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Expertin über EU-Klage zu Stickoxiden„Hysterie sieht für mich anders aus“

Die Stickoxid-Belastung in Deutschland gefährde tatsächlich die Gesundheit, sagt Umweltbundesamts-Expertin Wichmann-Fiebig.

Stinkiges Hinterteil: Deutschland ignoriert es Foto: ap
Interview von Frederik Richthofen

taz: Frau Wichmann-Fiebig, die EU-Kommission will Deutschland wegen zu viel Stickstoffdioxid (NO2) in der Luft verklagen. Ist das Hysterie, wie Freunde der Autoindustrie sagen?

Marion Wichmann-Fiebig: Nein. Absolut nicht. 1999 hat die EU 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als Grenzwert für die mittlere jährliche NO2-Konzentration festgelegt. 2010 hätten wir den Wert schon einhalten müssen. Jetzt, 8 Jahre später, ist der EU der Geduldsfaden gerissen. Hysterie sieht für mich anders aus.

Es wird behauptet, die NO2-Messungen seien nicht repräsentativ. Ist das richtig?

Ebenfalls nein. Die Messungen führen zwar die Bundesländer durch, aber ich kann sagen, dass sie das gemäß der EU-Richtlinie zur Luftreinhaltung machen. Und die besagt, dass dort gemessen werden muss, wo Menschen sich dauerhaft aufhalten – gerade an dem Punkt mit der höchsten Belastung. Schließlich leben dort Menschen. Messungen wie am Stuttgarter Neckartor sind deshalb sinnvoll, auch wenn einem das nicht gefällt. Von denjenigen, denen die Konsequenzen nicht passen, wird zunehmend alles in Frage gestellt, was die Richtlinie fordert.

Wie gefährlich sind die Grenzwertüberschreitungen für die Menschen überhaupt?

Wir reden von jährlich rund 10.000 vorzeitigen Todesfällen durch die Überschreitung des NO2-Grenzwertes in Deutschland. Studien zeigen Zusammenhänge mit Lungen-, Herz-Kreislauf- und Diabeteserkrankungen. Die Folgen für die Gesundheit sind somit sehr weitgehend.

Im Interview: Marion Wichmann-Fiebig

Marion Wichmann-Fiebig, 58 Jahre, ist Abteilungsleiterin im Umweltbundesamt und dort zuständig für Themen der Luftreinhaltung.

Was sind konkrete Schritte, die zur Senkung der NO2-Werte getan werden sollten?

Wir müssen sehen, dass wir schnell eine Verbesserung erreichen. Natürlich müssen sich die Mobilitätskonzepte in den Innenstädten ändern. Aber das geht nicht innerhalb kurzer Zeit. Das Umweltbundesamt ist deshalb für Hardware-Nachrüstungen von Dieselmotoren. Aber nicht erst, nachdem wir weitere drei Jahre darüber geredet haben. Software-Updates reichen nicht.

Wie könnte entschieden werden, wer nachrüsten muss?

Hier wäre eine Blaue Plakette hilfreich. So könnten solche Fahrzeuge nach bewährtem Muster gekennzeichnet werden, die einem strengen Emissionsstandard entsprechen und die deshalb auch in hoch belasteten Innenstädten zugelassen sind. Nachrüsten müsste dann nur derjenige, der auch in diese „blauen Umweltzonen“ einfahren will. Dann reden wir von ganz anderen Zahlen bei der Nachrüstung. Das ist aus der Sicht des Umweltbundesamt der beste und schnellste Weg zur Einhaltung des Grenzwertes.

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14 Kommentare

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  • Leider werden den Kommunen nicht ausreichend Mittel zur ordentlichen Stadtreinigung zur Verfügung gestellt. Seitdem der Dreck nur noch von einer Ecke in die Andere gepustet wird, ist die Belastung in den Kommunen spürbar gestiegen. Verursacher des Drecks mal ausser Acht gelassen. Lithiumakku sei Dank können wir die Emissionen/Dreck ja anderen in die Messstationen schicken und anstatt sich mit Kabeln rumzuärgern... ach, was reg ich mich eigentlich auf.

  • Zusammenhänge mit Lungen-, Herz-Kreislauf- und Diabeteserkrankungen? Feinstaub löst Diabetes aus? Oder wären die 10000 Menschen wegen der genannten Erkrankungen nicht vorzeitig gestorben. Die Studien sind schlicht und ergreifend ein Witz wenn man aus einer bestehenden Mulitimobidität einen Auslöser herauspickt.

  • Dass die Leiterin des Bundesumweltamtes noch nicht einmal im Nebensaz erwähnt, dass der wesentliche Auslöser gesundheitlicher Probleme der Feinstaub ist, kann nur durch Inkompetenz (unwahrscheinlich) oder als politisches Ablenkungsmanöver verstanden werden. Ja, es gibt eine Assoziation zwischen Stickoxid-Belastung und Gesundheit. Grund ist aber vor allem der, dass dort, wo Stickoxide emittiert werden, auch Feinstaub entsteht. Für Stickoxid in den genannten Konzentrationen gibt es wenig wissenschaftlichen Beleg für Toxizizät. Für sehr feinen Feinstaub sehr wohl. Und der entsteht nicht nur durch filterbare Abgase, sondern durch Reifenabrieb und anderes. Auch bei Benzinern. Auch bei Elektroautos. ..

    • @Ignaz Wrobel:

      Dass die Leiterin des Bundesumweltamtes noch nicht einmal im Nebensaz erwähnt, dass der wesentliche Auslöser gesundheitlicher Probleme der Feinstaub ist, kann nur durch Inkompetenz (unwahrscheinlich) oder als politisches Ablenkungsmanöver verstanden werden.

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      Trotz googleln fand ich keinen Hinweis auf die Kernkompetenz vob Frau W-F.

      "Bundes-Umweltamt Expertin" sagt wenig aus, das ist keine Qualifikation.

    • @Ignaz Wrobel:

      und der von Kondomen nicht zu vergessen! Wie kann man nur so einen Schwachsinn glauben

  • Seit Jahrzehnten sinkt die Belastung. Das Prinzip der ständig schärferen Abgasnormen funktioniert. Nur seit ein paar Jahren hat die Industrie dieses Konzept sabotiert. Jetzt müssen diejenigen ihren Kopf herhalten, die kein Geld für regelmäßigen Neuwagenkonsum haben. Dafür dürfte ihre Konsumverweigerung umwelttechnisch nicht weiter ins Gewicht fallen. Denn der Bestand der Altfahrzeuge reduziert sich regelmäßig.

     

    Ein Schelm, der böses dabei denkt.

     

    Nochwas zu den 10.000 Toten. Vor ein paar Monaten geisterten noch 40.000 NOx Tote durch die Medien. Wenn man die Studie mal liest, merkt man schnell, daß dort kein Zusammenhang zu dem im Straßenverkehr emmitierten NOx hergestellt wird. Wie sollte das auch gehen? Wenn wir uns jetzt mal vergegenwärtigen, daß in Küchen mit Gasherd bis zu 10x höhere NOx Werte zu messen sind, als auf den Straßen, dürfte sich der Verursachungsbeitrag des Straßenverkehrs schnell reduzieren.

     

    Was Frau Wichmann-Fiebig geschickt umgeht - der Fragesteller hilft bereitwillig - ist das Problem, daß die Messergebnisse größtenteils falsch ermittelt werden. Dabei geht es selbstverständlich nicht darum, daß an verkehrsreichen Straßen gemessen wird. Sondern es gibt Regeln, die Einzuhalten sind. So sind z.B. mindestens 25 Meter Abstand zum Fahrbahnrand verkehrsreicher Kreuzungen einzuhalten. Durch das nicht regelgerechte Aufstellen der Geräte wird das Ergebnis verfälscht und lässt eigentlich Keine Rückschlüsse mehr auf eine Grenzwertüberschreitung zu.

     

    Somit wird aus den Zigtausend Toten ganz schnell nur eine billige Masche.

    • @Oliver Omsen:

      Ja, und auf den Messstationen stehen Blitzer, damit die Dieseler langsamer dran vorbeifahren. Wieso Abstand zu" verkehrsreichen" Kreuzungen? Da kommen auch viele Radfahrer und Fußgänger vorbei die euren Dieseldreck einatmen dürfen. Tag für Tag, seit Jahrzehnten. Es ist schon bizarr, wie Autofahrer ihre Sucht verteidigen- zu Lasten vieler Tausend die vorzeitig sterben...

  • Autoindustrie und Bundesregierung gefährden Menschenleben, die einen aus Profitinteresse und die anderen aus Lethargie, Macht- und Gefallsucht.

     

    Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wird mit vollem Wissen der sogenannten Volksvertreter mit Füßen getreten. Eigentlich müßte man die Regierung wegen fahrlässiger Tötung in hunderttausenden Fällen verklagen, leider wird man Schwierigkeiten haben, zu beweisen, daß man betroffen ist, bis es zu spät ist...

    • @kditd:

      Noch nie Wein getrunken, den badischen oder aus Rheinhessen.

      Da gibt es riesige Flächen für die Alkoholproduktion. Dort könnten die Arbeitsplätze und Wohnsiedlungen entstehen und die Massen müssten nicht mehr in dieser Größenordnung in die Großzentren fahren.

      Klickt was? Wahrscheinlich nicht, so wie das ewige Gejammer um das Totschlagargument Gesundheit. Was bitte geht nicht auf die Gesundheit, die vernachlässigten Krankenhauskeime definitiv. Da können sie die Toten einzeln belegen.

      Aber die drastisch gesunkenen und kontinuierlich sinkenden Luftbelastungswerte. Schon mal an die 10 Millionen Holzöfen gedacht, die pro Stunde einer 100 Fahrt eines EU 3 Diesels Holz abfackeln. In zwei Wochen gibt es in Ingelheim wieder ein Festival mit einem riesigen stundenlangen Holzfeuer mitten in Stadt, diese doch so super Alternativen und jungen Leute.....

  • "Wir reden von jährlich rund 10.000 vorzeitigen Todesfällen durch die Überschreitung des NO2-Grenzwertes in Deutschland."

     

    Interessant wäre es, zu erfahren, ob dies hauptsächlich Menschen ab dem 67. Lebensjahr betrifft, quasi eine Alternativstrategie, um durch Nichtstun die Rentenprobleme zu lösen, ohne Rücksicht darauf, daß es auch dann das Problem der steigenden Gesundheitskosten stetig heftiger wird.

     

    Ich will nicht unterstellen, daß da irgendwelche Leute hinterlistige Bösartigkeiten pflegen. Aber immerhin gibt's ja auch noch den etwas anderen Musterbereich HartzIV, der dazu führt, daß langdauerndes Verweilen in dieser Situation für Betroffene ein früheres Ableben um 7 bis 10 Jahre bedeutet.

    • @wxyz:

      Unterstellen Sie ruhig...damit liegen Sie jedenfalls um Größenordnungen näher an der Wahrheit als all diese Dieselfetischisten. Und die Benzolfans sind auch nicht besser, nur das da eben kein Rechtsverstoßist, weil das Emmissionrecht in der Typzulassung" sauber" gebogen wurde...

    • @wxyz:

      Da 67jährige im Schnitt noch 20 Jahre leben und damit mehr Lebensgesamterwartung haben als jedes Neugeborenes, ist Ihre Paranoia nur albern.

       

      Man sieht ihn förmlich vor sich ... den Ministerialbeamten , der sich Strategien zum vorzeitigen Ableben von 67+jährigem ausheckt.

  • So schlimm kann es nicht sein. Millionen wollen in Berlin, Frankfurt, München wohnen.

    Millionen Touristen zieht es dort hin. Egal ist auch, was die Motive sind. Die meisten wegen des Entertainments in den illustren Städten, ob Tourist, Hartz 4 ler, Flüchtling, Shopper, Arbeitnehmer, Firmenchef...

    Und: Wer wohnt schon am Neckartor, direkt hinter der Fassade eines hohen Justizgebäudes. Auf der anderen Seite der 6 spurigen Einfallstraße ist der Luftschadstoffmesswert wesentlich niedriger. Da lachen die Griechen, die in 35 Meter Höhe neben ihren Messstationen wohnen.

    Langsam glaubt man, wir werden nur von Idioten regiert, egal welche Partei.

    • @Thomas Sauer:

      Bei den Idioten will ich jetzt nicht widersprechen, aber ganz sicher sind es Autofahrer aller Abgasvarianten, die ihr Statussymbol pflegen und schützen, egal wie viel Menschenleben , es kostet. Wenn ich die Argumente der Autofahrt hier lese, kriege ich die kalte Wut...