Ex-Prostituierte Juliana José: "Die Freier sind auch nackt"

Neue Bordelle entfachen die Debatte über käuflichen Sex neu. Prostitution sei Rebellion gegens Patriarchat, sagt die Ex-Prostituierte Juliana José. Und kritisiert Alice Schwarzer.

"Männer werden nicht zu Monstern, wenn sie ins Bordell gehen": Rotlicht-Straße in Nürnberg Bild: dpa

taz: Seit in verschiedenen Städten neue Bordelle gebaut werden, regt sich Widerstand. Sie waren selbst Prostituierte, wie sehen Sie die Debatte?

Juliana José: Ich sehe das als Ausdruck von Doppelmoral. In Berlin etwa gibt es einen furchtbaren Drogenstrich, das hat offenbar keinen gekümmert. Und nun kommt dorthin ein Bordell, wo die Arbeitsbedingungen zumindest kontrollierbar sind - und da regt man sich auf.

Bordelle sind prinzipiell ok?

Das würde ich so nicht sagen. In Berlin gibt es in vielen Bordellen nicht genug Arbeitsschutz. Ein hochgelobtes Etablissement in Charlottenburg etwa macht zur Bedingung, dass Prostituierte ohne Kondom Oralverkehr anbieten. So etwas darf in Berlin sogar offen beworben werden. Das müßten Richtlinien schlicht verbieten. Bayern tut das, Berlin nicht.

Wenn Alice Schwarzer hier per Interviews den Finger in die Wunde legt, hat sie also Recht?

Sie verallgemeinert, und das ist unangebracht. Bei ihr gibt es keine Bordelle, die gut geführt werden und andere, die verbessert werden müssen. Prostituierte sind für sie immer Opfer. So ist die Wirklichkeit nicht.

Wie sieht die nach Ihrer Erfahrung aus?

Es gibt Prostituierte, die Opfer sind. Psychisch Kranke, Drogenkranke. Es gibt schreckliche Schicksale von Zwangsprostituierten. Aber es gibt auch noch viele andere Gruppen. Frauen, die aus materiellen Interessen diesen Beruf ergreifen, Studentinnen mit Nebenjob. Oder Frauen, die es einfach hochinteressant finden, verschiedene Sexualpraktiken auszuprobieren.

Warum haben Sie als Prostituierte gearbeitet?

Ich war neugierig, wie die Arbeit hinter den Kulissen wirklich ist und wollte natürlich auch Geld verdienen. Ich habe sehr genau geprüft, wo ich selbstbestimmt arbeiten kann. Dabei habe ich positive Erfahrungen gemacht, aber auch negative.

Welche waren negativ?

Dass etwa Männer oder Frauen Praktiken erzwingen wollten, die ich ablehnte. Oder dass sie Sex ohne Schutz haben wollten. Aber auch aggressive Kolleginnen, die nicht teamfähig waren. Wenn das ganze Selbstwertgefühl davon abhängt, dass man viele Gäste hat, kommt Neid auf, sobald eine andere mehr Glück hatte. Ich kenne auch ein Bordell, in dem eine regelrechter Busenkrieg ausgebrochen war: Jede wollte den größten haben. Man arbeitete nur noch für die OP, damit man danach noch besser arbeiten kann. Das war schon bizarr.

Nach einer Hamburger Studie sind 80 Prozent der Prostituierten traumatisiert durch Gewalterlebnisse oder Mißbrauch in der Kindheit. Das sind dann doch sehr viele Opfer. Hat Schwarzer dann nicht doch recht?

In einem Sperrbezirk wie in Hamburg herrscht eine ghettoartige Situation, eine Parallelgesellschaft. Da sammeln sich bevorzugt Menschen, die im "normalen" Leben gescheitert sind und bilden eine Subkultur. Eine landesweite Studie muss her, die auch teurere Callgirls oder Hausfrauen einbezieht. Die käme vielleicht zu anderen Ergebnissen.

"Glückliche Huren gibt es nicht", zitiert "Spiegel Online" diese Woche eine schwedische Betreuerin von drogenkranken Prostituierten. Die Schweden sind mit ihrem einzigartigen Verbot, Sex zu kaufen, sehr zufrieden: Es gebe viel weniger Menschenhandel.

Prostitution und Menschenhandel sind nicht verschwunden. Sie haben sich nur in die Nachbarstaaten verlagert. Übrig geblieben ist der "Bodensatz" an Huren und Gästen, die es sich nicht leisten können abzuwandern. Jetzt sind Huren als Anbieterinnen "illegaler Ware" erpressbar geworden und werden von den Kunden schlechter behandelt denn je. Und ihr gesellschaftlicher Status ist nun der einer Kriminellen, die mit illegalen Gut handelt. Das ist kein "Opferschutz", sondern Rück-Kriminalisierung durch die Hintertür. Bestrafen muss man Kunden von Zwangsprostituierten, nicht die von selbstbestimmten Prostituierten.

Ein Freier umgeht den mühseligen Abgleich von Bedürfnissen mit einer Partnerin. Stattdessen kauft er, dass eine Frau ihn bedient. Ist das nicht schon schräg?

Das ist so nicht pauschalisierbar. Männer werden nicht zu Monstern, wenn sie ins Bordell gehen. In so einer intimen Situation sind beide Partner nackt - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Prostituierte ist vielleicht sehr attraktiv, und dem Mann wird bewußt: ich bin blass und habe einen Hängebauch. Er ist nicht grundsätzlich in einer überlegenen Position, nur weil er das Geld hat.

Alice Schwarzer meint dagegen mit Kate Millett: Ein Freier kauft sich nicht nur Sex, sondern auch Macht. Und deshalb sei Prostitution ein Verstoß gegen die Menschenwürde.

Wenn die Frau mündig ist und sich selbst entschlossen hat, wo ist der Verstoß gegen die Würde? Unter den Freiern gibt es genauso unterschiedliche Typen wie unter den Prostituierten. Die meisten kommen, weil sie gerade keine Partnerin haben. Es gibt die Abenteurer, die etwas ausprobieren wollen. Viele haben grundsätzlich ein Problem, eine Partnerin zu finden. Deshalb gibt es auch zum Beispiel Sexualassistenten für Behinderte. Es gibt auch eine Gruppe, die Frauen erniedrigen möchte. Aber diese Menschen sind psychisch krank und repräsentieren nicht den gesamten Kundenkreis.

Das Bordell wäre nach ihrer Darstellung vor allem eine soziale Institution. Ist nicht das eher ein patriarchaler Mythos?

Bordelle sind Orte, an denen zwei mündige Erwachsene Geld gegen Sex austauschen. Das wird von Feministinnen wie Alice Schwarzer geleugnet. Sie vertritt einen Oberschichten-Feminismus. Darin wirkt die verordnete Keuschheit der bürgerlichen Frau aus vergangenen Jahrhunderten nach. Unehelicher Sex machte aus ihr eine "gefallene Frau". In den unteren Schichten dagegen war Prostitution ein legitimes Mittel zu überleben und Prostituierte waren sozial eingebunden. Wenn Schwarzer nun eine Soziologin zitiert, die Prostituierte als "sozial tote Frauen" und Freier entsprechend als "Nekrophile" bezeichnet, reproduziert sie diesen Oberschichten-Blick. Dass Frauen für Sex Geld nehmen, ist eher eine Rebellion gegen das Patriarchat, das Männer ja uneingeschränkten Zugang zu Sex sichern möchte.

Und wenn Männer Zuhälter dafür bezahlen, dass sie Frauen benutzen, ist das auch nicht patriarchal?

Das Wort Patriarchat verschleiert, dass alle Menschen gerne Macht ausüben. Es gibt viele weibliche Zuhälter. Und es gibt auch viele männliche Prostituierte. Wenn eine Prostituierte von einem Zuhälter ausgebeutet wird, ist das eine Form der Sklaverei, die geahndet werden mus, genauso wie andere Formen von Zwangsarbeit.

Ist Prostitution für Sie also ein ganz normaler Beruf, in den die Arbeitsagentur jede und jeden vermitteln kann?

Prostitution ist kein normaler Beruf sondern ein Spezialberuf, für den man spezielle Voraussetzungen mitbringen muss. Das kann man nicht jedem Menschen zumuten. Das tun die Arbeitsagenturen in der Regel auch nicht. Die sind eher sehr verunsichert, wenn jemand mit diesem Berufswunsch kommt.

Ist es ein männliches Phänomen, sich Sex zu kaufen? Oder ein menschliches, auf das die Frauen auch noch kommen werden?

Frauen haben auch schon immer Sex gekauft oder Liebhaber gehalten, wenn sie es konnten. Historisch gesehen gingen Frauen, die offiziell keine Sexualität haben durften, natürlich diskreter damit um. Ich habe aufgehört, an typisch männliche und weibliche Sexualität zu glauben.

Nun ist aber die sexuelle Revolution auch schon mehr als 30 Jahre alt. Und immer noch klagen die Callboys, dass das Geschäft nicht gut läuft.

30 Jahre sind nichts. Wir heute sind noch geprägt von unseren Müttern, die sexuell überhaupt nicht befreit waren. Ich sehe in meinem Umfeld immer mehr Frauen, die Interesse an sexuellen Experimenten haben.

Viele Menschen wollen keine Bordelle in ihrer Nachbarschaft haben. Verstehen Sie das?

Die Leute assoziieren kaputte, drogensüchtige Frauen, die kaputte, brutale Männer anlocken. Das ist ja in der Regel nicht so. Da wollen alle Beteiligten ein Höchstmaß an Diskretion. Mit anderen Worten: Die Menschen haben vielleicht schon ein Bordell in der Nachbarschaft, ohne es zu wissen.

Was würden Sie tun als Stadträtin tun, wenn neue Bordelle eröffnen wollen?

Ich würde Bordelle generell stärker kontrollieren, als es in Berlin der Fall ist. Ich finde es unverantwortlich, dass jeder Bauarbeiter einen Helm tragen muss, aber Prostituierte ohne Kondom arbeiten und das auch offen bewerben dürfen.

Sie plädieren für mehr Regulierung?

Ja. Wir brauchen eine Prüfung wie bei der Gaststättenzulassung. Und ausländische Prostituierte brauchen eine geregelte Arbeitserlaubnis wie die Erdbeerpflücker auch. Damit wäre Schleppern viel Wind aus den Segeln genommen.

Dagegen wehren sich viele Prostituierte. Sie wollen lieber anonym bleiben.

Da wirkt die Angst vor gesellschaftlicher Repression noch nach. Mit dem neuen Prostituionsgesetz von 2001 ist schon viel erreicht worden. Aber es ist nur ein Anfang. Prostituierte haben aber nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Das ist vielen noch nicht so bewusst.

Sie haben fünf Jahre als Prostituierte gearbeitet. Warum sind Sie wieder ausgestiegen?

Mir wurde die Prostitution zu raumgreifend. Ich wollte meine anderen Projekte stärker verfolgen und meine Prostitutionserfahrungen einbringen. Das kann man nur mit einer gewissen Distanz. Als Prostituierte ist man eine große sexy Illusion und ich wollte gern wieder zum kleinen unscheinbaren Ich zurück, das ich eigentlich bin.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH

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