Ex-Guerilleros in Kolumbien: Flucht statt Frieden
Ehemalige Kämpfer*innen der Farc-Guerilla fliehen aus ihrer Siedlung in der Region Ituango. Es sei eine Zwangsvertreibung, sagen sie.
Sogar das Fußballfeld, das die ehemaligen Farc-Kämpfer*innen angelegt hatten, haben sie abgebaut, das Baumaterial eingepackt, die Möbel, die Kleidung. Mit mehreren Lastwagen und Bussen fuhren sie etwa 300 Kilometer nach Mútata im heißeren Urabá.
Der Umzug ist eine Zwangsvertreibung. Das sagt nicht nur Pastor Alape, früher einer der höchsten Guerilla-Anführer und jetzt Delegierter der Farc-Partei im Nationalen Wiedereingliederungsrat, der den Friedensprozess überwacht. Zwangsvertreibung ist auch das Wort, das kolumbianische Medien in ihren Berichten verwenden.
„Es hörte einfach nicht auf“, sagt John Taborda. Der ehemalige Guerillero hat einen Teil seiner Kindheit in Ituango verbracht. Seine Eltern sind Bauern. Er hat Freunde und Familie im Dorf. Als er im Zuge des Friedensprozess aus dem Gefängnis freigelassen wurde, kam Taborda hierher zurück, leitete die Kooperative, mit der die Familien ihren Lebensunterhalt verdienen wollten: ein Glasfaserprojekt für Internetverbindung für ihre Siedlung und die Nachbar*innen in Ituango sowie ein Rinderprojekt für Fleisch und Milch. Dort fanden auch Menschen der umliegenden Gemeinden Arbeit. Doch damit ist Schluss.
Im Machtvakuum kämpfen die Illegalen
John Taborda, Ex-Guerillero
„Wir hatten einfach nicht mehr die Kraft, Widerstand zu leisten“, sagt Taborda. 280 waren sie, als sie vor vier Jahren ankamen. 97 Menschen, 74 ehemalige Gueriller@s und ihre Familien, sind jetzt in einer von langer Hand geplanten Aktion unter Polizei- und Armeeschutz geflohen. Seit 2017 waren elf Demobilisierte und dazu mehrere Familienmitglieder ermordet worden, zuletzt im Juni der 15-jährige Sohn einer ehemaligen Guerillera und zwei weitere Menschen.
In Kolumbien herrscht fast vier Jahre nach dem Friedensabkommen zwischen Farc-Guerilla und Staat kein Frieden. Farc-Dissidenten, die niemals die Waffen niedergelegt haben oder aus Frust wieder in den Untergrund gingen, Paramilitärs und Drogenbanden kämpfen um die Vorherrschaft in den von der ehemaligen Guerilla verlassenen Gebieten.
Der Staat hat es nicht geschafft, dort Infrastruktur und Präsenz aufzubauen. In dem Machtvakuum kämpfen die Illegalen – zum Leid der Bevölkerung. Es geht hauptsächlich um Drogenhandel. So auch in der Gegend um Ituango, wo unter anderem der Golfclan aktiv ist.
Die Regierung hatte schon seit dem Frühjahr 2019 auf den Umzug gedrängt, schreibt die staatliche Agentur für Wiedereingliederung und Normalisierung der taz – aus wirtschaftlichen und Sicherheitsgründen. Ein Großteil der Demobilisierten in Santa Lucía war schon geflohen. Als im Dezember der Sohn ihres ehemaligen Kommandanten ermordet wurde, beschlossen die Übrigen: „Wir müssen hier weg, sonst massakrieren sie uns alle“, erinnert sich Taborda.
Kein Neuanfang, ein Freiluftgefängnis
Obwohl der Polizei- und Militärposten zuletzt bis auf 300 Meter heranrückten, ging das Morden weiter. Briefe mit Morddrohungen wurden unter dem Türspalt hindurchgeschoben, Vermummte klopften an und forderten die Bewohner*innen auf zu verschwinden.
Die bewaffneten Gruppen kontrollierten auch seit Monaten die Verbindungsstraßen zwischen der Siedlung und dem Dorf Ituango. „Niemand konnte mehr zum Arbeiten oder zum Einkaufen ins Dorf fahren, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben. Das hatte keinen Sinn mehr“, sagt Taborda.
Selbst die nationale Wiedereingliederungsagentur und die Überwachungsmission der Vereinten Nationen seien aus Sicherheitsgründen nicht mehr zur Siedlung hinuntergekommen. Was ein Neuanfang sein sollte, wurde zum Freiluftgefängnis.
„Die Regierung muss handeln, aufklären und Maßnahmen entwickeln, um das Leben und das Bleiberecht der Ehemaligen zu garantieren“, sagt der Farc-Delegierte Pastor Alape der taz. Er hatte die Kamerad*innen im Januar besuchen wollen – war aber nicht weiter als bis nach Ituango gekommen. „Die Autoritäten konnten meine Sicherheit nicht gewährleisten“, sagte Alape. Am Vortag war ein weiterer ehemaliger Guerillero ermordet worden, laut Regierung gab es auch Mordpläne gegen Alape. Für den Umzug war er vor Ort.
Quarantäne hat alles verschlimmert
Was er betont: „Es geht nicht nur um Militärpräsenz im Territorium, sondern um Zusammenarbeit der Institutionen. Die Regierung soll nicht mit einem Gewehr kommen, sondern Entwicklungspläne umsetzen und die illegalen Wirtschaftszweige bekämpfen.“ Ähnliches haben auch indigene Anführer in der Region Cauca immer wieder geäußert, ebenfalls ein Fokus des Mordens. Präsident Iván Duque kündigt nach Morden gebetsmühlenartig mehr Militärpräsenz an.
Seit Unterzeichnung des Friedensabkommens wurden 221 ehemalige Gueriller*as umgebracht. Zählt man ihre Angehörigen dazu, sind es 235 Ermordete. Doch das Morden trifft auch andere, die sich engagieren. Allein in diesem Jahr wurden bisher nach Angaben des Friedensinstituts Indepaz schon 178 „Líderes sociales“ und Angehörige getötet.
Es ist keine Besserung in Sicht, im Gegenteil. Während der Coronapandemie haben nicht nur die Morde an Frauen zugenommen. Laut eines kürzlich veröffentlichten Berichts von Human Rights Watch überwachen in weiten Teilen des Landes bewaffnete Gruppen die Quarantäne, stellen willkürlich Ausgangssperren auf und setzen sie mit Drohungen und Morden durch.
Auch Bürgerrechtler*innen sind wegen der Quarantäne besonders in Gefahr. Am Sonntag startete die Plattform Defendamos La Paz (Lasst uns den Frieden verteidigen) deshalb eine Kampagne mit Titel „Schweigen ist keine Option mehr“.
John Taborda und die anderen Vertriebenen sind in Mútata erst einmal in einer Siedlung anderer ehemaliger Farc-Kämpfer*innen untergekommen. Dort gibt es weder Telefonempfang noch Internet – auch hier will er daran arbeiten. Die Regierung hat in der Nähe 137 Hektar Grund gepachtet, wo die Demobilisierten neue Häuser errichten werden. Der Staat verhandelt, um das Land für sie zu kaufen. Es wäre eine Sensation, wenn das klappt.
Bei aller Erleichterung klingt Taborda traurig. Der Kaffee, die Kochbananen und das Maniok, die sie nicht mehr ernten konnten, die Brücken und der Gesundheitsposten, von dem auch die Nachbargemeinden profitierten – das ist nur ein kleiner Teil dessen, was sie zurückgelassen hätten. „Wir haben Beziehungen in der Nachbarschaft aufgebaut, Vertrauen gewonnen“, sagt er.
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