Ex-McKinsey-Beraterin im Ministerium: Von der Leyens rechte Hand
Sie ist Ursula von der Leyens wichtigste Mitarbeiterin: Katrin Suder. Seit einem Jahr ist sie Staatssekretärin im Verteidigungsministerium.
Wir haben noch nicht am Tisch Platz genommen, als mein Blick an einem Wandregal in ihrem Büro hängen bleibt. Irgendetwas irritiert mich, aber es geht in der Fülle anderer Eindrücke unter. Katrin Suders Auftritt hat etwas sympathisch Studentisches: intellektuell und sprachlich schnell, witzig, mit einer lebhaften Mimik, die von ihrer strengen Brille nicht wirklich gerahmt werden kann. Die etwas hektisch wirkende Gestik der schlaksigen 43-Jährigen steht in leichtem Kontrast zu einer lauten, klaren Stimme. Man lacht zusammen. Der Einstieg scheint für beide Seiten leicht.
Dabei liebt Katrin Suder solche Gespräche nicht. Da rede man so harmlos in vermeintlich guter Atmosphäre drauflos – und habe keine Kontrolle darüber, welches Bild dann von einem gezeichnet werde, obwohl das großen Einfluss auf das eigene Leben haben könne. Vor allem geht es ihr um „das Bild, das meine Kinder vielleicht irgendwann nachlesen werden“. Sowenig ich darüber erstaunt bin, dass sie ihre Privatsphäre schützen will, so sehr überrascht mich, wie weit ihr kontrollierender Blick in die Zukunft geht. Die Kinder sind ein und vier Jahre alt. Erst im späteren Verlauf wird mir klar, dass der Kinderblick die stumme Subdominante des ganzen Gesprächs bildet.
Auf dem Regal stehen Miniaturmodelle von Flugzeugen und Panzern. Wenig verwunderlich bei jemandem, der für die Beschaffung militärischer Ausrüstung zuständig ist. Der komische Effekt ist, dass es auf mich anfangs wie ein Ensemble von Kinderspielzeug gewirkt hat. Ob es damit zusammenhängt, dass die Staatssekretärsstelle im Bundesverteidigungsministerium von einer alleinerziehenden zweifachen Mutter bekleidet wird? Sind es nur meine typisch männlichen Vorurteile, die aus der Mustersammlung todbringender Waffen eine Spielzeugidylle machen?
An Vorurteile aus dieser Schublade ist Katrin Suder gewöhnt. Ihr Lebensweg hat sie immer wieder durch klassische Männerdomänen geführt. Sie zählt mir die Stationen auf: als Schülerin im ersten gemischten Jahrgang einer Jungenschule in Mainz, als Studentin der Physik im konservativen Aachen und danach in der ebenfalls männlich dominierten Beratungsbranche.
Vor 70 Jahren berieten sich auf der Potsdamer Konferenz Sowjets, Amerikaner und Briten über die Zukunft Deutschlands. Heute leben viele ihrer Enkel in Berlin. Drei von ihnen haben wir getroffen. Das Gespräch lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. Juli 2015. Außerdem: Lange Beine, pralles Dekolleté? Alles von gestern. Die neuen weiblichen Schönheitsideale sind die Oberschenkellücke und die Bikini-Bridge. Über den Wahn von Selfie-Wettbewerben im Internet. Und: In Kabul haben sich Witwen einen eigenen Stadtteil gebaut. In der Gemeinschaft gewinnen sie Respekt zurück. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Zwei Seiten der familiären Vorgeschichte
Dieser Teil ihrer Karriere ist mittlerweile ebenso gut bekannt wie ihr öffentlich gemachtes Leben als Lesbe. Warum, frage ich mich und dann sie, lässt sie dabei gerade den Teil aus, der außergewöhnlich ist? Noch während des Physikstudiums gründet sie ein studentisches Theater, agiert als Schauspielerin und Regisseurin. Katrin Suder besitzt das Alleinstellungsmerkmal, neben dem Doktortitel in Physik einen Abschluss in Theaterwissenschaften erworben zu haben. Sie kommentiert ihre Auslassung achselzuckend: Bachelor – nicht besonders erwähnenswert. Theater – das ist die andere Seite der harten Arbeiterin: spielen, für die Zeit des Auftritts ganz da und zugleich eine andere sein.
Zwei Seiten hat auch ihre familiäre Vorgeschichte. Der Vater Physiker, die Mutter Germanistin. Ist die Tochter am Ende eine, die brav den vorgegebenen Lebenslinien folgt; eine, die es allen recht machen möchte?
Nach dem Studium scheint das zunächst nicht zu gelingen. Bewerbungen im Bereich ihrer Kernkompetenzen scheitern. Dafür Einstieg beim Consultingriesen McKinsey und ein rasanter Aufstieg in die Chefetage. Dann das Angebot Ursula von der Leyens, die sie aus der Beratungstätigkeit für das damals von ihr geführte Arbeitsministerium kennt. Seit einem Jahr hat Katrin Suder den Topjob im Verteidigungsministerium. Als Geheimwaffe gegen die seit Jahrzehnten gepflegte Schlamperei in der Beschaffungspraxis. Einige munkeln, von der Leyens politisches Schicksal hänge davon ab, ob sie diesen Missstand in den Griff bekommen kann. Dann läge die Zukunft der Überfliegerin mit dem Kanzlerinnentraum nicht unwesentlich in der Hand von Katrin Suder, einer Frau ohne Parteibindung und politischen Ehrgeiz. Mindestens in einem Punkt hat die Ministerin ein gutes Gespür bewiesen. Katrin Suder ist – neben ihren anerkannten Qualitäten als Macherin – zweifellos loyal.
In der Zeit ihres Theaterengagements war indes ausgerechnet eine politisch Illoyale ihre Lieblingsrolle: Antigone. Die tragische Tochter König Ödipus’, die in Konflikt mit der Obrigkeit gerät, weil sie nicht bereit ist, die archaischen Werte der Familie zu opfern, ist eine Rebellin aus Treue. Traditionelle Werte sind auch Katrin Suder sehr wichtig. Die Chance, dazu beizutragen, auch in Zukunft ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu garantieren, sei dafür ausschlaggebend gewesen, den Stressjob als Rüstungsstaatssekretärin anzunehmen. Das macht sie stolz.
Einleuchtende Problemlösungsstrategie
Ich überlege, wie es bei ihr mit der anderen Seite ihrer Lieblingsheldin aussieht – und scheitere daran, sie mir als Rebellin vorzustellen. Als ich es ausspreche, ernte ich eher kleinlauten Protest. Fast bin ich erstaunt, dass sie an dieser Stelle nicht sagt: „Es kommt auf die Perspektive an.“ Denn dieser Satz bildet den cantus firmus des gesamten Gesprächs. Der ins Prinzipielle gewendete Perspektivismus ist Katrin Suders persönliche „Unschärferelation“, der regulative Vorbehalt, mit dem sie alle Dinge des Lebens zu bewerten scheint: Man muss sie von mehreren Seiten betrachten. Als Physikerin habe sie gelernt, „Probleme zu nehmen, sie zu zerhacken, das Einzelproblem zu lösen, sie zusammenzusetzen und in dem Zusammensetzen die Komplexität zu berücksichtigen“. Eine einleuchtende Problemlösungsstrategie. Suder ist strikt am Erfolg, am „outcome“ orientiert. Aber auch hier kommt es auf die Perspektive an.
Schließlich kann man die Dinge auch perspektivisch schönreden. Weniger in der Welt der Zahlen, Statistiken und messbaren Effektivität. Aber im Leben. Ist eine Niederlage wirklich eine – kann man es nicht auch anders sehen? Wie steht es mit Erfahrungen des persönlichen Scheiterns? Klar gebe es so was, vor allem im Privaten. Aber: „Gescheitert klingt so nach Riesendrama und Katastrophe.“ Sie zieht die Formulierung vor: „Da hat was nicht funktioniert, was ich mir anders vorgenommen habe.“ Ihr schnelles Sprechtempo nähert sich nun der rhetorischen Schallgrenze: Soll etwas weggeredet werden?
Typisch Suder, könnte man meinen. Stattdessen packt mich genau hier unerwartet ein Gefühl der Rührung. Etwas im Ton der Rede berührt mich: Es klingt ebenso funktionalistisch wie – kindlich. Fast trotzig. Fuß aufstampfend. Katrin Suder möchte nicht nur möglichst alles im Griff haben, sondern auch vermeiden, Kränkungen sichtbar werden zu lassen. Auch dafür steht die stets koexistente „andere Perspektive“. Deren Grundmodell – und plötzlich bekommt meine initiale Spielzeugirritation Farbe – ist der kindliche Blick. Der ebenso unbestechlich wie magisch sein kann. Wir kennen es alle aus der eigenen infantilen Erfahrung: Man zwinkert, und die Welt ist anders.
Die supertaffe Problemlöserin, die heute über Milliardenprojekte entscheidet, kennt es natürlich auch. Nur werde ich das Gefühl nicht los: Sie weiß es – und sie weiß es nicht. Wahrscheinlich würde sie das nicht verstehen. Aber es gibt, das ist mein Eindruck, bei ihr ein ausgeprägtes Gefühl für die Doppelbödigkeit des Lebens. Es macht Suders Charme, ja wahrscheinlich sogar einen Teil ihres Erfolgs aus. Sie ist, mit naturwissenschaftlicher Logik ausgestattet und allen Consultingwassern gewaschen, dazu fähig, die Realität doch immer wieder auch aus einer konterkarierenden kindlichen Perspektive zu sehen. Ihre Besorgnis darum, wie ihre Kinder einmal „ihr Bild“ wahrnehmen könnten, enthält projektiv den eigenen Blick auf die Welt – und den auf sich selbst. Was bedeutet die damit gegebene Ambivalenz für sie?
Die „Sendung mit der Maus“
Diese Perspektive passt nicht in ihr nach außen so sorgsam abgedichtetes Selbstdarstellungssystem. Entsprechend erstaunt bin ich, als sich überraschend doch ein Türchen für meine Zweifel auftut. Es habe für sie einen Traumjob gegeben, den sie nicht bekommen habe: die „Sendung mit der Maus“ zu machen. Da wäre alles zusammengekommen: die Physik, ihre Theater- und Filmqualifikation. Und die Kinder, ergänze ich. Sie nickt.
Eine unbeantwortbare Frage, was es für Katrin Suder bedeutet hätte, diesen Wunschjob zu bekommen; was es mit ihr, aus ihr gemacht hätte. Wohl kaum eine Staatssekretärin. Aber vielleicht die Person, die sie auch immer gern (gewesen) wäre: ein Satz mit vielen relativierenden Satzzeichen, Modalitäten und Tempora. Er passt zu Katrin Suder – jedenfalls zu ihrer einen Seite.
Im Moment lebt sie die andere: die taffe, entschiedene, macherische. Einmal mehr spielt sie mit ihren Möglichkeiten, Dinge zu bewegen. Anstrengende Regiearbeit. Sie wird, daran habe ich keinen Zweifel, auch diesmal ihren Job erfolgreich erledigen. Aber es gibt eine natürliche Grenze dafür, was daraus folgt – es sei denn, sie würde in die Politik wechseln. Insofern wird für sie am Ende der Legislaturperiode eine entscheidende Frage stehen: nicht was, sondern wer sie sein möchte. Aber auch das ist natürlich eine Frage der Perspektive.
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