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FDP nach der AmpelEndlich echte Opposition!

Lindner zeigt sich enttäuscht über das Ende der Regierung. Auch in seiner eigenen Partei gibt es am Tag danach prominenten Mitgliederschwund.

Volker Wissing steht neben Christian Lindner im Schloss Bellevue Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Es ist ein ungewohnter Anblick in der Karriere von Christian Lindner: Der FDP-Chef ringt am Donnerstag in der Berliner Parteizentrale vor den Kameras nach Worten. Eine Regierung wäge und suche stets politische Lösungen. „Dabei kommt es manchmal zu politischen und menschlichen Enttäuschungen“, sagt der geschasste Finanzminister. Lindner, der vor einer Woche noch zu einer radikalen Wende in der Wirtschaftspolitik aufgerufen hatte, gewährt nun einen Einblick in die tiefen Auseinandersetzungen der Regierung – Auseinandersetzungen, die auch die internen Gräben bei der FDP offenbaren.

Lindner berichtet von Bürgergesprächen, in denen es um die wirtschaftliche Lage gegangen sei, und wie er sich mit FDP-Positionen nicht ausreichend habe durchsetzen können. „Mich hat das menschlich aufgerieben, deshalb ist es auch gut, dass es jetzt eine neue Richtung für unser Land gibt“, so der Parteichef. Wie am Vorabend im Bundestag, als Lindner sichtlich angefasst zu seiner Entlassung Stellung bezog, wirft er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, den Weg zu Neuwahlen nicht gemeinsam eingeleitet zu haben. „Das Richtige für unser Land wäre die sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen.“

Ein alter Streitpunkt führte am Mittwochabend zum Showdown in der Ampel: Scholz forderte zusätzliche Investitionen von 15 Milliarden Euro, für die Lindner die Schuldenbremse hätte aussetzen sollen. Er sollte die haushaltspolitische Notlage mit dem Ukrainekrieg begründen. Lindner nannte dies einen fahrlässigen Umgang mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse, den er mit seinem Amtseid nicht vereinbaren könnte.

Um 14.30 Uhr händigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) Lindner die Entlassungsurkunde aus. Die FDP-Minister*innen Bettina Stark-Watzinger (Bildung) und Marco Buschmann (Justiz) stehen zu Lindner und baten ebenfalls um ihre Entlassung. Doch für den Parteichef stehen anstrengende Tage bevor, denn innerhalb seiner Gefolgschaft sind nicht alle mit dem Gang in die Opposition einverstanden.

Wissing bleibt lieber

Überraschend trat Bundesverkehrsminister Volker Wissing nicht zurück. Er erklärte am Donnerstagmorgen, dass er im Kabinett von Scholz im Amt bleibe. Aus der FDP trete er aus. „Ich distanziere mich damit nicht von Grundwerten meiner Partei und möchte auch nicht in eine andere Partei eintreten“, sagte Wissing.

Drei Staatssekretäre von Wissing, die ebenfalls FDP-Mitglieder sind, erklärten dagegen ihren Rücktritt. „Wir haben nach seiner einsamen Entscheidung kein Vertrauen mehr in Volker Wissing“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Wissing gilt als Architekt der Ampel. Der promovierte Jurist hat bereits 2016 in Rheinland-Pfalz die Bildung einer Regierung aus SPD, Grünen und FDP forciert. Bis heute regiert in Mainz die Ampel – und will trotz der Berliner Ereignisse weitermachen. Als Bundesverkehrsminister ist Wissing mit einem Fokus auf Autofreundlichkeit ein klassischer Freidemokrat. Für Ärger in der Ampelregierung sorgte er, als er im vergangenen Jahr das Ende der Verbrenner auf EU-Ebene blockierte, um Ausnahmen für Fahrzeuge mit synthetischen Kraftstoffen durchzusetzen.

Er weigerte sich, ein Sofortprogramm aufzulegen, nachdem klar war, dass der Verkehrssektor die Klimaziele reißt. Das Ergebnis: Die Ampel schaffte die Klimaziele für einzelne Sektoren wie den Verkehr einfach ab. Wissing initiierte aber auch das dreimonatige 9-Euro-Ticket für den bundesweiten Nahverkehr, aus dem das heutige 49-Euro-Ticket hervorging. Das durchzusetzen, beweist angesichts der Hunderten von Verkehrsverbänden in Deutschland großes politisches Geschick.

Bei seinen Kabinettskollegen ist Wissing dennoch beliebt. Auch bei harten Auseinandersetzungen betonten viele immer wieder, wie sehr sie Wissing persönlich schätzen. Lindner sagte zu der Entscheidung Wissings lediglich, er habe diese zur Kenntnis genommen.

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18 Kommentare

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  • "Bürgergespräche"? Großerbenlobbyisten, Autoindustrielle, behäbige Honoratioren, ... stehen sicher nicht für "die Bürger". Lindner hätte aus seiner Balse herauskommen müssen und für das Land denken, Partikularinteressen abwehren können. Er ist doch so hagestolz auf seine Rhetorik.

    Wissing könnte nun ohne Lindners Druck nun mal zeigen, was er wirklich bei Verkehr will und kann. Ich hatte schon lange Lindner im Verdacht, auf dem Ticket von Gesamtmetall zu stehen.

  • Das Verhalten hat nicht mehr viel mit seriöser Politik zu tun. Wirklich schade, dass hier keiner konstruktiv mitarbeitet.

  • "Lindner sagte zu der Entscheidung Wissings lediglich, er habe diese zur Kenntnis genommen."

    Nein, Lindner sagte außerdem noch: "Ich wünsche ihm persönlich, menschlich jedenfalls alles Gute." www.tagesschau.de/...teigerung-100.html

  • Lindner hatte als U-Boot von Friedrich Merz den Auftrag, die Ampel-Koalition von innen zu sprengen. Strategie gelungen.

    • @Streberin:

      So einfach? Warum sollte er?

      Lindner hat wohl selbst kaum einen Kompass außer seinem persönlichen Kontostand und einigen neoliberalen Floskeln, da hätte er mal Dahrendorf lesen und Baum fragen sollen.



      Vielleicht hatte er auch Angst vor seiner Partei, in der Eindimensionale wie Schäffler erschreckend durchsuppen konnten.

  • Wissing überrascht hier!



    Es spricht für Ihn, seine Aufgabe geregelt zu Ende zu bringen. Klar wird ihm sein, dass das wahrscheinlich auch sein Karriereende bedeutet Daher Hut ab, für das Amt, im Sinne des Landes weiter zu machen. Es laufen viele Verkehrsprojekte und ein Wechsel wäre wohl eher Stillstand.

    • @Philippo1000:

      Er könnte gerade Hochachtung zurückgewinnen, die FDP-Verkehrspolitik für die Autoindustriellen-Erben erodiert hatte.



      Für dieses Manöver hat er bereits meine Hochachtung. So hätte die FDP sein sollen: mitarbeitend.

  • Da sieht man einen sehr guten Kontrast zweier Politiker-Typen, aber auch die innere (menschliche) Einstellung.



    Das ist vergleichbar mit Kollegen, die ich hatte, nachdem uns allen mal gekündigt wurde. Einige verhielten sich nach dem Motto "Nach mir die Sinnflut" und andere erfüllten aus Verantwortungsbewusstsein ihren Arbeitsvertrag, auch wenn es hart war.



    Jeder möge selbst beurteilen, welchen Typ man als charakterstark wahrnimmt oder nicht.

    • @Hatespeech_is_not_an_opinion:

      Naja, ich finde Wissings Handeln fürs Land äußerst ehrenwert. Er hätte wohl nur Lindner zwischenzeitlich stürzen und wie in Rheinland-Pfalz verantwortlich mitregieren sollen.

      Würde einen hingegen ein profitorientiertes Unternehmen raussetzen, wird es bei fast allen ein deutlich verringertes Arbeitstempo in den letzten Wochen einkalkulieren müssen, denn den Schock muss man verarbeiten. Bzw. auch als Gegen-Bestrafung.



      (Wobei ich in einem solchen Fall damals durchrobotete und von Kollegen gebremst werden musste)

  • Oh Mann, Lindner! Den Karren an die Wand fahren und dann jammern und die Schuld auf andere schieben. Die FDP hat fertig. Politiker mit Rückgrat und funktionierendem moralischen Kompass sind offenbar aus der Mode gekommen.

    • @Minelle:

      Für mich haben Habeck und Scholz den Karren vor die Wand gefahren. Einziger Vorwurf, den ich der FDP machen kann: Sie haben den Bruch viel zu lange hinausgezögert.

      • @fleischsalat:

        Oh, also die FDP mit ihrer permanten Blockadehaltung allem gegenüber, was ihre reiche Klientel nicht nutzt, trägt keine Schuld? Ihr umgekehrtes Robin-Hood Motto: nehmt von den Armen und gebt es den Reichen, auch nicht? was ist mit Wissing, einer der unfähigsten Verkehrsminister? Nach Scheuer will das wohl was heißen. Oder Buschmann, der das Justizministerium dazu genutzt hat, die wenigen Maßnahmen in der Pandemie auch noch zu boykottieren? Lindner hätte sich besser an seinen eigenen Wahlspruch gehalten: Besser gar nicht regieren als schlecht zu regieren,.

  • Wissing - ebenen noch auch in der TAZ häufig als Versager und in



    einem Atemzug mit Scheuer als Fehlbesetzung auf seinem Posten gescholten ist plötzlich ein ehrenwerter everybody darling, Loyalität



    zählt in der Politik eben mehr als Kompetenz u. wird auch noch mit



    eine 2. Ministertitel belohnt

    • @behr Behr:

      Wie hier schon mehrfach geschrieben, ist zu vermuten, dass _Lindner die Fehlpositionierung der FDP zu verantworten hat: als umweltfeindliche Retro-Auto-Partei, als Dauerblockierer, als Umverteiler nach oben.



      Wissing hat in Rheinland-Pfalz eine funktionierende Ampel geschafft. Lindner im Bund nicht.



      Bei der Verkehrspolitik hat er die CSU-Minister übertroffen, doch die Klimaziele nicht mal versucht. Ich hoffe, dass Wissing noch auspackt, wie viel davon Lindner schuld war.

  • Der Polit-Kannibale Linder unterliegt weiterhin einer fatalen Hybris seiner Person. Die von ihm dominiert Realitätsverweigerung konnte man nur als Fatal dämliche Politik bezeichnen.



    Die Rest FDP wandert nun hoffentlich weiterhin in den Mülleimer der Politik.



    Die CDU/Merz sollte die Wochen bis zur Vertrauensfrage im nächste Jahr nutzen, um zu beweisen, dass ihm wirklich das Volk am Herzen liegt und mit der Minderheitenregierung die dringendsten Gesetze verabschieden, statt sich weiter seinen Banken- und Grossfinanzfreunden zu prostituieren.

    • @DarwinWasRight:

      Die FDP liegt schon so am Boden, zu Recht.



      Kein Grund, Hrn. Lindner mit der von Ihnen gewählten Bezeichnung zu versehen.



      Es gibt genügend sachliche Argumente gegen Partei wie Parteichef. Wollen Sie es noch einmal probieren?

    • @DarwinWasRight:

      Das wird leider nicht passieren: der Merz geht es doch gar nicht um Realpolitik, sondern nur darum, seinen Allerwertesten endlich im Kanzlersessel platzieren zu können.

    • @DarwinWasRight:

      Ich empfinde Ihren Stil und die Wortwahl als unangemessen für diese Zeitung. Sie unterscheidet sich kaum von den Hasstiraden rechter Schreier.