Ex-Hoffnungsträger plant Comeback: Unerwünscht und hartnäckig

Bülent Çiftlik war Parteisprecher und fiel in Ungnade. Jetzt will er für die SPD in die Hamburger Bürgerschaft. Dafür hat er Mitglieder geworben – aber die dürfen nicht rein.

Kommt immer wieder: Bülent Çiftlik lässt sich von seiner Partei nicht einfach abschütteln. Bild: dpa

HAMBURG taz | Es geht hier um die großen Fragen: Wie demokratisch ist es, eine Partei durch den massenhaften Eintritt von Mitgliedern, die einen Kandidaten unterstützen, zu entern? Wie demokratisch ist es, als Partei einen Aufnahmestopp für Neumitglieder zu verhängen, damit gefestigte Mehrheiten nicht ins Wanken geraten? Diese beiden Fragen beschäftigen fünf Monate vor der Hamburger Bürgerschaftswahl die SPD in Hamburg-Altona – und vermutlich bald auch die Gerichte.

Der Hintergrund: Ex-Parteisprecher Bülent Çiftlik, bei der Hamburger SPD in Ungnade gefallen, will im Hamburger Wahlkreis 3 (Altona) auf der SPD-Liste für die Bürgerschaft kandidieren. Um eine Wahl-Chance zu haben, mobilisierte der Deutschtürke rund 80 Bekannte, die meisten von ihnen ebenfalls mit türkischem Migrationshintergrund, zum Kollektiveintritt in die Altoner SPD.

Die regierte prompt auf die „feindliche Übernahme“. Unter Leitung des Kreisvorsitzenden Mathias Petersen und in Absprache mit dem Bürgermeister Olaf Scholz beschloss die Altonaer SPD, keinem einzigen Eintrittsgesuch zuzustimmen. Sie verhängte so einen generellen Aufnahmestopp bis zum kommenden Samstag, an dem die Wahlliste aufgestellt werden soll. Begründen muss sie das vorerst nicht.

Das Kalkül ist klar: Etwa 100 bis 125 Altmitglieder werden von Kreischef Petersen auf der Wahlversammlung erwartet. 80 neu hinzukommende Çiftlik-Anhänger würden da schon zu knappen Abstimmungsergebnissen führen und den Wahldurchmarsch der langjährigen Altonaer Bürgerschaftsabgeordneten Gabriele Dobusch und Arno Münster, die für die aussichtsreichsten Listenplätze vorgesehen sind, ins Wanken bringen.

Bülent Çiftlik (42) ist Sohn türkischer Einwanderer, die 1963 nach Deutschland kamen. Er wurde in Hamburg geboren und machte dort sein Abitur.

2001 wurde Çiftlik politischer Referent, 2004 dann Sprecher der Hamburger SPD.

Bei der Bürgerschaftswahl 2008 konnte er sich aufgrund des neuen Landeswahlrechts und eines engagierten Wahlkampfs in Hamburg-Altona durchsetzen, obwohl ihn seine Partei nur auf Listenplatz 4 gewählt hatte.

Nachdem die Staatsanwaltschaft 2009 gegen Çiftlik Ermittlungen wegen des Verdachts der Vermittlung einer Scheinehe aufgenommen hatte, wurde er als Parteisprecher beurlaubt.

Im Juni 2010 wurde er zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt. SPD-Landeschef Olaf Scholz forderte Çiftlik daraufhin auf, sein Mandat niederzulegen und die Partei zu verlassen. Çiftlik verließ zwar die Fraktion, behielt aber Parteibuch und Mandat.

2010 wurde Çiftlik aus der SPD ausgeschlossen. Dagegen klagte er vor dem Berliner Kammergericht und bekam Recht.

Im März 2011 wurde Çiftlik im Zusammenhang mit Vorwürfen, Anstiftung zur Urkundenfälschung begangen zu haben, verhaftet.

Nach mehr als einjähriger Hauptverhandlung setzte das Hamburger Landgericht am 6. Juni 2013 das Verfahren aus, weil Çiftliks Ausreise aus Indien nach einem Verkehrsunfall von den dortigen Behörden verhindert worden war. Einen Wiederaufnahmetermin gibt es noch nicht.

Selbst ein hinterer Listenplatz könnte Çiftlik aufgrund des Hamburger Wahlrechts in die Bürgerschaft bringen, da viele Direktstimmen der Wähler ihn in der Liste nach oben katapultieren würden.

Eine Kandidatur Bülent Çiftliks, so heißt es parteiintern, sei „das Schlimmste, was uns im Wahlkampf passieren könnte“. Da gegen Çiftlik ein Verfahren vor dem Hamburger Landgericht anhängig ist, weil dieser eine Scheinehe zum Zwecke der Aufenthaltserlangung eingefädelt und im nachfolgenden Strafverfahren Zeugen zu Falschaussagen überredet und Beweismaterial gefälscht haben soll, wurde Çiftlik in der SPD zur unerwünschten Person erklärt.

Nach seiner erstinstanzlichen Verurteilung, die bis heute nicht rechtskräftig ist, wurde Çiftlik aus der SPD-Bürgerschaftsfraktion, der er bis 2010 angehörte, ausgeschlossen. Ein nachgeschobenes Parteiausschlussverfahren aber wurde von den Gerichten kassiert. So blieb Çiftlik Sozialdemokrat und bastelt nun an seinem politischen Comeback in der Partei, deren Funktionäre mehrheitlich einen großen Bogen um ihn machen.

Mit dem verhängten Aufnahmestopp, der jede erfolgreiche Kandidatur im Ansatz verhindern soll, will Çiftlik sich aber nicht abfinden. „Wir gehen davon aus, dass Çiftlik versuchen wird, die Wahlversammlung juristisch anzufechten“, sagte Petersen, der sich mit dem ehemaligen Bezirksamtsleiter Hans-Peter Strenge einen erfahrenen Verwaltungsjuristen als Versammlungsleiter gewonnen hat, schon vor Tagen.

Und er sollte Recht behalten. Am gestrigen Mittwoch hat Çiftlik einen Eilantrag beim Hamburger Verwaltungsgericht gestellt, die Wahlversammlung zu verschieben, da die SPD ihn zu dieser Versammlung nicht eingeladen habe.

Auch einige der abgelehnten SPD-Eintrittswilligen überlegen, das Verwaltungsgericht anzurufen, um die ihnen versagten Mitgliederrechte einzuklagen. Ein genereller Aufnahmestopp für Neumitglieder, so der Kern ihrer Argumentation, sei verfassungswidrig. Schließlich sei es legitimes Anliegen eines Parteieintritts, Einfluss auf Programmatik und Personal der Partei zu nehmen.

Dass das Verwaltungsgericht dem Eilantrag Çiftliks zustimmt, gilt als unwahrscheinlich. Doch selbst wenn die Listenaufstellung so verläuft, wie vom Altonaer SPD-Kreisvorstand geplant, und vor Gericht auch später nicht wegen des Aufnahmestopps gekippt wird, ist die Altonaer SPD das Problem Çiftlik nicht los. Auf Dauer wird sie den Eintrittswilligen ihre Mitgliederrechte kaum versagen können. Bleiben die aber auf Dauer in einer Partei, die sie nicht will, geht in der Altonaer SPD in Zukunft ohne Bülent Çiftlik nichts mehr.

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