Expertin über Bundeshaushalt 2021: „Geschlechterpolitische Blackbox“

Am Freitag soll der Bundeshaushalt beschlossen werden. Politikwissenschaftlerin Regina Frey erklärt, ob Frauen dabei genug berücksichtigt werden.

Ärztinnen und Pflegerinnen stehen mit verschränkten Armen in einem Flur

Die Hälfte? Eher nicht: Ein Großteil des Bundeshaushalts fördert indirekt wohl vor allem Männer Foto: Javier de La Torre Sebastian via imago

taz: Frau Frey, am Freitag wird der Bundeshaushalt beschlossen. 2021 ist eine Neuverschuldung von fast 180 Milliarden Euro geplant. Wie viel davon kommt Frauen zugute?

Regina Frey: Das ist schwer zu sagen. Eine Analyse, wie der Haushalt gleichstellungspolitisch wirkt, fehlt bisher. Es gibt aber zumindest Hinweise darauf, dass das Konjunkturpaket, das einen wesentlichen Teil der Neuverschuldung ausmacht, keineswegs geschlechtergerecht ist.

Welche Hinweise sind das?

Die Bundesregierung fördert über das Konjunkturpaket viele Bereiche, deren Beschäftigungseffekte vor allem Männern zugutekommen, Wasserstofftechnologien zum Beispiel oder die Bauwirtschaft. Also: Die Baubranche bekommt Aufträge, Arbeitsplätze von Männern werden gesichert oder ausgebaut. Eine aktuelle Studie der Hochschule Fulda besagt, dass 73 Prozent des Konjunkturpakets auf Branchen und Bereiche entfallen, in denen mehrheitlich Männer beschäftigt sind. Nur 4,2 Prozent gehen an Branchen und Bereiche, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten.

Nur einzelne Bereiche des Haushalts wurden also geschlechterpolitisch analysiert – und das nicht einmal von der Regierung selbst?

Geschlechterpolitisch ist der Haushalt derzeit eine Blackbox. Zudem sind viele Bereiche, die konkret Frauen betreffen, beispielsweise im Konjunkturpaket, gar nicht enthalten. Zum Beispiel könnte die bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit durch eine Subventionierung haushaltsnaher Dienstleistungen immens entlastet werden, das kommt aber nicht vor. Alleinerziehende wurden zwar entlastet, aber nur mit etwa 0,9 Milliarden Euro. Allein die Förderung der Wasserstoffstrategie umfasst zehnmal so viel. Da stellt sich schon die Frage nach der Verhältnismäßigkeit.

Es gibt einige wenige explizit gleichstellungsorientierte Maßnahmen: die Gründung einer Gleichstellungsstiftung zum Beispiel. Hat das geschlechterpolitische Effekte?

geboren 1966, ist Politikwissenschaftlerin und Expertin für Gleichstellungs­politik und Gender Budgeting, also geschlechtergerechtes Haushalten.

Davon ist auszugehen. Aber das sind im Vergleich sehr geringe Summen. In vermeintlich geschlechtsneutralen Bereichen finden wir nicht selten im Grunde Männerförderung – das wird nur nicht so benannt. Bei der Förderung von Elektromobilität durch Kaufprämien wissen wir: Männer kaufen häufiger E-Autos und eher im hochpreisigen oder Dienstwagensegment. Gleichzeitig wäre wichtig, zu schauen, wofür die Gelder ganz konkret fließen.

Was meinen Sie?

Frauenministerin Franziska Giffey sagte, das Zukunftsprogramm Krankenhäuser führe zu einer Aufwertung der Arbeit von Pflegekräften. Wenn man sich aber anschaut, dass die Maßnahmen vor allem bauliche Investitionen betreffen und die direkten Fördereffekte wiederum in die Baubranche gehen, wird die Arbeit der Pflegekräfte nur mittelbar aufgewertet. Und einmalige Boni an Pflegekräfte haben eben keine langfristigen Effekte.

Der Gleichstellungsauftrag ist im Grundgesetz verankert. Wie kann es überhaupt sein, dass nicht klar ist, welche geschlechterpolitischen Auswirkungen der Haushalt hat?

Dass die Verteilung öffentlicher Gelder gesellschaftliche Wirkungen entfaltet und welche das sind, will die Bundesregierung bisher nicht wirklich wissen. Der Haushalt ist ein Spiegel der politischen Schwerpunktsetzungen, sie werden in Geld „übersetzt“. Es gibt erste zarte Ansätze, die Mittelverwendung auf Wirkungen zu analysieren und dabei auch Geschlecht zu berücksichtigen. Das ist aber noch in den Kinderschuhen.

Was wäre nötig?

Eine systematische Wirkungsanalyse des Haushalts: Alle Ressorts müssten schauen, welche Maßnahmen welchen sozialen Gruppen nützt, Frauen, Männern, Älteren, sozial Benachteiligten. Bisher gibt es einige wenige Ressorts, die das punktuell machen, das Bundesministerium für Arbeit etwa.

Die setzen europäische Fördermittel um, von denen Gleichstellung und Antidiskriminierung Bestandteil ist. Aber das müsste systematisch unter der Federführung des Finanzministeriums passieren. Meiner Ansicht nach betrifft all das zentrale Fragen von Gerechtigkeit und der Zielgenauigkeit staatlichen Handelns. Länder wie Österreich haben das früher erkannt.

Was macht Österreich besser als Deutschland?

Dort müssen die einzelnen Ressorts Gleichstellung in ihre Wirkungsziele integrieren. Im internationalen Kontext ist das längst nichts Exotisches mehr, rund ein Drittel der OECD-Länder setzt eine Form von Gender Budgeting um. Deutschland hinkt hinterher. Wozu gibt der Staat Geld aus, wie rechtfertigt er das sachlich? Das sind Fragen, die wir bei jedem Haushalt stellen müssen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.