piwik no script img

Experte über Energiewende„Rückstellungen verzocken geht nicht“

Norbert Allnoch, Leiter des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien, über neue Geschäftsfelder für Atomkonzerne und Kohle als Vorbild.

Wenn‘s nicht mehr raucht, müssen für die Unternehmen andere Geschäftsfelder her Foto: ap
Bernward Janzing
Interview von Bernward Janzing

taz: Herr Allnoch, zum Thema Atomrückstellungen kursieren viele falsche Vorstellungen. Erklären Sie doch mal.

Norbert Allnoch: Es wird gerne suggeriert, die AKW-Betreiber hätten Geld auf die hohe Kante gelegt. Aber das stimmt natürlich nicht, Rückstellungen sind keine Rücklagen. Eine Rückstellung ist eine Verbindlichkeit, eine Art Rechnung, deren Höhe und Fälligkeitszeitpunkt unsicher ist. Aber weil diese Rechnung von der Sache her absehbar ist, wird sie vorab verbucht und mindert damit den Gewinn des Unternehmens. Damit werden weniger Steuern fällig, ansonsten passiert nichts. Das verstehen viele Bürger allerdings falsch.

Wenn nun aber zum Beispiel RWE gut zehn Milliarden Euro an Atomrückstellungen in der Bilanz hat, müssen diesen absehbaren Kosten doch auch Werte gegenüberstehen, die Konzernbilanz muss schließlich ausgeglichen sein.

Genau das ist der Punkt. Den Rückstellungen stehen zwar beispielsweise Kraftwerke gegenüber, mit denen wird aber eigentlich das Geld verdient, um die Schulden bezahlen zu können.

RWE-Chef Peter Terium hatte das kürzlich erklärt mit Bezug auf die Braunkohlekraftwerke. Greenpeace empörte sich daraufhin, RWE habe seine Atomrückstellungen „verzockt“

… was natürlich Quatsch ist, Rückstellungen kann man nicht verzocken.

Bild: privat
Im Interview: Norbert Allnoch

56, ist Gründer und Leiter des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien in Münster (IWR). Das Wirtschaftsforum, das 1996 gegründet wurde, erhielt drei Jahre später den europäischen Solar-Medienpreis.

Aber sicher ist die Finanzierung der Entsorgung trotzdem nicht.

Natürlich nicht, aber RWE ist der falsche Adressat für die Kritik. RWE macht nichts anderes, als es die Bilanzierungsregeln vorgeben.

RWE in Zahlen

Klimaschutz. Die Bundesregierung will bundesweit Braunkohle-Anlagen mit rund 2,7 Gigawatt in eine Reserve überführen und später ganz vom Markt nehmen. RWE rechnet damit, dass etwa die Hälfte davon auf den Essener Konzern entfällt. Das bedeutet, dass RWE im Rheinischen Revier bis zum Ende des Jahrzehnts 10 bis 15 Prozent weniger Braunkohle verstromen wird.

Ergebnis. Der Gewinn von RWE aus dem Kraftwerksgeschäft geht zurück: Im ersten Quartal sank das betriebliche Ergebnis im Vorjahresvergleich um 23 Prozent auf 428 Millionen Euro.

Die aber bergen das Risiko, dass am Ende nicht mehr genug Geld da ist. Und da man von der Kohle ja auch möglichst zügig weg will, bleibt die Frage: Wo soll das ganze Geld dafür dann herkommen?

Die Atomkonzerne brauchen neue Geschäftsfelder, die so viel Geld abwerfen, dass sie die Summen bezahlen können, die in den Rückstellungen stehen.

Um noch mal zu RWE zurückzukommen: Der Börsenwert des Konzerns ist inzwischen auf 12 Milliarden Euro gefallen, das ist kaum noch mehr als die Höhe der Rückstellungen. Was passiert, wenn der Firmenwert unter die Höhe der Rückstellungen fällt?

Nichts, das hat nicht einmal symbolische Bedeutung. Der Börsenwert – auch Marktkapitalisierung genannt – wird von vielen Faktoren bestimmt, auch von subjektiven Erwartungen der Anleger und von der Psychologie. Für die Frage, ob die Entsorgung finanzierbar ist, spielt der Börsenwert keine Rolle, entscheidend ist die Liquidität, und die ergibt sich aus dem operativen Geschäft.

Die Erkenntnis, dass das bisherige System der Rückstellungen der Atomkonzerne nicht mehr tragfähig ist, kommt nun endlich in der Gesellschaft an. Was muss jetzt geschehen?

Sigmar Gabriel lässt ja gerade einen Stresstest machen, der zeigen soll, ob die Konzerne für die Entsorgungskosten gewappnet sind. Ich rechne fest damit, dass man im Anschluss die Finanzierung der Abrisskosten und der atomaren Ewigkeitslasten neu regeln wird.

Bei der Kohle sollen die Erträge der Firma Evonik die Ewigkeitskosten tragen, ist das ein Vorbild für die Atomwirtschaft?

Im Ansatz durchaus. Denn zur Finanzierung der Entsorgung müssen neue Geschäftsfelder her, die das Geld erwirtschaften. Man könnte darüber nachdenken, eine Firma zu gründen, die weltweit Atomkraftwerke zurückbaut. Hier könnte Deutschland sich frühzeitig als Marktführer etablieren. Mit den Erträgen könnte man dann die Entsorgung bezahlen. Der globale Markt dafür wird schließlich riesig sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Etwas vereinfacht möchte ich Folgendes klar stellen:

    Die Rückstellungen sind reales Geld, das fiktiven Rechnungen gegenübergestellt wird, damit der Gewinn rechnerisch kleiner ausfällt und Steuern gespart werden können. Anschließend kann dieses Geld sofort weiterverwendet werden für Managergehälter, Prämien, Investitionen etc., denn noch existiert ja gar keine Rechnung. Wird sie für das Rückbauen der AKW dann gestellt, heißt es: "Es ist leider nix mehr da." Und: "Wir brauchen ein neues Geschäftsfeld, damit wir das Geld für den Rückbau verdienen können.“

    Eigentlich müssten nach der Rückstellung sofort Rücklagen(!) in genau der Höhe der Rückstellungen gebildet werden, die nicht als Risikokapital verwendet werden dürfen, bevor die tatsächliche Rechnung gestellt ist. Dann wäre der Rückbau finanziell gesichert. So nicht!! Schick, wa?

     

    Ich bitte doch ganz ernsthaft darum, die „geschickte“ Sichtweise des von solaren Medien womöglich geblendeten Herrn Allnoch zu entlarven als das, was sie ist: Eine spöttische Bemerkung zu Bürgers Bild vom Staat. Wir leben in einer Scheinwelt aus Begriffen, die wir zu verstehen glauben, die aber durch Spezialisten aller Herkunft schon längst umgedeutet oder neugeschöpft wurden. Und es ist immer zu unserem Schaden, zum Schaden des Gemeinwohls und der Gesellschaft.

     

    Ralf Liebers

    Sankt Augustin

  • Kernkraftwerke rückbauen machen bereits Firmen. Das ist nichts neues.

    Allerdings ein sehr schmales Geschäftsfeld, weil weltweit nicht ab.- sondern aufgebaut wird. Wenn, dann baut man Reaktoren ab, um angleicher Stelle modernere Anlagen aufzubauen.

    Und ROSATOM bietet neuerdings sogar ein Rundum-Sorglos-Paket für Kernkraftwerke:

    Aufbau, Betrieb und Rückbau aus einer Hand. Kein Wunder, dass die einen vertrag nach dem anderen abschließen.

    Da muss China sich strecken, wenn sie Weltmarktführer im Export von KKWs werden wollen...