Evolution der Antibiotika-Resistenzen: Stachelige Infektionsträger
Im Klinikalltag sind antibiotikaresistente Bakterien gefürchtet. Studien zeigen nun, dass auch Igel die gefährlichen Keime verbreiten.
Wo kommen sie her und wie kommen sie zu uns, die gefährlichen Bakterien in Krankenhäusern? Vor genau 60 Jahren veröffentlichten Wissenschaftler erste Arbeiten aus In-vitro-Studien über antibiotikaresistente Bakterien und warnten vor dem Auftreten von klinisch bedeutsamen Stämmen. Noch im selben Jahr tauchten in Guildfort in Südengland die ersten klinisch relevanten Fälle von MRSA auf, dem wohl bekanntesten antibiotikaresistenten Krankenhauskeim.
In den letzten Jahren bekam er viel Aufmerksamkeit in den Medien. Genauer handelt es sich dabei um Methicillin-resistente Bakterien der Staphylococcus-aureus-Stämme; oft umgangssprachlich als Multiresistente Staphylococcus aureus bezeichnet, da sie meist auch gegen weitere Antibiotika immun sind. Das Antibiotikum Methicillin gehört zu der Gruppe der Penicilline.
Verantwortlich für die Methicillin-Resistenz sind vor allem die zwei Resistenzgene mecA und mecC. Die resistenten Bakterien breiteten sich von England über Europa und weitere Teile der Erde aus. Dabei wird davon ausgegangen, dass Nutztiere wie Kühe fleißig an der Verbreitung beteiligt sind, denn diese werden häufig mit Antibiotika behandelt. So lautet die gängige Theorie. Eine kürzlich in Nature veröffentlichte Studie erzählt jedoch eine andere Geschichte des Keimes.
Ein Forschungsteam um Jesper Larsen vom staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen folgte der Spur des mecC-Restistenzgens in Igeln. Dort kommt es häufig vor, ohne dass diese Tiere viel Kontakt zu Antibiotika hätten.
Larsen und sein Team untersuchten Igel auf mecC-MRSA in zehn europäischen Ländern sowie Neuseeland und kamen zu der Erkenntnis, die gefürchteten resistenten Bakterien seien vor allem in Mittel- und Nordeuropa verbreitet. Tatsächlich waren sogar häufiger Igel als Rinder von der Infektion betroffen.
Früher standen vor allem Kühe in Verdacht
Ein Widerspruch zu der herkömmlichen Verbreitungstheorie. Statt der Kühe sind es wohl vielmehr die stacheligen Wald- und Gartenbewohner, die die primären Träger dieser resistenten Bakterien sind. Fast noch erstaunlicher erscheint die Tatsache, dass es MRSA-Keime schon seit 200 Jahren gibt.
So war es nicht das Zeitalter der Antibiotika, das Alexander Fleming ins Leben rief, welches für die Entstehung resistenter Bakterien sorgte. Es war Trichphyton erinaceid, ein Schimmelpilz, der häufig die Haut von Igeln bewohnt und zwei Penicilline produziert.
Die Forscher gehen davon aus, dass sich MRSA zwischen den Igelstacheln entwickelte und sich durch direkten Kontakt auf Nutztiere und Menschen verbreitete. Dennoch, die Schuld für die heutige Macht der MRSA-Bakterien ist nicht bei den Igeln zu suchen. Der weite Gebrauch von Antibiotika ermöglichte weitere Resistenzausbildungen und Weiterentwicklungen der bereits vorhandenen MRSA-Linien.
Mark Holmes, Mitautor der Studie aus Cambridge, fasst zusammen: „Wildtiere, Nutztiere und Menschen sind alle miteinander verbunden – wir teilen ein Ökosystem. Man kann daher die Evolution der Antibiotika-Resistenzen nicht verstehen, ohne das gesamte System zu betrachten.“
So ging die Studie ein wenig auf die globale Verbreitung der resistenten Bakterien ein. Die Forscher bemerkten Ausbreitungsereignisse über große Entfernungen hinweg zwischen britischen und dänischen Inseln und dem europäischen Festland. Die Verbindung zu isoliert lebenden Igelpopulationen ist gegenwärtig schlecht untersucht, doch vermuten die Forscher einen Zusammenhang mit Überseebewegungen von Menschen und Nutztieren. Weiter verweisen sie auf frühere Studien, nach denen Zugvögel wie Störche an der Verbreitung beteiligt sind.
Mit lokaler statt globaler Ausbreitung beschäftigte sich ein Forschungsteam der Berliner Charité und der Friedrich-Schiller-Universität Jena in einer Studie (BioMedCentral). Dabei war für die Wissenschaftler vor allem von Interesse, wer genau denn ein Stationszimmer in einem Klinikneubau besiedelt. Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité, nutzte die Gunst der Stunde, als das Haupthaus der Charité komplett entkernt und neu gemacht wurde, um die Ökologie der Bakterien genauer zu betrachten. Wie verändert sich das Mikrobiom, wenn die Patienten kommen?
Hortense Slevogt, Leiterin der Arbeitsgruppe Septomics in Jena, die mit der Charité zusammen an der Studie arbeitete, erklärte, in den ersten Wochen seien vermehrt Bakterien zu beobachten gewesen, die auf Pflanzen und Baustoffen wie Holz siedeln. Das änderte sich aber mit Einzug der Patienten bald.
Untersucht wurden die Zimmer an drei Stellen: an der Türklinke, dem Waschbecken und dem Fußboden. Es mag zunächst verwundern, dass der Boden als Testfläche gewählt wurde, doch Slevogt verdeutlicht: „Der Boden ist in einem Raum eine der wichtigsten Flächen, weil dank der Schwerkraft alles auf den Boden fällt.“ Während an der Türklinke nur das von uns zurückbleibt, was an unseren Händen haftet, landet auf dem Boden alles, was sich von uns löst; Hautabschilferungen, kleine Tröpfchen, Haare.
Insgesamt veränderte sich die Zusammensetzung der Bakterien, von denen der größte Teil aber unbedenklich für den Menschen war. Es gab Überlappungen mit den Arten, die bei den Patienten gefunden wurden. „Dabei kriegte – wir fanden das sehr spannend – jeder Ort seine ganz spezifische Kolonisierung“, berichtet Slevogt, „und das, obwohl alle Flächen einmal am Tag gereinigt und desinfiziert wurden.“
Freie DNA auf dem Fußboden
Das allein erscheint faszinierend, denn es zeigt, wie widerstandsfähig Bakterien sein können. Doch das Forschungsteam stieß auf noch etwas Ungewöhnliches. Zwar blieb die Zahl der pathogenen Keime über die Zeit konstant und zahlenmäßig unbedenklich, doch nahm die Zahl der Resistenzgensequenzen auf dem Boden erstaunlich zu. Diese Gensequenzen sorgen dafür, dass Bakterien gegen Antibiotika resistent werden. Dabei stachen besonders zwei Gene hervor, darunter mecA, das Hauptresistenzgen von MRSA-Bakterien.
Warum sich die Resistenzgene ausgerechnet auf dem Fußboden sammeln, können die Wissenschaftler noch nicht genau sagen. „Möglicherweise ist der Fußboden ein Reservoir für diese Resistenzgendeterminanten“, meint Slevogt. Bakterien können freie DNA aus ihrer Umgebung durch ihre Zellwand hindurch aufnehmen und sich so genetisch austauschen.
Der Austausch erfolgt meist über Plasmide, freie, vom Erbgut unabhängige zirkuläre DNA in Bakterien. Entsprechend können sich die Resistenzgene in dem breiten Spektrum der Bakterien auf dem Fußboden gut verteilen. Dieser Gentransfer kann sogar von einem toten Bakterium auf ein lebendes erfolgen. Fallen beispielsweise mit Resistenzgenen ausgestattete Staphylococcus-aureus-Bakterien auf den Boden, können sie die Resistenz an andere dort lebende Bakterien weitergeben.
Wie in dieser Studie wurdem auch schon in anderen die Abnahme der Diversität der Bakterien sowie die Zunahme von Resistenzgendeterminanten nach häufiger Desinfektion beobachtet.
„Vielleicht ist es effektiver, stattdessen verschiedene, für den Menschen unschädliche Bakterien einzubringen, die die problematischen Bakterien verdrängen, und damit ein neues stabiles Ökosystem zu schaffen“, überlegt Slevogt. Ob und wie gut dieser völlig neue Ansatz des Entfernens pathogener Keime durch Infizierung mit Probiotika funktioniert, muss aber noch weiter untersucht werden. „Es ist eine wissenschaftliche Hypothese, die es gilt in Studien zu zeigen“, wie Slevogt betont. Und bis dahin muss uns das klassische Desinfizieren noch genügen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs