Exklusion in Schleswig-Holstein: Kurklinik lehnt behindertes Kind ab
Eine auf das Down-Syndrom spezialisierte Kurklinik will eine Familie nicht aufnehmen, weil der Sohn das Down-Syndrom hat. Zu betreuungsintensiv, sagt die Klinik.
Drei Wochen Kur wünscht sich die Familie. Anfangs wollte die Krankenkasse nur für Mutter Sinje Schütt, Theo und die dreijährige Jette zahlen, Vater Heiko Sievert hätte zu Hause bleiben sollen. Im zweiten Anlauf bewilligte die Kasse die Kur für alle. Tipps, wo die Familie aus Lensahn in Schleswig-Holstein hinfahren könne, gab es nicht, „dabei gehört Beratung doch zum Auftrag der Kassen“, sagt Sozialpädagogin Schütt. Sie suchte selbst und fand die Klinik Nordseedeich in Friedrichskoog, rund 170 Kilometer entfernt.
Besonders attraktiv erschien ihr, dass die Klinik mit einem Schwerpunkt-Angebot für Kinder mit Down-Syndrom wirbt. Doch auf die Bewerbung folgte eine Absage: Wegen der „schweren Behinderung Down-Syndrom“ und dem „sehr hohen Betreuungsbedarf“, heißt es in den Lübecker Nachrichten.
Gabriele Letschert von der Geschäftsführung des Kurklinik-Verbundes, zu dem das Haus in Friedrichskoog gehört, will mit dem Verweis auf „Datenschutz“ keine weiteren Gründe nennen. Generell werde in jedem Einzelfall geprüft, ob das Haus das richtige sei, sagt sie. Unter anderem spielen die Indikation sowie der Pflegebedarf eine Rolle. Ein Grund für eine Ablehnung könne sein, dass das 150-Personen-Haus zu turbulent sei. Denn auch das Schwerpunkt-Programm für die Kinder mit Down-Syndrom finde nicht getrennt in einer eigenen Gruppe statt: „Die Integration steht im Vordergrund.“
Das Down-Syndrom ist nach dem englischen Arzt John Langdon Down (1828–1896) benannt.
1959 entdeckte der Franzose Jérome Lejeune als Ursache, dass das 21. Chromosom dreifach in jeder Zelle auftaucht. Grund ist ein Fehler bei der Zellteilung.
Früher galten Menschen mit Down-Syndrom als stark geistig behindert, ihre Lebenserwartung war kurz.
Nicht immer schädigt der Gendefekt das Gehirn: Der Spanier Pablo Pineda Ferrer ist der erste Europäer mit Down-Syndrom, der einen Universitätsabschluss gemacht hat. Der Lehrer ist auch als Schauspieler und TV-Moderator bekannt.
Da es in der Schwangerschaft festgestellt werden kann, werden weniger Kinder mit dem Syndrom geboren.
Für Schütt ist es vollkommen üblich, dass ein Kind mit der Diagnose „Down“ eine Pflegestufe erhält. „Sicher ist Theo in einigen Dingen langsamer als andere, aber er kann auch viel.“ Zu Hause besucht der Junge eine Regel-Kita. Auf den Vorschlag der Eltern, ihren Sohn in der Klinik vorzustellen, damit die sich ein Bild machen könne, gab es keine Antwort.
Gegenüber der taz verweist Gabriele Letschert auf die lange Erfahrung: „Das Team hat entschieden, dass eine andere Klinik in diesem Fall geeigneter ist.“ Es gebe bundesweit ausreichend Auswahl – allerdings deutlich weiter weg und nicht so offenkundig mit dem Schwerpunkt Down-Syndrom.
Sinje Schütt sucht also weiter. „Sehr mühsam, und dass, obwohl wir beide als Sozialpädagogen vom Fach sind. Schwer vorzustellen, wie andere Leute das schaffen sollen“, sagt sie.
Doris Blüdorn vom Landesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen, kennt die Probleme: „Oft ist die Erwartung an eine Kur groß, aber die Belastung im Vorfeld so hoch, dass es real kaum Erholung gibt.“ In vielen Kliniken sei die Unterstützung gerade für Kinder mit besonders großem Bedarf nicht so gut wie erhofft: „Viele Eltern haben es sich zu Hause mit ihrem Netzwerk besser eingerichtet.“ Dennoch verweist sie auf das Recht der Eltern auf eine Pause.
Tatsächlich würden heute weniger Eltern-Kind-Kuren abgelehnt als noch vor einigen Jahren: „Die Kassen haben eingesehen, dass Eltern tatsächlich sehr stark belastet sind.“ Schleswig-Holstein ist bundesweit einer der Spitzenreiter bei der Inklusion von Kindern mit Behinderung in Schulen und Kitas, so ein Gutachten des Erziehungswissenschaftlers Klaus Klemm im Auftrag des Bildungsministeriums. Dennoch, so bemängelt Blüdorn, würden Kinder mit geistiger Behinderung oft ausgeschlossen. „Es gibt die Angst vor ,Resteschulen’ für die Schwächsten.“
Dass allerdings eine Klinik ein Kind wegen seiner Behinderung ablehne, sei höchst ungewöhnlich, so Blühdorn. „Normalerweise traut sich das heute niemand mehr.“
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