalls nicht.
Leser*innenkommentare
welle
Ich habe bei Facebook die Befürchtung, dass der sich verselbständigende Prozess durch diese Internetforen, das Problem der Hetze massiv verschlimmert und dass das auch Auswirkungen wiederum darauf hat, wie viele Menschen dann auf der Straße zu sehen sind. Im Grunde müssen sogar die Menschen, die aufgrund ihrer Lebensbedingungen und Biografien empfänglich sind für solche Massenbeeinflussungen geschützt werden, da sie aufgrund möglicher größerer Mangelerfahrungen sich selber nicht so gut schützen können.
Stefan Mustermann
Die Gesellschaft soll Nazis sehen?
Folgenden Artikel soll jeder Mensch in Deutschland gelesen haben:
...Nazi uriniert auf Kinder...
http://www.huffingtonpost.de/2015/08/24/rechtsextremer-uriniert-kinder_n_8032212.html
Liebe Eltern, wir müssen jedes Kind in unserem Land vor Nazis schützen!
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
Wie kommen Nazis, Naziversteher, Nazimitläufer, Naziapologeten, Nazisympathisanten und Naziverharmloser nur immerzu auf die Idee, daß Volksverhetzung von der Meinungsfreiheit gedeckt wäre? Wohl nicht aufgepaßt in Geschichte & Gemeinschaftskunde?
Cerberus
Diese Frage ist schwer oder vielleicht sogar gar nicht richtig zu beantworten. Natürlich sind diese Hetzkommentare furchtbar und eine echte Zumutung für jeden Betrachter, der nicht rechtsaußen steht. Aber ist Zumutbarkeit das Maß der Dinge?
Auch aus einer bösartigen Aktion kann sich eine gute Reaktion ergeben. Ich glaube (subjektiv!), dass sich die Hilfsbereitschaft vieler Deutscher den Flüchtlingen gegenüber auch (!) aus Abgrenzung gegenüber den Netzhatern und Demohetzern heraus ergeben hat. Als Initialzündung, den Rechten Kontra zu bieten.
Warum soll es erlaubt sein, auf einer Demo Hassparolen zu rufen, im Netz jedoch ein anderes Recht gelten? Das erinnert mehr an das Drei-Affen-Prinzip, was wir nicht sehen/hören, dass muss auch nicht bekämpft werden.
Wie wird die Reaktion im Auslang sein? Facebook hat viele Freiheitsbewegungen, gerade in der arabischen Welt, vorangebracht. Wenn ein demokratisches Land wie Deutschland Zensurgesetze erlassen darf, wäre das nicht eine Einladung an alle Potentaten, dieses Mittel ebenfalls zu nutzen? Allerdings nach eigenen Gesetzen, die uns dann ebenso undemokratisch vorkommen, wie unser Volksverhetzungsparagraf den Amerikanern, Engländern oder Schweden.
Ich denke, ich kann mit facebook im derzeitigen Zustand leben. Das Risiko, welche Lawine durch Zensurgesetze ins Rollen gebracht werden kann, ist mir dagegen zu hoch.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
"Natürlich sind diese Hetzkommentare furchtbar und eine echte Zumutung für jeden Betrachter, der nicht rechtsaußen steht. Aber ist Zumutbarkeit das Maß der Dinge?"
>>> Darum geht´s gar nicht. Es geht darum, daß Hetze die Hemmschwelle potenzieller Nazi-Gewalttäter senkt.
"Ich glaube (subjektiv!), dass sich die Hilfsbereitschaft vieler Deutscher den Flüchtlingen gegenüber auch (!) aus Abgrenzung gegenüber den Netzhatern und Demohetzern heraus ergeben hat."
>>> Das Dritte Reich hat eindrücklich das Gegenteil bewiesen.
"Warum soll es erlaubt sein, auf einer Demo Hassparolen zu rufen, im Netz jedoch ein anderes Recht gelten?"
>>> Weil das geschriebene Wort ein anderes Gewicht hat. Weshalb wohl war die Erfindung des Buchdrucks eine der revolutionärsten Entwicklungen überhaupt?
"Wie wird die Reaktion im Auslang sein? Facebook hat viele Freiheitsbewegungen, gerade in der arabischen Welt, vorangebracht. Wenn ein demokratisches Land wie Deutschland Zensurgesetze erlassen darf, wäre das nicht eine Einladung an alle Potentaten, dieses Mittel ebenfalls zu nutzen?"
>>> Erstens ist Volksverhetzung nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, zweitens tun "Potentaten" sowieso, was ihnen gefällt. Was Schland tut, ist denen schnuppe.
"Ich denke, ich kann mit facebook im derzeitigen Zustand leben."
>>> SIE schon. Nazis zünden ja nicht IHRE Unterkunft an oder pissen in der U-Bahn auf IHRE Kinder.
Laughin Man
Ich glaube man sollte Hassreden nicht mit Aufrufen zu Gewalttaten verwechseln.
Das eine hat etwas mit Meinungsfreiheit zu tun und das andere ist eine Straftat falls es taten nach sich zieht.
Ohne diverse Kommentare auf Facebook wären doch immer noch viele der Meinung es wäre alles in Ordnung im Lande. Lasst die Hassredner sich als solche outen.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@Laughin Man Offenbar sind aber Viele der Meinung, daß gerade die Hassreden das sind, was im Lande in Ordnung ist.
Tatzelbrumm
Nur zur Erinnerung:
Maulkörbe gegen unliebsame Meinungen werden in der Praxis meistens so gehandhabt: http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2005/11/11/a0168 http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2006/07/13/a0127
Fotohochladen
...sehe es genau wie Mowgli, der Staat hat doch alle Möglichkeiten, Menschen, die bei facebook z.B. rassistische Hassparolen verbreiten, zur Anzeige zu bringen. Gleiches gilt für alle facebook-Nutzer.
mowgli
Erstaunlich, wie wenige gebildete Leute Zensur mit Macht in Verbindung bringen und das Machtmonopol des Staates auch da zur Anwendung gebracht sehen wollen, wo ein privates Unternehmen gesellschaftliche Missstände sichtbar macht!
Nein, es läuft nicht gut, wenn private Hausbesitzer "Deutschland den Deutschen" stehen lassen an ihrer Wand, obwohl sie anders denken. Viel besser läuft es aber auch nicht, wenn sie es tolerieren, dass "Nazis raus" daneben steht.
Ein Haus nämlich kein soziales Netzwerk. Es ist nicht seine Bestimmung, Meinungen abzubilden. Es ist seine Bestimmung, Zuflucht zu gewähren. Auch vor der Angst. Deswegen sollte ein Hausbesitzer blöde Parolen sobald wie möglich überstreichen (lassen). Und zwar auch dann, wenn sie suggerieren, man müsse Nazis (oder Flüchtlinge) einfach nur aussperren, um sie los zu sein.
Dass Facebook nun von Hausbesitzern lernen soll, ist aber nicht gesagt. Erstens nämlich ist der Begriff Eigentum auf ein soziales Netzwerk nur bedingt anwendbar, und zweitens sollte es ein Rechtsstaat nicht privaten Ansichten überlassen, welche Meinungsäußerung sanktioniert wird und welche nicht. Juristen schreiben schon seit Jahren dicke Bücher voll mit Kommentaren zu Gesetzen. Aber selbst wenn Facebook gute Hausjuristen hat – deren Wissen ersetzt noch lange keine Gerichtsverhandlung.
Der deutsche Staat hält sich bekanntermaßen etwas auf seine Regeln zugute. Sie dürfen ihn bloß nichts kosten. Statt seine Gerichtsbarkeit der neuen Zeit anzupassen und dafür zu sorgen, dass genügend befugtes Personal sich kümmert (oder aber die Gesetze an die Praxis anzupassen), versucht er einmal mehr, Leistungen zu privatisieren, die er eigentlich selbst erbringen müsste. Auch, um nachher klüger zu sein. Strom, Wasser, Schulen, Unis, Seen und Gefängnisse - nun also auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Hauptsache billig und weit weg mit der Verantwortung!
Das Steuern zahlen macht mir immer weniger Vergnügen, glaube ich!
Konrad Ohneland
Ne tolle Theorie und nen Anglizismus dafür, dass man sich zurücklehnt und Däumchen dreht, ganz toll, facebook, gaaanz toll.
mowgli
Gaaanz toll? Dass Facebook Algorithmen für sich arbeiten lässt, ist zwar verständlich, kann aber trotzdem zum Problem werden. Das Bedürfnis nach einer Kommunikation in sozialen Gruppen ist ein Grundbedürfnis. Menschen brauchen das Gefühl, zuhause zu sein unter ihresgleichen. Es macht sie mutig und offen für Neues. Dass Facebook dieses Grundbedürfnis bedient, macht einen großen Teil seines Erfolges aus. Dass das Netzwerk dadurch allerdings auch wie ein „Brandbeschleuniger“ wirken kann, ist eine Tatsache.
Es polarisiert einfach sehr stark. Das Gefühl, man sei Teil einer „dominanten Gruppe“ haben schließlich nicht nur Ausländerfeinde, sondern auch Leute, die sich als Ausländerfreunde verstehen. Selbst der „Arabische Frühling“ verdankt sich Facebook. Autoritäre Staaten wie Ägypten oder China versuchen deswegen, Facebook zu kontrollieren. Staaten wie Deutschland versuchen eher, es für sich arbeiten zu lassen. So, wie Facebook Algorithmen arbeiten lässt für sich. Der Unterschied ist nur: Algorithmen haben keine eigenen Ziele. Es ist nicht halb so riskant, sie einzuspannen für seine Zwecke – und anschließend nicht gaaanz strikt zu überwachen.
Konrad Ohneland
@mowgli Und was hat das alles jetzt mit Volksverhetzung im Sinne von §130 StGb zu tun? Was hat der arabische Frühling mit den Hetzern von Heidenau zu tun? Sie machen sich was vor, wenn Sie glauben, facebook verteidige hier die Meinungsfreiheit. Die Herrschaften von facebook sind schlicht nicht bereit, hier Energie und Zeit reinzustecken und reden sich die Sache schön. "Counterspeech", dass ich nicht lache. Im Gegenteil: Da kommt es einem ja schon so vor, als würde man Teil des Geschäftsmodells, nur weil man den Mund aufmacht. Das ist einfach nur widerwärtig.