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Expertin über Ernährungsaufklärung„Gut, wenn Eltern Regeln vorgeben“

Wie viel Wahrheit über Massentierhaltung verträgt ein Kind? Wo hört Vorleben auf und fängt Bevormunden an? Eine Kinder- und Jugendpsychotherapeutin erklärt.

Essen mit Gesicht: irgendwie netter vegetarisch Foto: Christian Jungeblodt
Rieke Wiemann
Interview von Rieke Wiemann

taz am wochenende: Frau Kalali, was sage ich, wenn mich mein dreijähriges Kind fragt, woher Fleisch kommt?

Islim Kalali: Die Wahrheit.

Kann ich meinem Kind erzählen, dass sich oft neun Masthühner einen Quadratmeter teilen müssen und nicht einmal das Sonnenlicht sehen, bevor sie getötet und zu Nuggets verarbeitet werden?

Solche Details würde ich keinem dreijährigen Kind zumuten. Wie viel Wahrheit ein Kind verträgt, hängt von seiner Reife ab, das kann man pauschal nicht beantworten. Wenn Eltern mit ihrem Kind über dieses Thema sprechen, sollten sie besonders auf seine Mimik achten. Schaut es neugierig und stellt Nachfragen, kann man ruhig mehr erzählen. Wirkt es hingegen schockiert, sollte man es nicht mit weiteren Informationen belasten. Dass das Fleisch von Tieren kommt und wir Menschen sie dafür töten, sollten Eltern ihren Kindern aber definitiv sagen. Und auch, ob es sich um Schweine-, Hühner-, Rinder- oder Kalbfleisch handelt.

taz am wochenende

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Wenn mein Kind also weiterbohrt und wissen will, wie ein Huhn getötet wird, dann erzähle ich ihm das?

Ja. Mit den Details zur Schlachtung würde ich aber nur so weit gehen, wie das Kind auch fragt.

Angenommen, ich ernähre mich und mein Kind vegan. Wo verläuft der Grat zwischen Vorleben und Bevormunden?

Es ist eine Aufgabe von Eltern, ihre Kinder zu bevormunden. Eine antiautoritäre Erziehung ist desaströs für Kinder. Sie brauchen Regeln und Strukturen, sie geben ihnen Sicherheit. Deshalb ist es sogar gut, wenn Eltern Regeln für die Ernährung vorgeben – denn nicht alle Kinder essen automatisch das, was sie brauchen. Manche würden sonst vielleicht nur Pizza und Pommes essen.

Ab welchem Alter sollte ich mein Kind selbst entscheiden lassen, ob es weiter mit mir vegan essen möchte oder auch tierische Produkte?

Vielleicht ab Grundschulalter, aber auch das kann man nicht pauschal sagen. Was man sagen kann, ist, dass viele Eltern ihren Kindern zu früh zu viele Entscheidungen überlassen – und sie damit überfordern.

Und wenn das Kind klar äußert, dass es gerne Bratwurst oder Käse probieren möchte?

Das hängt von den Eltern ab. Wer nicht will, dass sein Kind tierische Produkte isst, der muss ihm die Bratwurst auch nicht erlauben. Wenn Eltern ihr Kind aber frei entscheiden lassen wollen, ob es vegan isst oder nicht, dann sollten sie auch tierische Produkte im Haus haben. Auf keinen Fall dürfen sie den Konsum von Fleisch, Eiern und Milch grundsätzlich verteufeln. Denn sonst hat das Kind keine wirklich freie Wahl – und bekommt Schuldgefühle, falls es doch mal bei Freun­d*in­nen Pizza mit Käse oder Vollmilchschokolade isst.

Im Interview: Islim Kalali

45, ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Berlin.

Wie kann ich meinem Kind die Schuldgefühle nehmen?

Indem Sie ihm sagen, dass vegane Ernährung nicht die einzig richtige Ernährungsweise ist. Isst das Kind in Ihrer Gegenwart etwas Tierisches, hilft es, wenn Sie es aufmunternd anblicken, ihm zulächeln oder sagen: „Das ist in Ordnung.“

Wie reagiere ich, wenn mein Kind anderen Kindern Schuldgefühle macht, indem es ihnen sagt: „Für die Wurst auf eurem Butterbrot mussten Schweine sterben?“

Dann sollten Sie ihrem Kind verdeutlichen, dass es nicht belehren soll. Zum Beispiel, indem Sie sagen: „Andere Eltern haben andere Ansichten und erziehen ihre Kinder anders. Es ist nicht deine Aufgabe, mit ihnen über die Nutzung von Tieren zu sprechen, sondern die der Eltern.“

Es gibt sehr wenige vegane Kitas, einige normale Kitas bieten auf Wunsch ein veganes Gericht an. Eltern, die ihr Kind vegan ernähren, müssen ihm also Mittagessen mitgeben. Hat es negative Auswirkungen auf das Kind, wenn es nicht das Gleiche isst wie alle anderen?

Es kann das Kind in eine besondere Situation bringen, die das Kind vielleicht sogar mag. Meistens ist es ja aber gar nicht so, dass alle Kinder das Gleiche essen. Manche Kinder haben eine Nussallergie, andere eine Glutenunverträglichkeit, wieder andere eine Laktoseintoleranz. Von daher ist es nichts Außergewöhnliches mehr, ein anderes Mittagessen zu haben. Wichtig ist, dass die Eltern oder Er­zie­he­r*in­nen für eine vegane Alternative sorgen, wenn es zum Beispiel einen Geburtstagskuchen oder einen Schokonikolaus gibt.

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6 Kommentare

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  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Eltern bestimmen die künftige Ernährungsweise ihrer Kinder in erster Linie durch das, was sie ihnen zu essen geben oder eben nicht, und zwar schon, bevor jene überhaupt sprechen können. Denn die Ernährung der ersten Lebensjahre hat maßgeblichen Einfluss darauf, wie sich die Darmflora und damit Geschmacksinn sowie Verträglichkeiten entwickeln. Eltern denen die eigenen Kinder am Herzen liegen, achten deshalb auf Vielseitigkeit und Ausgewogenheit bei der Ernährung, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich später flexibel und selbstbestimmt zu ernähren. Einen Menschen vom Kindheitsalter an auf eine vegetarische oder gar vegane Ernährung festzulegen ist schon keine Bevormundung mehr, denn das ist Erziehung in jedem Fall, es ist ein Mangel an Fürsorge, der ideologisch motiviert ist, in vielen Fällen sogar einem vorübergehenden Trendbewusstsein unterliegt.

  • Die Frage, woher das Fleisch kommt, stellte sich uns Kindern nicht lange.

    Der Weg zu Schule führte am Schlachthof vorbei und mehrmals die Woche hörte man von dort die Angst- und Todesschreie der Tiere.

    Ansonsten gab es keine Wahl. "Gegessen wird, was auf den Tisch kommt." Mochte man das nicht, gab es eben gar nichts.

    Jetzt bin ich Vegetarier und die Schlachthöfe sind außerhalb der Stadt.

    Wären sie noch in der Stadt, gäbe es mehr Vegetarier.

    • @Jim Hawkins:

      Wir haben da glaube schon mal darüber geschrieben und ich will Ihnen überhaupt nicht ihren Vegetarismus schlecht reden, aber hatten Sie nicht gesagt, ihr Arzt hatte Ihnen geraten sich gesünder zu ernähren?

      Und dann haben Sie angefangen, sich mit ihrer Ernährung mehr zu beschäftigen und wurden Vegetarier?

      Und es geht ihnen damit bestimmt besser, die Frage ist nur, geht es Ihnen besser weil Sie Vegetarier sind oder weil Sie sich bewusster ernähren...

      "Wären sie noch in der Stadt, gäbe es mehr Vegetarier."

      Hier geb ich ihnen teilweise Recht, aber wenn ich beim Einkaufen in Deutschland Leute an der heißen Theke sehe, die sich die dicke Scheibe Leberkäse für 1,10 EUR geben, dann denk ich mir immer, die müssen doch wissen, was da für 1,10 EUR drin sein muss, aber das kann man anscheinend gut ausblenden, die Theke ist immer voll.

      • @Sven Günther:

        Ja, das hat der Medizinmann gesagt und dann meinte er noch, dass etwa Wurst gut gewürzter Abfall mit Fett wäre.

        Also ließ ich das weg, das Fleisch auch und mittlerweile sogar Milchprodukte.



        Meine Dr. Martens-Sammlung wird allerdings nicht über den Jordan gehen, sondern erweitert.

        Jedenfalls, ein halbes Jahr später, hatten sich alle Blutwerte um ca. 20 % verbessert. Ich fühle mich leichter, habe auch zehn Kilo verloren und bin fitter.

        Wenn man mehr über seine Ernährung nachdenkt, informiert man sich auch stärker über die Produktion der Nahrungsmittel.

        Und da muss ich sagen, dass mich die Produktion tierischer Nahrungsmittel zum Würgen brachte, wenn nicht gar zum Kotzen.

        So etwas sollte man keinem Lebewesen antun.

        Ein Missionar bin ich trotzdem nicht geworden.

  • "Wenn mein Kind also weiterbohrt und wissen will, wie ein Huhn getötet wird, dann erzähle ich ihm das?"

    Nachden wir lange darüber geredet haben, war meine Bobe mit mir dann mal bei einer Schechita, da war ich aber schon 5 oder 6 Jahre alt. Ich habe da viel über die Wertschätzung von Tieren gelernt, warum sollte man sein Kind anlügen?

    "Hat es negative Auswirkungen auf das Kind, wenn es nicht das Gleiche isst wie alle anderen?"

    Ich habe weder im Kindergarten noch in der Schule das Essen aus der Kantine gegessen, man hat gesagt man isst sein eigenes Essen, die anderen Kinder waren etwas neidisch, wenn es in der Kantine mal wieder undefinirbares gab, das hat auch vor 20 Jahren keinen gestört.

  • So So, " Eine antiautoritäre Erziehung ist desaströs für Kinder. "



    Ich empfehle der Frau Kalali und anderen die gerne wissen möchten, was antiautoritäte Erziehung bedeutet



    das Buch Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung: Das Beispiel Summerhill von A.S. Neill, Rowohlt Taschenbuch