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Expertin über sexuelle Hamas-Gewalt„Es sind nicht nur Vergewaltigungen“

Die Hamas nutzt sexualisierte Gewalt als Kampfmittel, sagt Rebecca Schönenbach. Die Solidarität mit den israelischen Frauen bleibe aus.

Opfer und Angehörige bei der ersten Gedenkveranstaltung nach dem Hamas-Überfall auf dem Gelände des Nova-Musikfestivals Foto: Ilia Yefimovich/dpa
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Frau Schönenbach, warum muss die sexualisierte Gewalt beim Angriff vom 7. Oktober eigens auf einem Podium thematisiert werden?

Rebecca Schönenbach: Weil an dem Tag an mindestens fünf Orten die gleichen, massiven Verbrechen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen an israelischen Frauen begangen wurden – es daraufhin aber erstaunlich wenig öffentliche Solidarisierung mit ihnen gab. Auch in Deutschland.

taz: Also nicht besonders in Deutschland, wie die Ankündigung suggeriert …?

Schönenbach: Nein, ich glaube nicht, dass es sich um eine deutsche Besonderheit handelt: Die Entsolidarisierung mit israelischen Frauen ist ein internationales Phänomen, leider. Wenn die Opfer aus Israel stammen, werden mitunter sogar die Täter unterstützt.

Bild: Foto: privat
Im Interview: Rebecca Schönenbach ​

Volkswirtin und Certified Islamic Finance Expert (GB), arbeitet als unabhängige Beraterin im Bereich der Terrorismusbekämpfung und ist Vorsitzende der Vereine „Frauen für Freiheit“ und „Veto! Für den Rechtsstaat“.

taz: … am prominentesten von der amerikanischen Geschlechtsdenkerin Judith Butler: Wieso erfolgt die Leugnung hier fast automatisch?

„Nach dem 7. Oktober“: ein Podium über sexualisierte Gewalt, israelbezogenen Antisemitismus und gesellschaft­liche Reaktionen, Braunschweig, Städtisches Museum, 18. 9., 18 Uhr, im Rahmen der Jüdischen Kulturtage

Anmeldung erforderlich bis zum 16. 9.: veranstaltungen@ij-n.de oder ☎ 0178-67 23 594

Schönenbach: Die Akteure linker, emanzipatorischer Bewegungen fühlen sich dem intersektionalen Denken verbunden, haben aber, in den vergangenen Jahren, nicht so sehr darauf geschaut, was das ursprünglich war.

taz: Was war das noch mal?

Schönenbach: Die intersektionale Bewegung beginnt mit der Untersuchung der Lage Schwarzer Frauen, die eben nicht nur durch die weißen Führungskräfte der Fabrik, in der sie arbeiten, diskriminiert werden, sondern auch durch ihre Schwarzen männlichen Kollegen. Das heißt, die Gefahr für eine Person, diskriminiert zu werden, ist individuell abhängig von multiplen Arten der Diskriminierung. Diese Denkart hat sich aber immer mehr verschoben dazu, doch wieder in Gruppen zu denken, die in eine Art Hierarchie überführt werden. In der gelten Israelis als weiß und mächtig. Viele emanzipatorische Organisationen setzen zudem den Staat Israel mit kolonialer Macht und einem kapitalistischen System gleich, das zum Feind erklärt wird. Diese Projektion hat wenig mit Israel selber zu tun, sie kann auch keine Rechtfertigung sein für Verbrechen an Israelis – aber sie kappt das Mitgefühl.

taz: Das wird begünstigt durch Israels Kriegsführung, die Frauen besonders stark trifft, auch durch sexualisierte Gewalt. Ist das etwas anderes als bei der Hamas?

Schönenbach: Auf individueller Ebene auf keinen Fall. Jedes Vergehen gegen eine Frau, egal ob israelisch oder palästinensisch, muss gleichermaßen betrachtet und bestraft werden. Aber die sexualisierter Gewalt gegen palästinensische Frauen ist eben nicht systematisch. Sie wird weder befohlen noch gerechtfertigt, sondern verfolgt. Umgekehrt ist die sexualisierte Gewalt der Hamas systematisch geplant und durchgeführt worden. Sie wird gefeiert, um junge Männer hier im Westen gegen jüdische Frauen zu radikalisieren.

taz: Die Videos, dieses Filmen und Feiern, das zeigt, eher als die Opferzahlen: Das ist eine Gewalt, die sich fortpflanzen soll …?

Schönenbach: Das öffentliche Bejubeln der geschändeten Körper, die dann durch die Straßen geführt wurden, ist klar ein Aspekt davon. Wobei nach meiner Meinung die Opferzahlen ausreichen, um systematisch sexualisierte Gewalt zu belegen. Die Art und Weise der Gewalt lässt aber keinen Zweifel zu. Das sind ja nicht nur „einfache“ Vergewaltigungen. Die Täter haben Gegenstände in die Leistengegend der Frauen getrieben, sie haben die Frauen teilweise an Bäume gebunden und so hinterlassen. Das war bewusst inszeniert, damit diejenigen, die danach kamen, diese sexuelle Gewalt deutlich sehen konnten.

taz: Das klingt selbst nach einer Kolonisierung der Körper.

Schönenbach: Ja, das ist eine Kolonisierung von Frauenkörpern. Es ist zugleich eine politische Gewalt, denn sie macht deutlich, dass diese Frauen nicht als Menschen betrachtet werden. So funktioniert sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe.

[Anmerkung: In einer früheren Version hieß es, Terre des Femmes habe sich nach dem 7. Oktober nicht mit den israelischen Frauen solidarisiert. Das ist falsch. Terre des Femmes hat sich mit einer am 23. Oktober 2023 verbreiteten Erklärung ausdrücklich mit den israelischen Frauen solidarisiert. Die Passage mit der Behauptung wurde daher gelöscht. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.]

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