Experimental-Duo So Sner: Neues aus der traurigen Stadt
Eine Bassklarinettistin und ein Elektroniker sind So Sner. Ihr neues Album „The Well“ findet eigene Pfade zwischen Komposition und Improvisation.
Wir hören ein rasches Schlagen, Metall auf Metall oder Glas auf Glas. Was verrät der haarfeine, spitze Nachhall? Ist es doch eine Glocke? Wohl kaum, denn es hämmert bei hoher Schlagzahl unentwegt. Der Takt lässt keine Zeit zum Nachdenken, doch ein suchendes, an analoge Sonartöne erinnerndes Geräusch und ein Knistern legen etwas Wärme über das hämmernde Stakkato. Noch bevor ein Bassgeräusch die Musik grundiert, ertönt dissonantes Pfeifen, ein Saxofon? Es stellt sich als Klarinette heraus.
Ob mir So Sner, ein Duo, bestehend aus der österreichischen Bassklarinettistin Susanna Gartmayer und dem Düsseldorfer Elektroniker Stefan Schneider, diese Frage stellen würden? Vielleicht nicht, betiteln sie den beschriebenen Auftakt ihres zweiten Albums doch „That Welcome“ und nicht „Tonstruktur 1“.
Inmitten des Läutens, umschwirrt von vielerlei Geräuschen, erfindet die Klarinette in bassiger Ruhe eine nachtschimmernd introvertierte Melodie, will diese aber nicht ausarbeiten und schließt auf gespenstische Weise gar für einige Momente in kreischender Hektik. Ja, die Magie des Assoziativen, ließe sich süffisant lächelnd einwenden. Doch was wäre der Gewinn, die Instrumentals allein als formale Explorationen zu erleben?
Auf die Präsenz entsprechender Fragen verweist der Pressetext zum Album durchaus. Dass die Musik „konventionelle Gegensätze wie handgespielt versus programmiert, Komposition versus Improvisation oder analog versus digital“ hinter sich lässt, heißt es da. Es sind Fragen der Moderne, sie kursieren zum Teil seit 100 Jahren. So Sner wissen darum.
So Sner: „The Well“ (TAL/Morr Music/Indigo)
Vorpreschen als sinnierender Gestus
Susanna Gartmayer studierte in Wien am Konservatorium Jazzsaxofon und wirkt seitdem an diversen Schnittstellen experimenteller Musik. Stefan Schneider entwickelte mit Kreidler, To Roccoco Rot und solo als Mapstation vielfältige Ansätze neuer Klangwelten, geboren aus der Explosion elektronischer Musik in den frühen 1980ern. Bei ihm erscheint Vorpreschen jedoch stets als sinnierender Gestus in einer Suche nach Neuem.
Sein Gespür dafür, etwas in eine schwebende Bewegung zu versetzen, greift Susanna Gartmayer auf. In „New Sad City“ ersinnt sie über dem Kreisen aus zart angeschlagenem Gong und schleifenden Geräuschen einen Bolero. Sie gibt den Weg vor, den die Elektronik mit ihren Mitteln alsbald aufgreift, ihn umkreist, bereichernd, doch nicht verfremdend. Es entsteht eine konzentrierte Reise durch Empfindungen und Impressionen. „Lost Mot“, also „Verlorenes Motiv“ heißt eines der Stücke, zuerst mit gesenktem Kopf versonnen wandelnd, erwartet man eher einen verlorenen Pfad – ein düsteres Drama wie aus einem expressionistischen Stummfilm; doch nichts geht verloren, etwas wird abgelöst, einem neuen Gedanken gleich.
Das Konzentrierte ist So Sners Musik zu eigen, ihre Pfade zwischen Komposition und Improvisation verlieren sich nirgends in einem Potpourri vertaner Chancen. Es ist eine besondere Qualität des Duos, in seinen dichten Klängen Raum zum Weiterspinnen zu lassen. So erklingt darin die Dynamik musikalischer Kommunikation als traumgleiche Stimmung. In seiner arabischen Rhythmik erinnert „Bus Train Bus“ an jene Musik, die in späteren Postpunk-Tagen in Brüssel entstand, etwa die Alben, die Klarinettist Steven Brown mit dem Elektroniker Benjamin Lew aufnahm und die in der Album-Reihe „Made to Measure“ aufgingen. Diese präsentierte auf dem Höhepunkt der Postmoderne neue Musik, die in ihrer Souveränität den alten Fragen entsagte. Komposition oder Improvisation, formal oder abbildend? Solche Diskurse schienen 1984 als überkommen. Leider war dem offenbar nicht so.
Umso befreiender wirkt heute die Transparenz der sonischen Kammerspiele, die So Sner berückend in ein mal nur sanft glimmendes, dann wieder vollmondhelles Licht betten. Musik der Freiheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Wirbel um Schwangerschaftsabbruch
Abtreiben ist Menschenrecht
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner
Batteriefabrik in Schleswig-Holstein
„Der Standort ist und bleibt gut“
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen