Ex-Shooting-Star der Hamburger SPD: Falsche Zeugen, fingierte Beweise

Seit sieben Jahren wird gegen Bülent Çiftlik vor Gericht verhandelt. Am Anfang ging es nur um eine Scheinehe. Inzwischen geht es um viel mehr

Bülent Ciftlik mit seinen VerteidigerInnen Gabi Heinecke und Florian Melloh Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG | taz Man kennt sich. Seit Jahren. Wie bei einem Familientreffen geht es zu. Alle sind gekommen: Bülent Çiftlik und seine beiden VerteidigerInnen, die Richter der 6. Großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts, die Pressevertreter, die das Strafverfahren seit Anfang des Jahrzehnts verfolgen und natürlich Michael Elsner, der Staatsanwalt mit einer Vorliebe für schneeweiße Fliegen als Halsschmuck.

Es ist Elsners großer Tag. Seit mehr als sieben Jahren ermittelt er gegen den ehemaligen SPD-Politiker Çiftlik. Nun darf er an diesem Montag plädieren, die Früchte seiner Arbeit im Raum 390 des Hamburger Staatsjustizgebäudes zusammentragen und strafrechtlich bewerten. Der Auftakt im großen Finale eines Strafverfahrens, das zu einer beinahe unendlichen Geschichte geworden ist.

Elsner zeichnet das Bild eines Politikers, der einen kleinen Fehler ungeschehen machen wollte und in der Folge viel größere Fehler beging. Der kleine Fehler war, dass Çiftlik 2009 seine Ex-Geliebte Nicole D. zu einer Scheinehe mit seinem türkischen Freund Kenan T. überredete, um diesem einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Die Sache flog auf, weil ein Sachbearbeiter misstrauisch wurde.

Dieser Verstoß gegen das Ausländerrecht hätte Bülent Çiftlik, der damals gerade Bürgerschaftsabgeordneter der SPD geworden war, einen Strafbefehl und wohl einen kleinen Karriereknick beschert. Für viele Genossen wäre sein Vergehen nur ein Kavaliersdelikt gewesen, und nach einer Schonzeit hätte der „Obama von Altona“, wie die Medien ihn nannten, politisch weiter durchstarten können. Doch es kam anders.

Bülent Çiftlik wurde 1972 als Sohn türkischer Einwanderer in Hamburg geboren, machte dort sein Abitur und studierte Politologie.

Seit 2004 war Çiftlik Pressesprecher der Hamburger SPD. Als gegen ihn Ermittlungen wegen der Vermittlung einer Scheinehe eingeleitet wurden, wurde er im Mai 2009 beurlaubt.

Die Staatsanwaltschaft erhob Anfang 2010 Anklage beim Amtsgericht Hamburg-St. Georg. Am 28. Juni 2010 wurde er zur Zahlung einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt.

Bei der Bürgerschaftswahl 2008 hatte Çiftlik erfolgreich kandidiert. SPD-Landeschef Olaf Scholz forderte Çiftlik nach dem Urteil auf, sein Mandat niederzulegen. Dieser verließ zwar die Fraktion, behielt aber das Mandat.

Vorwurf der Falschaussage und gefälschter Beweismittel

Elsner hält es für erwiesen, dass Çiftlik, während das Scheineheverfahren gegen ihn begann, „mit hoher krimineller Energie“ versucht habe, Zeugen zu Falschaussagen zu überreden und Beweismittel zu fingieren. Doch seine Zeugen fielen während des Verfahrens um, entlasteten ihn zuerst, belasteten ihn später oder verweigerten die Aussage, um sich selbst nicht zu belasten. Allen voran Nicole D., Çiftliks Ex-Geliebte, die erst aussagte, die Ehe mit Kenan T. sei keine Scheinehe gewesen und sich später selbst der Lüge bezichtigte und zu Protokoll gab, Çiftlik habe die Ehe angebahnt und sie genötigt, falsches Zeugnis abzulegen.

Was folgte, war, was Nicole D.s Anwalt Johann Schwenn als „Neues aus der Fälscherwerkstatt des Bülent Çiftlik“ bezeichnete. So etwa mehrere Mails, versandt aus dem E-Mail-Account von Nicole D., in der sie sich selbst bezichtigte, aus verschmähter Liebe Çiftlik mit Falschaussagen zu belasten. Inzwischen steht für Elsner fest, dass Çiftlik mithilfe einer auf Nicole D.s Computer aufgespielten Spionagesoftware ihr Passwort „lebenswert“ auskundschaftete. Anschließend habe er von ihrem Account aus und in ihrem Namen E-Mails verfasst und versendet oder diese von Dritten verfassen und versenden lassen.

Falschaussagen, die auf Betreiben Çiftliks in einem Fotostudio eingeübt wurden und falsche Alibis sollen daneben zum Repertoire des SPD-Politikers gehört haben, um seinen Freispruch im Scheineheverfahren zu erreichen. Doch all das – und auch der Trick mit der Spysoftware – flog auf.

In der zweiten Instanz vor dem Landgericht geriet der Vorwurf der Anbahnung einer Scheinehe zum Nebengleis. Denn die Anstiftung zur Falschaussage und die Manipulation von Beweismaterial wiegt juristisch weit schwerer. Eine dreieinhalbjährige Gefängnisstrafe für all diese aus seiner Sicht erwiesenen Manipulationen fordert Elsner am Ende seines Plädoyers für Bülent Çiftlik.

Eine schier unendliche Geschichte

Wobei er aufgrund der langen Verfahrensdauer nur drei Jahre einsitzen soll. Das Verfahren war 2015 zunächst geplatzt, weil Çiftlik nach einem Autounfall in Indien von den dortigen Behörden monatelang festgehalten wurde – eine Verfahrensunterbrechung, die die prozessualen Spielregeln nicht erlauben.

Çiftlik hat während des gesamten Verfahrens geschwiegen. Es gibt keine Version der Ereignisse von ihm. Seine AnwältInnen Gabriele Heinecke und Florian Melloh haben im Laufe des Verfahrens vor allem versucht, die Belastungszeugen unglaubwürdig zu machen und in Widersprüche zu verwickeln.

Ihr Plädoyer folgt nun am 16. Juni, und zu erwarten ist, dass sie der Staatsanwaltschaft vorwerfen werden, die ZeugInnen systematisch eingeschüchtert zu haben und dass sie aufgrund bestimmter Ungereimtheiten in den Zeugenaussagen das Gericht auffordern werden, „im Zweifel für den Angeklagten“ zu entscheiden.

Die Richter könnten schon am 19. Juni ihr Urteil fällen. Dass damit die fast unendliche Prozessgeschichte um Bülent Çiftlik endet, darf bezweifelt werden. Verteidigung wie Staatsanwaltschaft, können bei einem missliebigen Richterspruch die nächste Instanz anrufen.

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