Ex-Kulturstaatsminister stützt Studierende: "Die Politik spielt auf Zeit"

Das Zulassungssystem der Studiengänge ist verfassungswidrig, sagt Ex-Kulturstaatsminister Nida-Rümelin. Die Studierenden sollten sich nicht mit Versprechungen abspeisen lassen, warnt er.

"Der Druck muss aufrechterhalten werden": Studenten und Schüler in Freiburg. Bild: dpa

taz: Herr Nida-Rümelin, zehn Jahre nach Einführung des Bachelors sollen die Akkreditierungsagenturen nun seine Studierbarkeit prüfen. Ist damit das Bachelor-Problem gelöst?

Julian Nida-Rümelin: Die Akkreditierungsgremien sind Teil des Problems der Bachelorstudiengänge. Sie werden sicher nicht Teil der Lösung werden. Das Problem ist ja dadurch entstanden, dass das Bachelorstudium sehr stark normiert und verschult wurde. Die Akkreditierungsagenturen haben dies auch noch befördert und nicht etwa gebremst. Ich bin sogar der Meinung, dass die Akkreditierung verfassungswidrig ist - jedenfalls so, wie wir sie derzeit in Deutschland handhaben.

Warum das?

Die sehr weitgehenden Befugnisse von Akkreditierungsrat und Akkreditierungsagenturen sind meines Erachtens unvereinbar mit der in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierten Freiheit von Forschung und Lehre. Die Träger dieser Freiheit sind die Professoren und die Studenten an den Fakultäten, nicht privatwirtschaftlich verfasste Akkreditierungsagenturen.

Kann der Bachelor bleiben?

Ich glaube nicht, dass wir zum Status quo ante zurückkehren können. Vor zehn Jahren lag vieles im Argen. Insbesondere die geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiengänge waren zu wenig strukturiert. Für einen großen Teil der Studierenden wurde das zunehmend zu einem Problem, ausweislich der hohen Abbrecherquoten.

Das Problem der Bolognareform liegt darin, dass in ganz Europa, speziell in Deutschland, Studiengänge konzipiert wurden, die im Grunde nicht an die Unis passen. Sie sind eine Fortsetzung des Schulbetriebs. Studenten kommen nicht zum Selbststudium und können die Uni nicht mehr wechseln - ganz abgesehen davon, dass für Jobs neben dem Studium und Elternschaft keine Zeit mehr ist.

Was wäre die Alternative?

Was man jetzt noch erreichen kann, ist eine gründliche Reform innerhalb des Bologna-Prozesses. Da gibt es viele Möglichkeiten, bei denen aber auch die Wissenschaftspolitik mitmachen muss. Nicht durch solche Albernheiten wie ein Nachjustieren der Studierbarkeit durch den Akkreditierungsrat. Das gehört zurückverlagert an die Universitäten. Dort ist die Kompetenz, da sind die Studierenden, da können sie mitwirken.

Die Wissenschaftspolitiker müssen außerdem endlich verstehen, dass das Betreuungsverhältnis verbessert werden muss. Wir haben an den deutschen Unis oft zehnmal so viele Studierende pro Professor wie an amerikanischen Hochschulen.

Ist der Beschluss im Akkreditierungsrat also Mogelpackung statt Korrektur?

Warten wir mal ab, wie sich das weiterentwickelt. Ich habe ein bisschen den Verdacht, in der Wissenschaftspolitik spielen viele auf Zeit und setzen darauf, dass der Studentenprotest rasch zusammenbricht und man im Grunde mit minimalen Korrekturen so weitermachen kann wie bisher. Der Bericht, den die Bundesbildungsministerin vor wenigen Wochen dem Kabinett zum Stand des Bologna-Prozesses vorgelegt hat, ist ein Dokument der Realitätsverweigerung. Wir können nicht Generationen von Studenten verheizen, wie das gegenwärtig passiert.

Was sollen die Studierenden Ihrer Meinung nach jetzt tun?

Die Studierenden sollten sich nicht mit irgendwelchen vagen Versprechungen abspeisen lassen. Der Druck muss aufrechterhalten werden. Nur die Studierenden werden von der Wissenschaftspolitik ernst genommen, weil sie letztlich für 2 Millionen Wählerstimmen stehen.

INTERVIEW: FRANZISKA LANGHAMMER

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