Polizeigewalt in Kolumbien: Tod in der Hand der Polizei

In Kolumbien stirbt ein Mann nach einer brutalen Festnahme. Das Video löst heftige Unruhen in Bogotá aus, es gibt zehn Tote.

ES brennt, Paier liegt auf der Strasse, zwei Menschen und eine Motorrad sind unterwegs

Unruhen in Bogotá am 9.September Foto: Ivan Valencia/ap

BOGOTÁ taz | Das Video ist schwer zu ertragen. Der Mann liegt auf dem Rücken. Zwei Polizisten stehen über ihm, drücken ihn zu Boden. Mehrfach ist das metallische Rasseln des Tasers zu hören und wie der Mann bittet, damit aufzuhören. „Er sagt ihnen, dass sie bitte aufhören sollen, wir filmen sie“, sagt der Mann, der mit seinem Handy die Szene aufnimmt. Die Polizisten fixieren den Mann am Boden.

Seine Stimme wird schwächer. „Bitte, bitte, bitte“, sagt er immer wieder: „Sie tun mir weh.“ In derselben Nacht stirbt Javier Ordóñez in einem Krankenhaus in Bogotá. Allerdings nicht, wie zunächst vermutet, an den Folgen des brutalen Taser-Einsatzes. Es kommt noch schlimmer.

Laut einem Vorabbericht über das rechtsmedizinische Gutachten haben sieben Polizisten später noch auf der Wache auf ihn eingeprügelt und ihm neun Mal den Schädel gebrochen. Videos aus der Wache deuten darauf hin. Auch dass die Polizisten einen alten Streit mit dem Anwalt hatten. Ordóñez hatte am Körper Spuren von Schlägen an Rücken, Verletzungen an inneren Organen.

Javier Ordóñez war Anwalt, aber er verdiente das Geld für seine Familie als Taxifahrer. Seine beiden Kinder lebten bei ihm, die Mutter in Barcelona.

Es hat sich einiges angestaut

Seit am Mittwoch das Video bekannt wurde, kommt Bogotá nicht zur Ruhe. Hunderte sind auf die Straße gegangen, um gegen Polizeigewalt zu protestieren. Der erst friedliche Protest kippte teilweise in Vandalismus um. Auf manchen Bildern erinnert die Stadt an ein Inferno. Busse wurden angezündet, Fenster an Banken eingeschlagen und Geschäfte geplündert. Mindestens ein Drittel aller Polizeiwachen ist in Flammen aufgegangen.

Spätnachts kreisen Hubschrauber, Krankenwagensirenen ertönen. In Bogotá und der Nachbarstadt Soacha sind bei den Protesten mindestens zehn Menschen gestorben, die meisten an Schussverletzungen, alle unter 30 Jahre, darunter ein Minderjähriger. Mehr als 400 Menschen wurden verletzt, darunter auch Polizisten.

Bogotás Bürgermeisterin Claudia López verurteilte am Donnerstag den Vandalismus von einigen De­mons­tran­t*in­nen und die Polizeigewalt: „Als Stadt Bogotá können wir bestätigen, dass es zu einem wahllosen Einsatz von Gewalt und Waffen an mehreren Orten der Stadt kam von Seiten der Polizei, die für diesen Waffengebrauch natürlich keine Erlaubnis hatte.“ Das bewiesen Videos aus den sozialen Netzwerken und von städtischen Überwachungskameras. „Das ist ein direktes Attentat auf wehrlose, in überwiegender Mehrheit jugendliche Bürger“, sagte López. Sie hat Ordóñez’ Angehörigen Rechtsbeistand angeboten und fordert eine Polizeireform.

Es hat sich einiges angestaut. „Es geht nicht nur um Javier Ordóñez“, sagt Juanita Moreno (Name geändert). „Es geht auch um das, weshalb wir seit November protestiert hatten, bis die Pandemie uns stoppte.“ Zum Beispiel die mangelhafte Umsetzung des Friedensabkommens, die Morde an den Bür­ger­recht­le­r*in­nen und die jüngste Massaker-Welle, bei der vor allem Jugendliche ermordet wurden. Das Gefühl, dass der Staat einen im Stich lässt und seine Macht missbraucht.

Die 30-Jährige arbeitet für den Distrikt in der Sozialabteilung. Seit ihrem Studium dokumentiert sie mit ihrem Handy bei Protesten Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei. „Einige Studienfreunde sind demonstrieren gegangen und für immer verschwunden.“ Am Mittwoch ging sie auf die Straße, um aus der Distanz zu filmen. Sie habe schon viele Demonstrationen erlebt, doch nie sei der Anteil an Randalierenden so hoch gewesen. Davon halte sie nichts.

Trotzdem sei sie von Polizisten gepackt und brutal in einen Gefangenentransporter verfrachtet worden, wobei sie mehrfach mit dem Taser in den Rücken geschossen wurde. Dabei habe sie keinen Widerstand geleitet. In dem Wagen waren auch mehrere Minderjährige und ein Junge mit einer offenen Kopfwunde, der später Blut erbrach und wegen Verletzungen im Bauchraum operiert werden musste.

Auf der Wache musste sie sich in der Toilette vor einer Beamtin nackt ausziehen. Ein Beamter habe drei Stunden ihr Handy durchgesehen, E-Mails, soziale Medien, Whatsapp-Nachrichten. Am Ende hätten alle für dieselben Vergehen ein Bußgeld bekommen, aber alle in unterschiedlicher Höhe. „Das ist so willkürlich“, sagt Moreno. „Aber ich habe eine Arbeit, ich kann nicht Widerspruch einlegen und dafür mehrere Tage immer wieder auf die Wache gehen, wo am Ende sowieso den Polizisten geglaubt wird.“

Nach allem, was bisher bekannt ist, hatte Javier Ordóñez mit Freunden daheim Bier getrunken. Als sie Nachschub holen wollten, wurden sie von der Polizei aufgehalten, weil sie gegen das Versammlungsverbot und das Alkoholverbot im öffentlichen Raum wegen der Covid-19-Pandemie verstoßen hätten. Die Polizisten wurden vom Dienst suspendiert.

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stammt aus dem Bayerischen Wald und berichtet seit 2017 überwiegend aus Kolumbien. Sie ist Mitglied des Reporterinnen-Teams von #tazFolgtDemWasser und Mitgründerin des Magazins „Südamerika+Reporterinnen“ auf der genossenschaftlichen Journalismus-Plattform-„RiffReporter“.

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